Werner knallhart
Quelle: dpa

Statt Händeschütteln: Einigen wir uns auf das zukünftige Ritual

Jeder, wie er oder sie will – bei der Begrüßung wird das schnell peinlich. Denn viele Rituale sind Teamwork. Damit künftig nicht immer schon beim ersten „Guten Tag“ die Stimmung am Boden liegt, müssen wir jetzt gemeinsam eine neue Tradition festlegen.

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Händeschütteln baut Brücken. Für Krankheitserreger. Deshalb schütteln wir dieser Tage nicht mehr. Sondern stoßen unter Gekicher unsere Ellenbogen aneinander. Oder die Füße. Das sind ganz offenbar noch unbeholfene Improvisationen. Wir brauchen einen Konsens darüber, wie wir uns auf Dauer künftig förmlich begrüßen wollen.

Ich bin da sehr zuversichtlich. Überlegen wir mal: Sagen Sie noch „Gesundheit“, wenn jemand niest? Es ist ja irgendwie aus der Mode geraten. Früher war das Ritual: Niesen – „Gesundheit“ – „Aaaaah. Danke“. Ich persönlich neige leider zum direkten Doppelniesen. Wenn dann aus irgendeiner Ecke des ICE-Großraumwagens anonym gerufen kam: „Gesundheit! Gesundheit!“

Vor einigen Jahren hat sich das Blatt dann aber gewendet. Heute gilt „Gesundheit“ als albernes Relikt. Die Nies-Antwort des 21. Jahrhunderts lautet: schweigen. Und der, der niest, sagt kleinlaut: „Entschuldigung.“ Wir können uns also umstellen. So.

Jetzt zur Begrüßung. Familie und Freunde werden wir weiter feste herzen und knuddeln. Hier soll es allein ums Händeschütteln gehen. Das ist die maximal nahbare Geste gegenüber Leuten, denen wir im Joballtag aufgeschlossen begegnen wollen – auf Kongressen, Messen, Workshops, After-Work-Partys und so weiter. Also zum Glück Leuten, auf deren Liebkosungen wir ganz gut verzichten können, ohne abends vor Sorgen nicht einschlafen zu können. Wir haben uns das Geschüttel im offiziellen Kontext ja schon abgewöhnt. Die Frage ist: Wollen wir dabei bleiben? Und welches Ritual wäre die beste Alternative?

Am Händeschütteln ist schließlich nicht alles schlecht. Greife ich die Hand des oder der anderen, kann ich sofort einiges erspüren: den Grad des Selbstbewusstseins an der Festigkeit oder den Gemütszustand an der Feuchte und Temperatur der Handflächen. Und letztendlich ist anfassen immer verbindlicher als nicht anfassen. Aber wie gesagt: Anfassen verbindet eben auch Keime mit neuen Wirten.

Und nun? Das angesprochene neuartige Aneinanderkloppen von Ellenbogen als das neue Ritual wirkt arg hölzern und ungelenk. Sämtlicher Genuss an der Berührung geht bei dieser Rempelei flöten. Das Schuh-Gekose ist ja schon auf den ersten Blick untauglich. Es diskriminiert alle mit eingeschränktem Gleichgewichtssinn und damit die Älteren, die schon durch Corona besonders Gebeutelten.

Dann die im ostasiatischen Raum oft übliche Geste mit den aneinandergelegten Handflächen. Die beiden eigenen Handflächen, wohlgemerkt. Kann man machen, allerdings ist dieses Ritual im Original oftmals ein Zeichen der Unterordnung. Je höher vors Gesicht die zusammengeführten Handflächen, desto mehr zu Diensten. Ähnliches gilt für die Verbeugungen in Japan. Das passt nicht in die westlichen Gesellschaften, wo wir selbst dem Bundespräsidenten bislang beherzt die Hand schütteln durften. Ohne Ansehen des sozialen Rangs.

