Mehrere Jahre lang schon hatte der IT-Mitarbeiter des rheinischen Handelsunternehmens keine Gehaltserhöhung bekommen. Es schien ihm jedoch, als erführe er nicht die ganze Wahrheit: Seine Kollegen, so vermutete er, bekämen womöglich genau jene Gehaltszuschläge, die man ihm verwehrte. Also vertraute er seinen Kummer einem befreundeten Kollegen in seiner Abteilung an. Und erfuhr, „ganz im Vertrauen“, dass der andere für den gleichen Job gut 50 Prozent mehr Lohn erhielt.
„Diese Ungerechtigkeit“, erzählt Arbeitsrechtler Michael Kliemt, „beschäftigte bald die gesamte gut 20-köpfige Abteilung – und die schlechte Behandlung des einzelnen sorgte für so eine Unruhe, dass die meisten von ihnen das Unternehmen verließen.“
Der Fall zeigt, was auch Studien seit Längerem belegen: dass sich Unternehmen mit allzu großen Gefällen in ihrer Lohnstruktur am Ende vor allem selbst schaden. Erst recht in Zeiten, in denen Fachkräfte wie etwa Entwickler begehrt sind. Und es immer einfacher wird, sich über die Löhne in einem Unternehmen zu informieren: Das Portal Stepstone etwa liefert all jenen, die nach einer Stelle suchen nicht nur die Lohnspannen für die Position in ihrer Branche, sondern auch konkrete Zahlen, wo das Wunschunternehmen steht.


Und auch der rechtliche Spielraum für Gehaltsunterschiede wird kleiner: Die EU-Kommission hat vor Kurzem eine Richtlinie vorgeschlagen, die die Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen beheben soll. Sie sieht vor, dass der Arbeitgeber für Lohngerechtigkeit sorgen muss. Schon in der Stellenausschreibung muss er etwa eine Verdienstspanne angeben.
Sebastian Müller vom Berufsverband der Fach- und Führungskräfte (DFK) glaubt: Die könnte in zwei bis drei Jahren in Deutschland umgesetzt sein.
Für viele Unternehmen ist das ein Novum, erläutert Arbeitsrechtler Thomas Müller von Lutz Abel: Denn „nicht mal 30 Prozent der Betriebe in Deutschland sind unmittelbar tarifgebunden“ – und auf höher bezahlten Führungspositionen ist es mit der Gleichheit erst recht nicht weit her.
Die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen liegt laut Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung immer noch bei 18 Prozent.
Und so versuchen viele Unternehmen Gehaltsunterschiede unter der Decke zu halten – mit zweifelhaften Mitteln. Schon im Arbeitsvertrag verpflichten sie Mitarbeiter, über die Höhe ihres Lohns kein Wort zu verlieren.
Jury und Methodik
Methode: Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte mehr als 5200 Juristen aus 288 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen im Arbeits- und Gesellschaftsrecht. Nach Bewertung der Jury setzten sich im Arbeitsrecht 69 Kanzleien mit 123 Anwälten und für Gesellschaftsrecht 39 Kanzleien mit 73 Juristen durch.
Die Jury für Arbeitsrecht: Nicolás Knille (Telefónica Deutschland), Daniela Loy (Osram), Jörg Staff (Fiducia & GAD IT), Alexander Zumkeller (ABB)
für Gesellschaftsrecht: Jan Eckert (ZF-Friedrichshafen), Martin Schlag (Thyssenkrupp)
für beide: Claudia Mayfeld (Knorr-Bremse), Claas Westermann (RWE), Achim Schunder (C. H. Beck)
Der DFK hat für die WirtschaftsWoche 200 Arbeitsverträge von Konzernen, aber auch kleineren Unternehmen untersucht. Das Ergebnis: In mehr als jedem zweiten Vertrag, 53 Prozent, stehen Lohnschweigeklauseln. „Dabei wissen die Konzerne mit Rechtsabteilungen durchaus um die Unwirksamkeit der Klauseln, nur bei kleineren Unternehmen kann es Unwissenheit über die Rechtslage sein“, urteilt DFK-Geschäftsführer Müller.
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Rechtlich zulässig nämlich sind diese Verschwiegenheitsklauseln nicht. Schon 2009 urteilte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, dass Arbeitgeber auch bei der Lohngestaltung dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet sind. Und ohne Lohntransparenz könne der Mitarbeiter nun mal nicht wissen, ob er gleichbehandelt wird und ob er Ansprüche auf Gleichbehandlung hat.
Trotzdem schreiben die Unternehmen die Verschwiegenheitsklauseln übers Gehalt weiterhin in die Arbeitsverträge, „allein schon wegen ihrer psychologischen Wirkung“, sagt Arbeitsrechtler Stefan Röhrborn von Vangard. Damit sich Arbeitnehmer dran halten, um keine Abmahnung zu riskieren, sicherheitshalber.
Dem rheinischen Handelsunternehmen hatte sein Bemühen um Heimlichkeit samt seinen Verschwiegenheitsklauseln in den Arbeitsverträgen jedenfalls gar nichts gebracht, erzählt Arbeitsrechtler Michael Kliemt. Außer Ärger.
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