Werner knallhart

Streicht den "Doktor" aus dem Personalausweis!

Ärzte sind schon arm dran. Da studieren sie so lange, am Ende werden sie gar nicht standesgemäß vergöttert. Letztes Statussymbol: Der Doktortitel im Pass und auf dem Klingelschild.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Das letzte Statussymbol: Der Dr. im Pass und auf dem Klingelschild. Quelle: Fotolia

Ich möchte in meinem Personalausweis gerne wie folgt genannt werden: "Kol. Wiwo Marcus Werner". Sonst kann man bei der Einreise in den Schengen-Raum nicht erkennen, dass ich Wiwo-Kolumnist bin. Und beim Perso-Rumreichen in der Kneipe auch nicht.

Mir ist aufgefallen, dass andere Leute ihre Berufserfahrung und Meilensteine in der beruflichen Karriere ebenfalls im Personalausweis dokumentiert haben. Hätte ich nach dem Studium statt eines Volontariats mal eben eine Promotion drangeballert, stünde in meinem Perso jetzt Dr. Marcus Werner. Warum eigentlich?

Sechs skurrile Berufsbezeichnungen
Digital ProphetDas Internetunternehmen AOL leistet sich eine solche Stelle, die derzeit von David "Shingy" Shing besetzt wird. Seine Arbeitsbeschreibung: auf Konferenzen sprechen, Trends erkennen und die Zukunft des Internets vorhersagen - weltweit. Quelle: REUTERS
Swiss Army KnifeMit Schweizer Taschenmessern ist nahezu alles möglich - mittlerweile müssen sie auch als Berufsbezeichnung herhalten und gelten als Synonym für "Mädchen für alles". Also die Personen, die dann gerne für alle anfallenden Arbeiten herhalten müssen. Quelle: AP
Dream AlchemistTräumend muss man sich diesen Menschen nicht vorstellen, und verschiedene Zutaten mischt er auch nciht. Vielmehr werden so die Kreativchefs von Startup-Unternehmen bezeichnet, die Ideen so weiterentwickeln, dass daraus eine Marke entsteht. Quelle: dpa
Kindle Book EvangelistEs dauert sicher nicht lange, um diese Position zu erreichen: Es ist die Widmung für einen Mitarbeiter, der wieder und wieder Marketing und Verkauf der Kindle-Plattform für Autoren, Agenten und Kunden gleichermaßen predigt. Quelle: dpa
Happiness HeroesIn Deutschland besser bekannt als "Feel-Good-Manager", die in Unternehmen für eine gute Stimmung sorgen sollen. Quelle: REUTERS
Fashion EvangelistTumblr hat diese Position beispielsweise besetzt: Es ist weniger spektakulär als der Name zunächst klingt. Ziel ist es lediglich, große Marken mit noch unbekannten Marken zusammenzubringen - und natürlich sie überhaupt zu finden. Quelle: dpa

Der Doktor-Titel gehört nicht zum Namen. Er ist streng genommen noch nicht einmal ein Titel. Er ist ein akademischer Grad, so wie der Magister oder Diplom-Ingenieur. Und anders als der Titel Professor.

Erinnern wir uns an Helmut Kohl, der einst einen Journalisten anpampte: "Für Sie immer noch Doktor Kohl." Das war nicht nur superpeinlich, sondern obendrein auch noch anmaßend.

Selbst wenn man einen Doktor durchaus als Doktor anreden kann - einen Anspruch darauf hat der Promovierte nicht. Wer darauf besteht, als Doktor angesprochen zu werden, sollte sich der Höflichkeit halber vorab erkundigen, mit welcher schmückenden Floskel sein Gegenüber im Gegenzug angesprochen werden möchte. "Für Sie immer noch Herr Superjournalist", das hätte der Kollege damals mit gleichem Recht entgegnen können.