Wir brauchen also ein neues Ritual, bei dem wir uns weiterhin jederzeit auf Augenhöhe begegnen. Das Händeschütteln war dafür ideal. Was also ist verbindlich und herzlich wie das Händeschütteln – und außerdem auch noch gesundheitlich unbedenklich?

1. Zuwinken ist schon besetzt als Grußgeste von der Ferne und wirkt nah zu hibbelig.
2. Fingerzeichen wie Daumen hoch, das Victory-Zeichen, Zeigefinger und Daumen zum Ring und so, das ist rund um den Globus mal hier, mal da eine obszöne Geste.
3. Sich gegenseitig gleichzeitig an den rechten Unterarm greifen: Nett, wenn man frisch gewaschene Hände hat und der andere saubere Kleidung trägt. Was aber bei T-Shirt-Wetter? Und das Unfallrisiko (Handflächen gleiten doch kurz ineinander) ist zu groß.

Nein, die Lösung ist eine andere. Und die haben die Araber schon längst als Idee nicht nur in der Schublade, sondern seit langem im Gebrauch. Nach den Ziffern von 0 bis 9, dem Öl, den Service-Standards der Fluggesellschaft Emirates und den Datteln könnte dieses Ritual der nächste große arabische Welterfolg werden. Ich rede von „Hand aufs Herz“: Rechte Hand auf die linke Seite des (eigenen) Brustkorbs und dazu vielleicht ein sanftes Nicken.

Diese Geste, sichtbar von Herzen, hat etwas mit Berührung zu tun (auch wenn man sich selber berührt) und lässt uns je nach Länge distanziert oder eben auch sehr verbindlich wirken. Kombiniert mit einem „Guten Tag“ brauchen wir auch keine Bedenken zu haben, ein fremdes Kulturgut abzukupfern, was dann unauthentisch wirken könnte. Machen wir diese hygienische Geste einfach auch zu unserer westlichen. Es ist ja einfach ein „Hand aufs Herz“. Das funktioniert international. So wie arabische Datteln auch überall auf der Welt gut schmecken.

Nur: Bei diesem „Hand aufs Herz“ müssen schon alle mitmachen.

Ein neues Ritual lässt sich nicht als lockere Alternative zum Händeschütteln etablieren. Dann streckt der eine die Hand zum Schütteln aus und der andere fasst sich an den Brustkorb. Und schon haben wir den Salat. Die ausgestreckte Hand nicht zu ergreifen, das ist derartig demütigend, dass das tatsächlich in unseren Breiten fast nie vorsätzlich praktiziert wird. Eher tituliert man jemanden als Vollidioten, als dass man ihm den Handschlag verweigert.

Den Handschlag aus gesundheitlichen Gründen zu verweigern, ist dieser Tage zwar schon en vogue. In allen Medien können wir verfolgen, dass in Coronazeiten selbst die großen Staatenlenker wie Merkel und Trump ins Leere greifen. Dennoch. Egal ob religiös, politisch oder antipandemisch motiviert: Die Hand hängt unergriffen in der Luft. Das haut erstmal raus.

Die Lösung: Die Hand so früh auf das Herz legen und damit die Hand so weit hochziehen, dass der andere rechtzeitig begreift: Wenn ich jetzt noch meine Hand hinstrecke, bin ich an der Blamage selber schuld. Ganz wie mein Hausarzt, der stets auf den Punkt an der Tür zum Behandlungszimmer stehend „Kommen Sie rein“ ruft und dabei wie ein Showmaster mit beiden Armen auf die Sitzecke weist. Da käme man höchstens zum Schütteln an seine Hand, wenn man ihn von hinten überwältigen würde. Und das ist ja unüblich.

Wie kriegen wir aber eine von der Mehrheit unserer Gesellschaft getragene keimfeindliche Variante von „Guten Tag“ etabliert? Indem jeder, der „Hand aufs Herz“ gut findet, offensiv damit anfängt. Ich habe das schon zweimal gemacht. Und es fühlt sich sehr hygienisch an.

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