Wirtschaftsanwälte 155.000 Euro für Einsteiger – und doppelte Schichten

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Hohes Gehalt, hohe Erwartung

So hoch die Gehälter sind, so hoch ist auch die Erwartungshaltung an die Kandidaten: Die Berufseinsteiger bekommen klare Vorgaben, wie viele abrechenbare Stunden – Billable hours – sie leisten müssen, die dem Klienten unmittelbar in Rechnung gestellt werden können. Das können 1.500, aber auch 2.200 sein je nach Kanzlei. Compliance-Anwältin Karin Holloch, die selbst viele Jahre in mehreren angelsächsischen Kanzleien arbeitete, berichtet: „2.100 Billables – so der Fachjargon – sind im Jahr problemlos zu schaffen. Dann ist aber für gar nichts anderes mehr Zeit.“ Zumal rund 20 Prozent Bürostunden im Schnitt obendrauf kommen, die keinem Klienten im üblichen Sechs-Minuten-Takt überbordet werden können.

Der Düsseldorfer Sportrechtsanwalt Paul Lambertz spottete denn auch über die Milbank-Meldung mit dem 200.000-Dollar-gehalt: „Praktisch ist auch, dass man sich eine eigene Wohnung spart, weil man eh immer in der Kanzlei ist. Das vergessen viele. Bleibt also noch mehr hängen!“ Denn was sich als Einstiegsgehalt so üppig anhört, verliert seinen Zauber bei näherem Hinsehen. Gängiger Anwälte-Scherz ist: Verlässt ein Anwalt die Kanzlei um 19 Uhr, wird er oft gefragt: „Sind Sie auf einen Halbtagsjob umgestiegen?“ 

Ihre 70 Wochenarbeitsstunden geben Junganwälte nur hinter vorgehaltener Hand zu, denn der Arbeitsschutz erlaubt diese Dauer-Exzesse eigentlich nicht. Aber die Behörden kontrollieren es kaum. Bekommt eine Kanzlei doch mal eine Buße aufgebrummt, weil sie verpfiffen wurde, zahlt sie, schweigt und heftet das Ganze nur ab – um genauso weiterzumachen. Die einfache Formel für diese Großkanzlei-Jobs lautet also: Doppeltes Gehalt für doppelte Schicht. Tägliche Arbeitszeiten bis 22 oder 23 Uhr sind normal, Samstagsarbeit gerne obendrauf und wenn es um einen aktuellen Deal geht, bleibt grade noch ein paar Stunden, um zu schlafen.

Nicht jeder Top-Kandidat will zur Großkanzlei

Das muss man wollen und so viel Einsatz verringert die Zahl der möglichen Kandidaten für die 160.000-Euro-Jobs. Von den fünf bis zehn Prozent, die die hohen Einstellungsbedingungen und die Top-Noten vorweisen können, will nur jeder zweite überhaupt in eine Großkanzlei, schätzt Schneider-Brodtmann. Auch das Richteramt, Staatsanwaltschaft oder die vielen Jobs in Kommunen reizen viele dieser Top-Talente, die sich womöglich auch eine bessere Work-Life-Balance versprechen. Zudem gibt es in Deutschland mit seinen insgesamt 165.000 Anwälten sowieso nur 500 im Jahr von diesen Top-Kandidaten „mit voller Kriegsbemalung“ – so nennen sie Insider. Dazu gehören: Zwei Prädikatsexamina nach Studium beziehungsweise Referendarzeit mit einem voll befriedigend, obendrauf ein LLM aus den USA oder Großbritannien und am besten auch noch ein Doktortitel. Allein dieser Abschluss ist ein echtes Investment und kostet die Absolventen je nach Höhe der jeweiligen Uni-Gebühren rund 50.000 Euro.

Die renommierten Kanzleien fordern als Einstellungsbedingung unisono zwei Prädikatsexamen, also mindestens mit der Note „voll befriedigend“. Michael Hendricks, Junganwalt bei Freshfields, erklärt: „Ein voll befriedigend hört sich in der Schule fast wie sitzenbleiben an, doch für einen Jurastudenten ist das super.“ Die Note „gut“ ist sehr selten, ein „sehr gut“ kommt praktisch nicht vor. Ohnehin besteht von drei Jurastudenten im ersten Semester am Ende nur einer das Examen. Dann kommt noch die Referendarzeit, wer dann noch Zusatzqualifikation wie LLM oder die Promotion absolviert, startet frühestens mit 30 Jahren ins Berufsleben. Dann haben manche gut bezahlten Facharbeiter schon einen Verdienstvorsprung erarbeitet, der sich frühestens Jahre später einholen lässt.

Doch auch wenn die hohen Gehälter Benchmarks setzen, so wollen doch immer mehr junge Menschen nicht mehr auf ein Familienleben verzichten und nehmen dafür auch Gehaltsabstriche in Kauf. Jens Ortmanns, Partner bei McDermott spricht für viele, wenn er sagt: „Nachhaltiger ist es, den Nachwuchs durch exzellente Ausbildung, eigenverantwortliche Tätigkeiten, gute Teamkultur und eine ausgewogene Work-Life-Balance zu überzeugen“. 

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Andere gehen zwar zu den renommierten Kanzleien, suchen sich da aber weniger exponierte Berufsfelder wie Baurecht oder Verwaltungsrecht, die zwar viel niedrigere Stundensätze einspielen – aber dafür planbar sind und ohne Wochenend- und Nachteinsätze wie bei M&A-Deals auskommen. Doch selbst die teuren M&A-Anwälte schielen ganz neidisch auf eine andere Berufsgruppe: die M&A-Banker, mit denen sie immer verhandeln. An die komme sein Salär selbst in den besten Zeiten nicht heran, sagt ein renommierter Anwalt. Und ergänzt: Das wäre sein Beruf im nächsten Leben. 

Mehr zum Thema: Keine Branche wurde so radikal amerikanisiert wie die der Wirtschaftsanwälte. Die Profite stiegen kräftig, doch der Preis ist hoch: Partnerschaften verdienen oft den Namen nicht mehr.

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