Werner knallhart
Was Kekse im Büro für Mitarbeiter bedeuten können Quelle: imago images

Welcher Konferenzkeks-Typ sind Sie?

Keksäää! Kommt die Assistentin mit der blauen Blechdose, weiß jeder: Heute ist irgendwas Besonderes. Was dann passiert, spricht Bände über die Belegschaft.

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Im Büroalltag gilt ein Haufen von Regeln. Viele unausgesprochene (zum Beispiel: Wer so nett ist, eine Topfpflanze zu spendieren, muss sie natürlich auch selber bis zur Rente gießen) und auch einige explizite. Und zu den expliziten gehört die Regel: “Die Kekse sind nur für Gäste.“ Meiner Erfahrung nach gilt das eigentlich für jede Firma.

Die Kekse lagern in irgendeinem Büroschrank, für den ausschließlich die Assistentin der jeweiligen Abteilungsleitung den Schlüssel hat. Geht die in Urlaub, ist „Aushändigung Schlüssel Keksschrank“ ein wichtiger Posten bei der Übergabe an die Vertretung. Der Zugang zur blauen Blechdose von Bahlsen mit den „leckeren Kaffee-Begleitern“ oder zur grünen Blechdose von Delacre Tea Time „mit feiner belgischer Schokolade“ oder der schwarzen Dose mit dem Herz mit der Best Selection „exquisite Vielfalt fair trade“ von Lambertz.

Steht dann einmal eine Schale mit Keksen auf dem Konferenztisch, obwohl ein internes Meeting ohne Gäste von außerhalb ansteht, dann gehen bei Kollegen mit Berufserfahrung sofort die Alarmlampen an. Denn das kann nur bedeuten:

1.     Die Kekse sind von gestern übrig. Und die Praktikanten haben beim Aufräumen von der Assistentin die Anweisung erhalten: „Die restlichen Kekse könnt ihr stehen lassen. Irgendjemand frisst die morgen auf jeden Fall.“ Dann stopfen sich die Praktis zum Feierabend mit flacher Hand noch die letzten mit Schokoladenüberzug in den Mund und zurück bleiben ausgerechnet die Dinger, die besonders gut Luftfeuchtigkeit ziehen. Also: Finger weg.
2.     Kekse in der Konferenz, das könnte auch heißen: Die Mittagspause ist gestrichen. Die Konferenz wird länger. Da will sich die Geschäftsleitung nicht lumpen lassen: „Komm, Tanja, hol die Schatztruhe aus dem Büro. Fünf gerade sein lassen.“
3.     Die Kekse müssen langsam mal weg. Ich habe das schon erlebt. Plötzlich stehen stapelweise Süßigkeiten auf dem Tisch. Und wieder sind es die alten Hasen, die intuitiv die Verpackungen drehen und die Falze hochklappen. Aha, Mindesthaltbarkeit überschritten. Und der Chef strahlt: „Na und? Angegraute Schokolade - das ist nur Kakaofett. Die schmecken noch. Haut rein.“ Wenn Wertschätzung auf Sparsamkeit trifft. 

Den vollen Keksgenuss erleben wir also in aller Regel nur, wenn Gäste von auswärts da sind: Kooperationspartner, Kunden, Bewerber. Und selbst dann muss man ja sagen: Voller Genuss geht eigentlich anders. Säße man mit einer guten Tasse Kaffee und ein paar dieser Kekse zu Hause auf dem Balkon, ja, da würde man versonnen vor sich hin knabbern und von Zeit zu Zeit mal neugierig auf der Umverpackung der Dose überprüfen, wie denn dieser und jener Keks wohl heißt, der da gerade so lecker geknuspert hat. Aber kein Mensch kauft sich doch diese Kekse für zu Hause. Nein, das sind Bürokekse.

Die werden dann entweder liebevoll aus dem passgenauen knarzigen Kunststofftablett gefummelt, in dem die Kekse einsortiert sind wie die Spielsteine beim Spiel des Jahres von Ravensburger, und auf einem Teller drapiert (samt Fingerabdrücken auf der Glasur). Oder, wenn es mal wurscht sein darf, fliegt das Tablett einfach so auf den Tisch.

