Werner knallhart
Quelle: imago images

Machen wir Schwarz-Rot-Gold zum Symbol der freundlich-vernünftigen Mehrheit

Die deutsche Nationalflagge flattert fast nur über den Köpfen der Minderheit der Ausgrenzer, der Corona-Egoisten, der National-Angeber und komplexbeladenen Absteiger. Warum hängen die Fahnen nur bei diesen Leuten? Eine Kolumne.

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Nur damit Sie direkt wissen, woher ich so gedanklich komme. Als Halbschwede haben wir uns früher blau-gelbe Flaggengirlanden an den Weihnachtsbaum gehängt. Weil Blau-Gelb irgendwie auch zu Hause bedeutet. Und das passt zu Weihnachten.

Mein Schwager hisst in Dänemark zu unseren Ehren im Garten die rot-weiße Flagge, wenn wir aus Deutschland zu Besuch kommen. Das ist feierlich. Ein Freund aus Kasachstan schläft in Bettwäsche mit aufgedruckten Stars-and-Stripes und Empire State Building. Weil er die Lebensart an den US-Küsten mag. Und auf meinem Balkon flatterte bis vor kurzem noch die Flagge der Europäischen Union (bis jüngst und zufällig in Zeiten der verpennten Impfstoffbeschaffung eine Öse ausgerissen ist).

Stellen Sie sich vor, schwarz-rot-goldene Flaggen an den Weihnachtsbaum zu drapieren. Oder Schwarz-Rot-Gold im Garten zu hissen, ausgerechnet wenn Besuch aus dem Ausland kommt. Oder schwarz-rot-goldene Bettwäsche zu verschenken. Ich würde eher im Boden versinken. Schwarz-Rot-Gold bleibt weit unter seinem Potenzial. Unserem Potenzial. Denn es dient hierzulande entweder als Symbol für staatliche Institutionen (das ergibt Sinn) oder als Symbol für kleinkarierte Überheblichkeit und Ausgrenzung aus Angst (das ist kontraproduktiv).

Ich erinnere mich an 2006, als es hieß: Die Deutschen haben während der Fußball-WM im eigenen Land einen so entspannten Umgang mit ihrer eigenen Flagge entwickelt. Na ja. Letztendlich ist doch selbst und gerade bei Sportveranstaltungen das Schwenken von Nationalflaggen immer ein Symbol von „Wir gegen den Rest der Welt“. Es ist eben nicht nur ein Spiel. Ein 7 zu 1 kann ein nationales Trauma auslösen.

Und bekanntlich nutzen einige die Gelegenheit in den Stadien, um ihr Überlegenheitsgefühl hemmungslos im Tarnmantel der internationalen Völkerverständigung auszuleben. Rassistische und queerfeindliche Geräusche und Sprüche zeigen das. Und das Zerbuhen der Hymne des Gegners ist Nationalgefühl der zerstörerischen Art. Schwarz-Rot-Gold wirkt dann (wie auch andere Nationalfarben auch) vielleicht gerade noch so sportlich-kämpferisch, im schlimmsten Fall dominant-einschüchternd.

Selbst das Label „Made in Germany“ ist ein Symbol von (in vielen Ländern anerkannter) qualitativer Überlegenheit deutscher Produkte. Das ist gut für uns. Und legitim. Hier mit Schwarz-Rot-Gold zu werben, ist clever. Es hilft uns aber nicht, einen wohlig herzerwärmenden Anklang in unsere Nationalfarben zu erfühlen, oder?

Wie kommt Ihnen Schwarz-Rot-Gold vor? Eher lieblich, fröhlich, gemütlich, feierlich vereinend wie die skandinavischen Flaggen für die Menschen dort? Oder gemeinsame Werte betonend, ermutigend vereinend wie Blau-Weiß-Rot in den unterschiedlichen Mustern bei den Briten, Franzosen und US-Amerikanern? Oder eher weder noch?

Mal unabhängig von der eigentlichen Idee von Freiheit und Einheit der deutschen Nationen (ursprünglich übrigens nicht einmal die Idee von Gleichheit und Demokratie) und einfach mal aus dem Bauch heraus: Für mich fühlt sich Schwarz-Rot-Gold einerseits förmlich und staatstragend an. Aber dann sehe ich diese Bilder in den Fernsehnachrichten und merke: Ausgerechnet die Ausgrenzer in der strukturschwachen Provinz zeigen sich damit. Die Leute mit der Angst vor Neuen. Die, die das, was sie nicht verstehen, als Lüge und Verrat bezeichnen. Die, die ihre eigene Freiheit über die von jedem und jeder Einzelnen von uns stellen. Weil sie die Mehrheit für die Elite oder für Angehörigen von Randgruppen halten, die ihre Solidarität nicht verdienen. Die, die sich für das Große und Ganze von Gemeinschaft nicht erwärmen können, weil sie sich selber gekränkt und ausgegrenzt fühlen, die schwenken Schwarz-Rot-Gold und rufen, dass sie das, was Schwarz-Rot-Gold für sie bedeutet, vor der großen Mehrheit bewahren wollen (die in unserer wunderbar funktionierenden Demokratie übrigens auch die „politische Elite“ beauftragt hat, uns in die Zukunft zu führen).

