Stefan Bleyl ist beruflich viel unterwegs und nicht immer sind Kunden oder Vorgesetzte ein Quell der Freude. Ein Werbespot brachte den 29-Jährigen schließlich auf die Idee: Er ging zu Hartmut Mersch und ließ seinen Jobfrust gegen Geld an einem Büro aus. Mersch hat im März im Münchener Stadtteil Pasing den „Wutraum München“ eröffnet: Für 139 Euro können genervte Arbeitnehmer bei ihm ein komplett möbliertes Büro zerdeppern.
Der Wutraum verbirgt sich in einem Hinterhof an der Landsberger Straße. Beim Betreten fällt der Blick auf zwei Bildschirme über einer kleinen Theke. Auf den Bildschirmen sind die zwei Räume zu sehen, in denen sich die Kunden austoben können: Besagtes Büro und ein kleines, schmuckloses Wohnzimmer.
Direkt links von der Eingangstür hängen Schutzbrillen, Handschuhe, Mützen. „Damit sich niemand verletzt“, erklärt Mersch. Darunter hängen einige Baseballschläger und zwei Vorschlaghämmer. Einige der Schläger sind schon reichlich zerbeult, der Stil eines Hammers ist abgebrochen und zersplittert. „Den muss ich noch austauschen“, sagt der Betreiber. Am Vortag hätten sich zwei junge Frauen am Mobiliar ausgelassen. Drucker, Kopierer, Schreibtisch und Hammer konnten dem nicht Stand halten. Überhaupt buchen bei dem sympathischen Münchner viele Frauen, wie er erzählt.
Obwohl er erst sechs Wochen geöffnet hat, hat er pro Tag mindestens zwei Kunden, die ihren Frust einmal anders abbauen wollen als nur durch Bürostuhlyoga. Die meisten buchen das Büroangebot, erzählt Mersch. Warum das so ist, kann sich Kunde Stefan Bleyl gut erklären: „Das Wohnzimmer ist ein Ort, an dem ich mich wohlfühle“, sagt er. „Das mache ich nicht kaputt. Aber Büro, Job, den Kopierer - das macht schon Spaß.“ In nur 15 Minuten habe er alles kurz und klein geschlagen. „Danach war ich richtig befreit“, sagt er.
Mit wem wir uns im Beruf am häufigsten streiten
Je mehr ein Mensch mit einem anderen zu tun hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie aneinander geraten. Entsprechend gaben 37 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage "Streit - erfolgreich oder folgenreich" der IHK Frankfurt an, sich häufig mit Kollegen beziehungsweise Mitarbeitern zu streiten.
Mehr als ein Drittel gab an, sich häufig mit Führungskräften zu streiten.
Ein Viertel sagte, dass sie häufig mit der Geschäftsleitung aneinander geraten.
23 Prozent streiten sich häufig mit Kunden.
Bei 14 Prozent sind Zulieferer ein häufiger Streitgrund und -partner.
Elf Prozent streiten sich häufig mit Behörden, mit denen sie beruflich zu tun haben.
Jeweils sieben Prozent gaben an, sich mit Gesellschaftern beziehungsweise Kooperationspartnern in die Haare zu kriegen.
Nur drei Prozent geraten häufig mit Kapitalgebern und Banken aneinander.
Das Aufräumen übernehmen dann Mersch und seine zwei Mitarbeiter. Die zertrümmerten Möbel und technischen Geräte wandern zunächst in einen Container auf dem Hinterhof und gehen dann an einen entsprechenden Reststoffhof. Zwei Stunden dauert es, aus dem Trümmerfeld, das die Kunden hinterlassen, wieder ein Büro zu machen. Das Mobiliar dafür stammt aus Wohnungsauflösungen, von Möbelhäusern, die defekte Möbel loswerden wollen oder von Firmen, die ihre alten Drucker, Scanner und Kopierer entsorgen wollen. „Wir sind hier nur ein Zwischenschritt, bevor die Sachen auf den Müll wandern“, sagt Mersch.