Und dann liegen sie vor einem:

Die „Ohne Gleichen“-Schokowaffel-Quadrate von Bahlsen (erinnern Sie sich an die Werbemelodie? Fast so stark wie die von Merci: Ooooohne Gleichääääään!).

Und deren Blätterteig-Ovale mit dem umschlagbar zähen Marmeladenklecks, der einem jeden beliebigen Zahnzwischenraum luftdicht versiegelt, während einem die Krümel in die Speiseröhre wehen.

Die knackig zarten dicken Röllchen namens Cigarettes Russes von Delacre, an denen man einfach saugen MUSS, bevor man reinbeißt. Reflex.

Die Butterkekse mit dicker Schokoschicht, in die Ornamente oder Wörter wie Délichoc eingeprägt sind.

Und dann die zerbrechlich dünnen Teigplättchen mit Schoko und Kokosstreuseln, für die es sich kaum zu kauen lohnt.

Lecker! Und nu?

Es gibt Firmen, in denen die Keksplatte freigegeben wird wie ein Buffet am 80. Geburtstag von Oma. Wenn die Chefin dann gönnerhaft auf die Plätzchen zeigt, als hätte sie sie selbst bezahlt. Was tun Sie dann?

Es gibt den Konferenzkeks-Typ, der reckt sich sofort ohne zu zögern unter schwerem Stöhnen über die Tischplatte, sagt Dinge wie „Aaaach naja, man gönnt sich ja sonst nichts“ oder „bevor's schlecht wird“, steckt sich den ersten Keks noch hängend über dem Tisch in den Mund und greift sich zwei, drei weitere, um sie sich neben dem Kaffee auf die Untertasse zu deponieren. Der Heute-ist-Schnitzeltag-in-der-Kantine-Typ.

Ganz anders die Leute, die die Initiative ergreifen, den Teller mit den Keksen zu sich heran ziehen, selber aber nichts nehmen, sondern das Gebäck nur herumreichen wollen. Manche sagen noch „ganz weit weg von mir bitte“, aber manche sagen auch gar nichts und wirken dann so, als würden sie ganz beiläufig eine Fliege verscheuchen. Weil Kekse von ihnen so nun überhaupt nicht als Lebensmittel wahrgenommen werden. Wer als Nächster in der Reihe dann noch zugreifen möchte, benötigt schon Selbstbewusstsein und Argumente: „Komm, her damit! Ich brauch Energie.“ Oder der Seitenhieb: „Ich kann's mir erlauben.“

Und dann die, die mit zuckenden Fingern über dem Teller kreisen und jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn sie während der laufenden Powerpoint-Präsentation vom Junior Manager flüstern: „Nomnomnom, die sehen ja alle so gut aus. Hach, herrlich, welchen nehm' ich denn? Ach, ich nehm' einfach mal den!“ Aha!

Und die, für die Essensaufnahme auch immer die Gelegenheit ist, seinen Lifestyle zu zeigen: „Sind da auch diese Mürbeteigplätzchen in Nierenform mit der Cafécreme und den Bitterschokoladensplittern dabei? Nein? Nee, dann will ich keine.“

Und schließlich die verkrampften Taktiker: Nimmt der Chef, nehm' ich auch. Dann haben wir was Gemeinsames. Beliebtes Vorgehen unter unsicheren Bewerbern im Vorstellungsgespräch. Weil sie Bewerbungs-Ratgeber gelesen haben, in denen auch sowas drin steht wie: „Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Walnuss zwischen den Pobacken. Damit nehmen Sie Haltung an.“ Dumm nur, wenn der Chef allen anderen bei den Keksen den Vortritt lässt. Da geht dann der Puls hoch.

Aber das sind ja alles seltene Ereignisse. In der Regel bleiben die Blechdosen unter Verschluss. Sparsame Chefs sind tatsächlich auch gut beraten, die Keksausgabe knapp zu dosieren, so dass sie ihre Mitarbeiter regelrecht konditionieren: der Keks als Zeichen größter Anerkennung. Die Kekskrümel auf dem Businesshemd als Statussymbol, das man stolz durch die Flure trägt: Mein Chef gibt mir Kekse! 

Diese Art von Wertschätzung ist allemal billiger als ein Firmenwagen.

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