Wut und Frust im Büro "Einige denken, ihre Kollegen sind geisteskrank"

Die Kollegen nerven nur noch, der Chef bringt Sie ständig auf die Palme – Wut und Frust im Büro sind weit verbreitet. Was man am besten dagegen tut, und warum Wut auch beflügeln kann, erläutert der Psychologe und Coach Manuel Tusch.

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Frust im Büro ist weit verbreitet. Quelle: Fotolia

WirtschaftsWoche Online: Herr Tusch, wann waren Sie während der Arbeit zuletzt wütend und frustriert?
Manuel Tusch: Das ist so lange her, ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Ich werde nur sehr selten wütend oder frustriert.

Glückwunsch, dann sind Sie offenbar eine Ausnahme: Laut der neuesten Studie von Gallup hat in Deutschland bereits jeder siebte  Arbeitnehmer innerlich gekündigt, 70 Prozent schieben nur Dienst nach Vorschrift. Woran liegt das?
Viele haben das Gefühl, dass sie zu wenig verdienen, klagen über fehlende Anerkennung und zu wenige Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung. Arbeit wird als stumpf und sinnlos empfunden. Einige denken sogar, dass ihre Kollegen und Kunden geisteskrank sind.

Wann es Zeit für einen Jobwechsel ist
FrustWenn Sie gar keine Freude mehr an dem haben, was Sie tun, wenn Sie schon morgens mit Bauchschmerzen aufstehen und die positivste Stimmung, zu der Sie an der Arbeit fähig sind, eine genervte Grundhaltung ist, sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie dauerhaft so weitermachen wollen. Die Düsseldorfer Outplacement-Beraterin Heike Cohausz rät in einem solchen Fall: "Stellen Sie sich zunächst folgende Fragen: Was genau hat meinen Frust ausgelöst? Wieso möchte ich nicht mehr mit meinem Chef arbeiten? Welche konkreten Situationen haben dazu geführt, dass ich gehen will?" Können Sie die Faktoren, die Ihren Frust auslösen, nicht verändern oder beeinflussen, sollten Sie ernsthaft über einen Jobwechsel nachdenken. Quelle: Fotolia
Zu wenig GehaltIhre Arbeit sollte Ihrem Chef mehr Geld wert sein? Dann sollte Sie natürlich der erste Weg zu Ihrem Vorgesetzten führen. Wenn Ihr Unternehmen wegen seiner wirtschaftlichen Lage aber nicht mehr zahlen kann, gibt es zwei Möglichkeiten: das Ganze so hinnehmen oder gehen. Gerade für Arbeitnehmer, die bereits öfter bei Lohnerhöhungen übergangen worden sind, wäre letzteres der richtige Weg. Laut einer Studie von TNS Infratest zusammen mit der Personalberatung Cribb ist gerade für Männer die Unzufriedenheit mit ihrem aktuellen Gehalt ein Wechselgrund. Von einem Jobwechsel versprechen sich laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Online-Stellenbörse Jobware rund 30 Prozent der Befragten ein höheres Einkommen - und das kriegen Sie in der Regel auch. So bestätigt eine Umfrage des Personaldienstleisters Experis unter 1049 Arbeitnehmern, dass 56 Prozent der Befragten mit dem neuen Arbeitsplatz auch mehr Gehalt bekommen. Marcus Schmidt, Geschäftsführer der Personalberatung Hanover Matrix, sagt: "Steigerungen um zehn Prozent liegen dabei im Normbereich." Quelle: Fotolia
Gestiegene AnforderungenImmer mehr, immer schneller: Sie müssen immer mehr Arbeit bestenfalls in der gleichen, am liebsten aber in der Hälfte der Zeit, erledigen? Kollegen, die in den Ruhestand gehen oder kündigen werden nicht ersetzt, sondern die Arbeit bleibt an den übrigen Mitarbeitern hängen? Wenn es sich nicht nur um kurze Stressphasen - beispielsweise wegen Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen - handelt, sind stetig steigende Anforderungen ohne entsprechende (pekuniäre) Würdigung für 17 Prozent ein Grund für eine Kündigung. Wenn Sie dem wachsenden Arbeitsberg nicht mehr Herr werden und auch keine Besserung in Sicht ist, wäre ein Jobwechsel eine Option.(Quelle: Umfrage des Personaldienstleisters Kelly Services unter 2200 Beschäftigten) Quelle: Fotolia
LangeweileDoch auch das Gegenteil gibt es häufig: Die Aufgaben, die Sie zu erledigen haben, sind überschaubar - und vor allem monoton. Sie langweilen sich nine to five. Bei einer Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half unter mehr als 2400 Fachkräften sagte beispielsweise jeder zweite deutsche Arbeitnehmer, dass er für die Chance auf mehr Abwechslung sofort bei einem neuen Arbeitgeber anheuern würde. Und ein Jobwechsel kann dann tatsächlich etwas bewirken. Die Experis-Umfrage unter 1049 Jobwechslern zeigt, dass 46 Prozent derer, die den Schritt gewagt und gekündigt haben, ihre Tätigkeit nun für vielfältiger halten. Ein Viertel der Studienteilnehmer bemerkte, dass sich das sehr positiv auf die eigene Motivation auswirkte. Quelle: dpa
Wichtigstes Kriterium bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers: Der Standort Quelle: AP
Zeit für die FamilieOb wegen Pendelei, Arbeitsberg oder Überstunden - manchmal fehlt einfach die nötige Zeit für Freunde, Familie und Privatleben. In diesem Fall müssen Sie sich die Frage stellen, ob Ihnen Ihr Job das Wert ist. "Jede Lebenssituation ist anders und auch die Ziele können im Lauf der Zeit variieren", sagt Beraterin Cohausz. Wenn es für den Berufseinsteiger noch völlig in Ordnung war, 60 Stunden die Woche zu arbeiten und durch die Welt zu jetten, ist dieses Modell für junge Eltern gänzlich ungeeignet. Auch für den älteren Arbeitnehmer wäre ein anderes Arbeitsmodell eventuell sinnvoll, auch wenn das alte Jahre lang gut funktioniert hat. "Ein Seiten- oder Rückschritt kann für eine ruhigere Phase im Leben, etwa um mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können, sinnvoll und wichtig sein", sagt Cohausz. Auch ein Funktions- oder Branchenwechsel können sinnvoll sein. Fragen Sie sich: Wo möchte ich in zehn Jahren stehen? Bringt mich der Schritt dorthin? Ist mir Führungsverantwortung wirklich wichtig? Quelle: Fotolia
KarrierechancenFür viele soll es allerdings nicht seit- oder rückwärts, sondern nach vorne gehen. Aber viele können in ihrem Unternehmen maximal 67 werden, mehr geben die Perspektiven nicht her. Wer mehr von seinem Berufsleben möchte, muss sich in diesem Fall nach einem neuen Job umsehen. Tiemo Kracht, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Kienbaum empfiehlt unzufriedenen Arbeitnehmern zu überprüfen, ob die Unternehmens- und Ertragsentwicklung eine tragfähige Basis für eine weitere Karriere bietet. "Wenn die nächste Führungsebene, für die Sie sich vorbereitet haben, mit einem Kandidaten besetzt wird, der jünger, im gleichen Alter oder geringfügig älter ist, kann der nächste Karriereschritt auf Jahre versperrt sein ", sagt er. Quelle: Fotolia