Auf den Doktor zu pochen, spricht Bände über das Selbstverständnis des Doktors. Bei den Bilanz-Pressekonferenzen der Deutschen Bahn steht auf dem Namensschild des Vorstandschefs "Dr. Grube". Dessen Dissertation handelt ja auch vom Flugzeug-Bau. So wie der Bäcker, der auf seine Ladentür schreibt: Frische Brötchen vom Malermeister. Was will die Bahn da kompensieren?

Bei der Deutschen Post steht "Frank Appel". Kein Hinweis auf seine Promotion in Neurobiologie. Ohne genaueren Blick auf die beiden Unternehmen müsste man doch unterstellen: Die Züge sind unpünktlich, auf DHL ist Verlass.

Als ich damals in meinem ersten Roman meinen Lektor des Rowohlt-Verlags dankend im Nachwort erwähnen wollte, rief er mich an: "Ich freue mich sehr darüber, aber bitte lass den Doktor weg. Es ist bei uns in der Branche total unüblich, den Titel zu erwähnen." In der Verlagsbranche glänzt man also lieber mit Leistung im Job.

Dafür habe ich in meinem Bekanntenkreis gleich mehrere Ärzte, die ihr Klingelschild mit "Dr." beschriftet haben. Nicht das Klingelschild ihrer Praxis wohlgemerkt, sondern das ihrer Privatwohnung. Was war da vorgefallen? Jedes Mal beim Klingeln denke ich drüber nach; es sind ja schließlich meine Freunde.

Mittlerweile glaube ich: Den Ärzten fehlt es inzwischen an sozialem Prestige. Da geht es ihnen fast so dreckig wie Piloten. Nun könnten Piloten ja an ihr Klingelschild schreiben "Pilot Michael Meier", oder gar "Pilot (LH) Michael Meier". Für noch mehr Oho aber Piloten streiken lieber für noch mehr Kohle. Denn dann kommt endlich mal wieder in die Presse, dass ohne sie nichts geht. Warum verdienen Postboten oder Lokführer eigentlich nicht das Gleiche? Ohne die geht doch auch nichts. Naja.

Nur noch Ramschstatus

Ärzte hingegen stehen schon ganz oben auf der Berufe-Prestige-Liste. Da geht nicht mehr. Mehr Kohle aus dem Gesundheitssystem zu pressen, das geht nicht so einfach wie bei einer privatwirtschaftlich betriebenen Fluggesellschaft. Und durch die Nachtdienste, Überstunden, die berühmten Zankereien mit dem aufmüpfigen Pflegepersonal und durch den privaten Medikamenten-Missbrauch aus dem Schränkchen mit den unverkäuflichen Mustern leidet mitunter der Teint und die Figur. Wer da nach zehn Berufsjahren noch einmal sexuell durchstarten will, braucht das Klingelschild.

