Ich möchte in meinem Personalausweis gerne wie folgt genannt werden: "Kol. Wiwo Marcus Werner". Sonst kann man bei der Einreise in den Schengen-Raum nicht erkennen, dass ich Wiwo-Kolumnist bin. Und beim Perso-Rumreichen in der Kneipe auch nicht.
Mir ist aufgefallen, dass andere Leute ihre Berufserfahrung und Meilensteine in der beruflichen Karriere ebenfalls im Personalausweis dokumentiert haben. Hätte ich nach dem Studium statt eines Volontariats mal eben eine Promotion drangeballert, stünde in meinem Perso jetzt Dr. Marcus Werner. Warum eigentlich?
Der Doktor-Titel gehört nicht zum Namen. Er ist streng genommen noch nicht einmal ein Titel. Er ist ein akademischer Grad, so wie der Magister oder Diplom-Ingenieur. Und anders als der Titel Professor.
Erinnern wir uns an Helmut Kohl, der einst einen Journalisten anpampte: "Für Sie immer noch Doktor Kohl." Das war nicht nur superpeinlich, sondern obendrein auch noch anmaßend.
Selbst wenn man einen Doktor durchaus als Doktor anreden kann - einen Anspruch darauf hat der Promovierte nicht. Wer darauf besteht, als Doktor angesprochen zu werden, sollte sich der Höflichkeit halber vorab erkundigen, mit welcher schmückenden Floskel sein Gegenüber im Gegenzug angesprochen werden möchte. "Für Sie immer noch Herr Superjournalist", das hätte der Kollege damals mit gleichem Recht entgegnen können.
Auf den Doktor zu pochen, spricht Bände über das Selbstverständnis des Doktors. Bei den Bilanz-Pressekonferenzen der Deutschen Bahn steht auf dem Namensschild des Vorstandschefs "Dr. Grube". Dessen Dissertation handelt ja auch vom Flugzeug-Bau. So wie der Bäcker, der auf seine Ladentür schreibt: Frische Brötchen vom Malermeister. Was will die Bahn da kompensieren?
Bei der Deutschen Post steht "Frank Appel". Kein Hinweis auf seine Promotion in Neurobiologie. Ohne genaueren Blick auf die beiden Unternehmen müsste man doch unterstellen: Die Züge sind unpünktlich, auf DHL ist Verlass.
Als ich damals in meinem ersten Roman meinen Lektor des Rowohlt-Verlags dankend im Nachwort erwähnen wollte, rief er mich an: "Ich freue mich sehr darüber, aber bitte lass den Doktor weg. Es ist bei uns in der Branche total unüblich, den Titel zu erwähnen." In der Verlagsbranche glänzt man also lieber mit Leistung im Job.
Dafür habe ich in meinem Bekanntenkreis gleich mehrere Ärzte, die ihr Klingelschild mit "Dr." beschriftet haben. Nicht das Klingelschild ihrer Praxis wohlgemerkt, sondern das ihrer Privatwohnung. Was war da vorgefallen? Jedes Mal beim Klingeln denke ich drüber nach; es sind ja schließlich meine Freunde.
Mittlerweile glaube ich: Den Ärzten fehlt es inzwischen an sozialem Prestige. Da geht es ihnen fast so dreckig wie Piloten. Nun könnten Piloten ja an ihr Klingelschild schreiben "Pilot Michael Meier", oder gar "Pilot (LH) Michael Meier". Für noch mehr Oho aber Piloten streiken lieber für noch mehr Kohle. Denn dann kommt endlich mal wieder in die Presse, dass ohne sie nichts geht. Warum verdienen Postboten oder Lokführer eigentlich nicht das Gleiche? Ohne die geht doch auch nichts. Naja.
Nur noch Ramschstatus
Ärzte hingegen stehen schon ganz oben auf der Berufe-Prestige-Liste. Da geht nicht mehr. Mehr Kohle aus dem Gesundheitssystem zu pressen, das geht nicht so einfach wie bei einer privatwirtschaftlich betriebenen Fluggesellschaft. Und durch die Nachtdienste, Überstunden, die berühmten Zankereien mit dem aufmüpfigen Pflegepersonal und durch den privaten Medikamenten-Missbrauch aus dem Schränkchen mit den unverkäuflichen Mustern leidet mitunter der Teint und die Figur. Wer da nach zehn Berufsjahren noch einmal sexuell durchstarten will, braucht das Klingelschild.
Doch die Wirkung des Klingelschildes schwindet. Wer als promovierter Arzt heute Eindruck schinden will, muss in gesellschaftlichen Gruppen wildern, zu denen es sich noch nicht herumgesprochen hat: Der Doktor-Titel in der deutschen Medizin genießt in Europa praktisch nur noch Ramschstatus.
Früher war die Dissertation ein Symbol für die unbedingte Liebe des Wissenschaftlers zu seinem ganz eigenen Thema. Für ein einsames, karges, aber freies Leben, gewidmet allein der Erkenntnis.
Heute kriegt man hierzulande eine medizinische Dissertation in einem halben Jahr zusammengeklöppelt. Auch wenn die Unis in Deutschland langsam aufwachen und den Ruf ihrer medizinischen Fakultäten retten wollen: Er hat längst nachhaltig gelitten. Die Mediziner in Deutschland streuen in einigen Jahren schon so viele Doktortitel unter ihren Nachwuchs wie Juristen, Wirtschaftswissenschaftler, die Geistigen und die Ingenieure zusammen. Der wissenschaftliche Wert ist dabei nicht selten null. Und ausgerechnet die Ärzte gelten den Menschen landläufig als Herr und Frau Doktor. Haben die ein Glück.
Vielleicht gibt es bei all diesen Discount-Doktoren ja klammheimliche Missgunst der redlich Unpromovierten in den Reihen der Grünen. Die scheiterten in der vergangenen Legislaturperiode im Bundestag gemeinsam mit der restlichen Opposition mit einer Initiative, den "Dr." aus Reisepass und Ausweis zu streichen. International führt diese Angeberei im Pass nicht selten zu Verwirrung, denn nur in Deutschland prahlt man mit seinem Doktor. In welche Zeile im Computer soll also bitte beim Check-in im Bangkok dieses D und r eingetragen werden?
Doktor? No! Weg mit dem Doktor aus den Ausweisdokumenten. Den aus dem Leim gegangenen Ärzten bleibt ja noch das Klingelschild.
Letztendlich lässt sich der ganze Aufwand für die Angeberei für alle doch ohnehin ganz einfach abkürzen. Ganz ohne das halbe Jahr für eine hohle Dissertation zu verblasen. Nehmen Sie den Vornamen Dragomir an und kürzen Sie ihn auf dem Klingelschild ab. Den Titel nimmt Ihnen keine Prüfkommission.