Geisteskrank? Jetzt übertreiben Sie aber.
Keineswegs. Genau so formulieren es viele meiner Klienten.

Alle reden vom Fachkräftemangel – da dürfte es doch nicht so schwierig sein, einen besseren Job zu finden.
Da muss ich Sie enttäuschen, den perfekten Arbeitsplatz gibt es leider nicht. Ich coache seit 15 Jahren Menschen aus den verschiedensten Branchen und Hierarchieebenen. Ob Apotheker, Bäcker, Busfahrer, Chirurg oder Fernsehmoderator: Jeder hat gute Gründe, unzufrieden zu sein. Ich bezweifle aber, dass an einem neuen Arbeitsplatz dann alles besser wäre. Die Grundprobleme tauchen überall wieder auf. Klar, es gibt durchaus ein paar Einzelfallprobleme, bei denen ein Jobwechsel angeraten ist. Wenn Sie objektiv unterbezahlt sind oder gemobbt werden, haben Sie guten Grund, sich anderweitig umzuschauen. Aber mehr Geld hätten wir alle gerne, und nicht jede Reiberei mit Kollegen ist gleich Mobbing. Da hilft kein Wechsel, vielmehr muss an der inneren Einstellung gearbeitet werden.

Welche Berufe glücklich machen
die glücklichsten Menschen arbeiten in Hamburg Quelle: dpa
Die Jobsuchmaschine Indeed hat sich der Zufriedenheit deutscher Arbeitnehmer angenommen und nachgefragt, wer mit seinem Job besonders zufrieden ist. Die glücklichsten Berufe in Deutschland sind demnach eine bunte Mischung aus allen Ausbildungswegen und Hierarchiestufen. So gehören zu den Top 20 der zufriedensten Berufe viele traditionelle Handwerksberufe wie Maurer, Tischler oder Elektriker. Zufrieden sind allerdings auch - entgegen aller Klischees - Lehrer und Krankenschwestern. An der Spitze der Liste stehen Trainer, studentische Hilfskräfte und, wenig überraschend, Geschäftsführer. Laut dem Meinungsforschungsinstituts YouGov sind allgemein nur sieben Prozent der Deutschen wirklich unzufrieden mit ihrem Job, 75 Prozent der Arbeitnehmer macht ihre Arbeit mehrheitlich Spaß. Damit sie sich im Beruf wohl fühlen, brauchen 27 Prozent der Beschäftigten neue Herausforderungen, für 18 Prozent ist ein abwechslungsreicher Arbeitsalltag wichtig, für 15 Prozent bessere Gehaltsaussichten. Immerhin 14 Prozent wollen „etwas Sinnvolles“ für die Gesellschaft tun. Die folgenden Berufe erfüllen diese Kriterien - und machen glücklich. Quelle: Fotolia
Gärtner und Floristen sind zu 87 Prozent glücklich. "Ich arbeite in einer Umgebung, die ich mag, und tue etwas lohnendes und sinnvolles", gaben sogar 89 Prozent von ihnen an. Quelle: Fotolia
Jemand frisiert einen Puppenkopf Quelle: dpa
Männer arbeiten an Toiletten. Quelle: AP
Die ersten Nicht-Handwerker in der Glücksrangliste sind ausgerechnet Marketing- und PR-Leute (75 Prozent). Die Wahrheit steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Glück. Quelle: Fotolia
Jemand hält einen Glaskolben mit einer Flüssigkeit darin. Quelle: AP