Die unsinnigsten Berufsbezeichnungen
Rotationsdesigner Wer bei diesem Berufstitel an hoch-kreative Arbeit denkt, wird enttäuscht. Dahinter verbirgt sich ein bodenständiger Handwerksberuf: nämlich der des Drehers - übrigens in der Ausbildung heute zumeist "Zerspanungsmechaniker". Quelle: dpa
Facility Manager Laut Definition wäre bei dieser Berufsbezeichnung eigentlich die Rede von einem Ingenieur, der für die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit größerer Gebäudekomplexe verantwortlich ist. Im deutschen Berufsalltag ist es am Ende der Hausmeister, der laut Jobanzeige gesucht wird. Quelle: AP
Office Manager Wie heißt das Personal, dass die Büros der Chefs organisiert? Richtig! Office Manager! Gemeinhin auch besser bekannt als Sekretärinnen und Sekretäre. Terminplanung, Gesprächsannahme und so weiter fallen aber laut Ausschreibungen heute in den Bereich der Office Manager. Die Sekretärinnen in den Jobbeschreibungen sterben nach und nach aus. Quelle: dpa
Junior Clerk Die Berufsbezeichnung klingt modern und das "Junior" im Namen klingt so, als sei man mit diesem Titel kurz vor dem "Senior"-Posten in der Firma. Am Ende steht es in Kombination mit "Clerk" nur für die Tätigkeit eines einfachen Bürogehilfen. Quelle: dpa
Sales Manager oder Store Manager Wer diesen Titel trägt, macht durchaus "Managing"-Arbeiten. Die meisten rechnen hier aber nicht mit einem Verkaufsleiter einer Filiale, wie etwa im Supermarkt. Aber vor allem Arbeitnehmer dieser Branchen, schreiben diese Bezeichnung in ihren Lebenslauf. Quelle: obs
Öko-AuditorDer "Umweltgutachter" kontrolliert, dass umweltrelevante Verordnungen und Gesetzen eingehalten werden. Dass er den gleichen Job macht, wie der "Öko-Auditor", dürfte den meisten Gutachtern bekannt sein… Quelle: Fotolia
Key Account ManagerKlingt wunderschön kompliziert, ist es aber gar nicht: Wer als "Key Account Manager" arbeitet, hat den engsten Kundenkontakt in einer Firma, denn hinter dieser Berufsbezeichnung versteckt sich der Kundenberater. Spricht man vom "Key Accountant" ist es übrigens zumeist der "normale" Berater, hängt man das Wörtchen "Manager" hinten dran, handelt es sich um die Kontaktperson für die Großkunden. Quelle: dpa

Doch die Wirkung des Klingelschildes schwindet. Wer als promovierter Arzt heute Eindruck schinden will, muss in gesellschaftlichen Gruppen wildern, zu denen es sich noch nicht herumgesprochen hat: Der Doktor-Titel in der deutschen Medizin genießt in Europa praktisch nur noch Ramschstatus.

Früher war die Dissertation ein Symbol für die unbedingte Liebe des Wissenschaftlers zu seinem ganz eigenen Thema. Für ein einsames, karges, aber freies Leben, gewidmet allein der Erkenntnis.

Heute kriegt man hierzulande eine medizinische Dissertation in einem halben Jahr zusammengeklöppelt. Auch wenn die Unis in Deutschland langsam aufwachen und den Ruf ihrer medizinischen Fakultäten retten wollen: Er hat längst nachhaltig gelitten. Die Mediziner in Deutschland streuen in einigen Jahren schon so viele Doktortitel unter ihren Nachwuchs wie Juristen, Wirtschaftswissenschaftler, die Geistigen und die Ingenieure zusammen. Der wissenschaftliche Wert ist dabei nicht selten null. Und ausgerechnet die Ärzte gelten den Menschen landläufig als Herr und Frau Doktor. Haben die ein Glück.

Vielleicht gibt es bei all diesen Discount-Doktoren ja klammheimliche Missgunst der redlich Unpromovierten in den Reihen der Grünen. Die scheiterten in der vergangenen Legislaturperiode im Bundestag gemeinsam mit der restlichen Opposition mit einer Initiative, den "Dr." aus Reisepass und Ausweis zu streichen. International führt diese Angeberei im Pass nicht selten zu Verwirrung, denn nur in Deutschland prahlt man mit seinem Doktor. In welche Zeile im Computer soll also bitte beim Check-in im Bangkok dieses D und r eingetragen werden?

Doktor? No! Weg mit dem Doktor aus den Ausweisdokumenten. Den aus dem Leim gegangenen Ärzten bleibt ja noch das Klingelschild.

Letztendlich lässt sich der ganze Aufwand für die Angeberei für alle doch ohnehin ganz einfach abkürzen. Ganz ohne das halbe Jahr für eine hohle Dissertation zu verblasen. Nehmen Sie den Vornamen Dragomir an und kürzen Sie ihn auf dem Klingelschild ab. Den Titel nimmt Ihnen keine Prüfkommission.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%