Es wäre doch so angemessen und auch anspornend, wenn gerade diejenigen die deutsche Flagge schwenkten,
- die auf den Intensivstationen rackern, um Ungeimpfte zu retten,
- die Windräder aufbauen, damit die Kohle im Boden bleiben kann,
- die für eine moderne Einwanderungspolitik sind, bei der die dringend benötigten Fachkräfte gerne zu uns kommen,
- die freiwillig zehn Tage in Quarantäne gehen, bevor sie ihre alten Eltern an Weihnachten treffen,
- die, die knietief im Matsch stehen, um Menschen, die sie noch nie im Leben vorher gesehen haben, nach der Flut im Westen und Süden zu helfen,
- die, die ihre Nachtclubs in Impfstellen umwandeln.

In Talkshows zückt aber der AfD-Politiker die deutsche Flagge und versucht damit, die auf dem Podium vertretenen Politikerinnen und Politiker der anderen Parteien in Verlegenheit zu bringen. Auch Bild TV hat in Wahlkampfzeiten dieses Jahr die Kanzlerkandidaten regelrecht mit unserer Flagge konfrontiert. Beim Haschen nach Effekten kann sich das lohnen, weil durchaus vorstellbar ist, dass Politiker der sympathischen Mitte dadurch ins Schleudern geraten. Wegen Schwarz-Rot-Gold.

Ihre Deutschland-Pins an den Revers tragen AfD-Politiker wie selbstverständlich. Als Angela Merkel einst eine Kette mit schwarzen, roten und bernsteinfarbenen Steinen trug, war das Oho hingegen groß: Was will sie uns denn damit sagen?

Schwarz-Rot-Gold bleibt unter unseren Möglichkeiten. Wir haben kein einendes Symbol im Innern. Schwarz-Rot-Gold ist ein Zeichen, das nach außen wirkt (in Wettkampfstadien). Und oft gegen Andere gerichtet ist (etwa bei Nazis und den neuen Mitläufern).

Aber als einendes Symbol nach innen (wie etwa bei Skandinaviern und Amerikanern) taugt es nichts. Noch nicht. Weil wir es im Innern noch denen überlassen, die für das Gegenteil dessen stehen, was moderne Gemeinschaften stark macht: freiwilliger Zusammenhalt aus Vertrauen in die Fähigkeiten der Gruppe, gerade wenn es hart auf hart kommt. Nicht als „Nation“ in Abgrenzung zu unseren Nachbarn, sondern als große Schicksalsgemeinschaft, die begriffen hat, dass wir es nur schaffen, wenn wir an einem Strang ziehen. Gemeinsam mit unseren Nachbarn.

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Ich glaube, es täte uns gut, wenn Schwarz-Rot-Gold das Symbol würde für den neuen Aufbruch in die deutsche Moderne. Bei der Bewältigung der Pandemie orientiert an Fakten und dem Wohl von allen, beim Kampf gegen den Klimawandel, beim digitalen Umbruch, beim Abbau von Bürokratie, bei der Beseitigung des Wohnungsmangels und bei der Beseitigung von Angst.

Die Vernünftigen, die Weltoffenen, die, die für Gleichheit und Nachhaltigkeit sind – ok, seien wir so ehrlich zu sagen: die große Mehrheit der Guten – hat dafür bislang kein einendes Symbol. Diese Mehrheit darf sich selbstbewusst ihr Symbol nehmen. Vielleicht wäre dafür auch ein niedliches Hamster-Emoji geeignet oder ein nach oben gereckter Daumen, ja. Aber das nähme den Guten die Chance, der Minderheit der hasserfüllten Wahrheitsleugner und Neuheiten-Angsthasen das Symbol wieder wegzunehmen, das ihnen einfach nicht zusteht, weil die Konnotation nicht stimmt.

Schwarz-Rot-Gold könnte das einende Gemeinschaftssymbol der freundlich-vernünftigen Mehrheit werden. Mit der herzlichen Einladung an die viel zu lauten Abspalter, selber im ersten Schritt zumindest freundlich zu werden.

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