Haben wir überhöhte Erwartungen an unseren Job?
Ja, wir Deutschen sind da in gewisser Weise nimmersatt. Wir erwarten, dass der Job uns steinreich macht und wir jeden Tag gebauchpinselt werden. Die Arbeit soll zudem immer spannend sein und gleichzeitig auch noch die Welt retten. Das geht aber alles nicht. Auch den Herz-Chirurgen, der unzählige Leben rettet, quält irgendwann die Routine.

Wie äußern sich denn diese Unzufriedenheit und der Frust bei der Arbeit?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen sich mehr reinknien und mehr leisten, wenn sie die entsprechende Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Frustrierte Mitarbeiter hingegen machen vielfach nur noch Dienst nach Vorschrift oder sabotieren gar. Da verschwindet dann schon mal ein Aktenordner oder eine Computerdatei wird gelöscht.

So entkommen Sie Wut und Frust im Job
eine Frau meditiert Quelle: Fotolia
Frau hat einen Wutanfall Quelle: Fotolia
Mann hält sich den Mund zu Quelle: Fotolia
Frau hält sich die Ohren zu Quelle: Fotolia
Ein Mann und eine Frau unterhalten sich Quelle: Fotolia
Eine Frau trinkt aus einer Wasserflasche. Quelle: dpa
Ein Mann im Anzug kurz vor'm Sprint Quelle: Fotolia

Wie wär’s mit Reden statt Sabotieren?
Die meisten Probleme am Arbeitsplatz resultieren in der Tat aus einer unglücklichen Kommunikation. Es entstehen häufig Missverständnisse mit Kollegen oder Vorgesetzten, die wir nicht ganz zuordnen können. Wir sollten uns trauen, dies anzusprechen. Meistens stellt sich heraus, dass der Kollege uns nicht absichtlich wütend machen wollte und es nicht böse gemeint hat.

Wie Sie Probleme richtig ansprechen

Also stelle ich den Kollegen am besten gleich zur Rede?
Grundsätzlich gilt: je eher, desto besser – vorausgesetzt, Sie haben Ihre Emotionen im Griff. Im Zweifel ist es empfehlenswert, eine Nacht darüber zu schlafen, bevor man den Kollegen anspricht.

Und wenn das nicht hilft?
Drei Chancen hat jeder verdient. Ändert sich auch nach dem zweiten Anlauf nichts, machen Sie deutlich, dass Sie sich gegebenenfalls an den Vorgesetzten wenden werden.

Mit wem wir uns im Beruf am häufigsten streiten

Wie spreche ich Probleme mit den Kollegen beim Gespräch mit dem Vorgesetzten an?
Sie sollten versuchen, den Sachverhalt so objektiv wie möglich zu schildern und das Ganze mit einer ganz klaren Bitte an den Vorgesetzten versehen, wie er Sie unterstützen kann. Denn auch viele Vorgesetzte weichen Konflikten gerne aus. Sie hören sich das Problem an und dann versandet es. Deshalb ist es wichtig, dass sie Ihrem Vorgesetzten klar machen, wie er Ihnen dabei helfen kann, das Problem zu lösen.

Vita Manuel Tusch

Und was mache ich, wenn mich nicht der Kollege, sondern der Vorgesetzte zur Weißglut treibt?
Viele Vorgesetzte sind sich dessen oft gar nicht bewusst und dankbar für frühzeitige Signale. Denn ein schlechtes Betriebsklima oder gar Mitarbeiter, die sich hinter seinem Rücken gegen ihn verschwören, sind sicher nicht im Interesse des Vorgesetzten. Wir denken immer, wir müssen das Kind erst in den Brunnen fallen lassen, aber davon hat am Ende keiner was.

Kann Wut auch beflügeln?
So wie Angst uns vor gefährlichen Situationen bewahren kann,  ist Wut ein Gefühl, aus dem wir durchaus Kraft schöpfen können.

Und wie wandle ich die negative ganz konkret in positive Energie um?
Indem ich mir klar mache, dass hinter meiner Wut eine starke Kraft steckt. Bevor ich in eine schwierige Situation gehe, suggeriere ich mir „Egal, was kommt, ich nutze es positiv für meine Zwecke!“. Wenn ich das im Geiste nur oft genug wiederhole, geht es in Fleisch und Blut über – und wird zu einem Automatismus, der mich in schwierigen Situationen beschützt.

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