Zertrümmert wird, was andere loswerden wollen
Damit scheint er bei Betrieben und Privatleuten offene Türen einzurennen. In dem kleinen Flur, der den Wutraum Büro und den Wutraum Wohnzimmer miteinander verbindet, stehen vier große Bürokopierer hintereinander und warten auf ihren Auftritt. Mittlerweile melden sich die Betriebe, die ihre alten Einrichtungsgegenstände loswerden wollen, direkt bei ihm. Zuvor hatte er noch Klinken putzen müssen.
Dass die Kunden das Angebot so gut annehmen, erklärt sich Mersch mit dem Leistungsdruck, unter dem immer mehr Menschen stehen. Entsprechend wundert es ihn nicht, dass am Standort München das Demolieren von Büromöbeln der Renner unter seinen Angeboten ist. „Wer im Büro arbeitet, kennt das: Da hat man Ärger mit dem Chef und dann da hängt der Kopierer wieder, Papierstau. Und dann kann man endlich das Ganze bereinigen, auf andere Art.“
Was bei der Arbeit stresst
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Managementfähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Ein weitere Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Doch am problematischsten, laut der Studie: die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Manche Kunden bringen sogar eigene Baseball- oder Golfschläger mit oder haben spezielle Einrichtungswünsche, um sich möglichst individuell auslassen zu können. Untermalt wird die Zerstörungsorgie mit Musik – wahlweise dem eigenen Lieblingssong oder etwas aus der Playlist von Mersch und seinem Team. Wer möchte, kann sich auch Unterstützung mitbringen – gemeinsames Zerstören verbindet. Jedoch dürfen aus Sicherheitsgründen maximal zwei Menschen eine Einrichtung kaputt schlagen. Weitere Freunde und Kollegen können das Spektakel an der Theke auf dem Monitor verfolgen. Drinks inklusive. Die Akteure selbst können sich anschließend ein Gläschen genehmigen. Während des Zerdepperns müssen sie nüchtern sein.
Was Psychologen vom Zertrümmern halten
Doch nach der Zerstörungsorgie ist bei den meisten erstmal das Bedürfnis nach Ruhe angesagt: Das Zertrümmern erschöpft nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Das Gute ist: Danach haben die meisten keine Lust mehr, sich über Kunden, Kollegen oder den Bahnstreik aufzuregen. „Wenn man eine halbe Stunde lang so ein Zimmer verwüstet hat, ist man danach selbst am Ende“, erklärt Mersch. Erschöpft, aber zumindest kurzfristig nicht mehr frustriert oder wütend.
Mal so richtig auszurasten - ist das wirklich hilfreich als Stressabbau? „Mal zu schreien oder etwas kaputt zu machen geht schon“, meint Psychologin Ilona Bürgel. Man dürfe es bloß nicht als Dauerlösung gegen Stress im Job einsetzen; eher als ein kurzfristiges Ventil.
Wutforscher Manuel Tusch erklärt, dass die meisten Probleme am Arbeitsplatz ihre Ursache in einer unglücklichen Kommunikation finden. „Es entstehen häufig Missverständnisse mit Kollegen oder Vorgesetzten, die wir nicht ganz zuordnen können. Wir sollten uns trauen, dies anzusprechen. Meist stellt sich heraus, dass der Kollege uns nicht absichtlich wütend machen wollte und es nicht böse gemeint hat“, so Tusch im Interview mit der WirtschaftsWoche.
Auch Bleyl bewertet seine Attacke auf das Büro im Wutraum lediglich als Ventil, nicht als Therapieansatz, wie er sagt. Trotzdem würde er das Angebot auf jeden Fall noch einmal nutzen. Einfach weil es Spaß gemacht habe, einmal etwas im großen Stil kaputt machen zu dürfen – ohne sich anschließend ums Aufräumen kümmern zu müssen.