Zwischen Depression und Selbstverwirklichung Das verhängnisvolle Glücksversprechen der Arbeit

Seite 2/2

Die Fugenlosigkeit der Arbeit

Den Mangel, den Sennet beklagt, nennt Grünewald "Werkstolz". In immer mehr modernen Arbeitsplätzen ist die Möglichkeit, in absehbaren Zeiträumen Werke zu schaffen, auf die man stolz blicken und verschnaufen kann, abhanden gekommen. Sowohl für Manager zum Beispiel als auch für weniger qualifizierte Mitarbeiter in der Dienstleistungsbranche, etwa in Call-Centern steht am Ende eines Arbeitsabschnittes kaum ein greifbares Ergebnis, kein Werk, das man stolz betrachten – und währenddessen verschnaufen kann. Die Arbeit bietet keine spürbaren Zäsuren.

Beschleunigung - nicht nur im Arbeits-, sondern auch im Privatleben - ist für den Soziologen Hartmut Rosa das zentrale Merkmal der Gegenwartsgesellschaft: Wir sparen immer mehr Zeit, sind aber nie schnell genug und können die Ersparnis daher nie genießen. Ein Acht-Stunden-Tag 2014 ist nicht derselbe wie ein Acht-Stunden-Tag 1980. Die Brutto-Arbeitszeitreduzierungen, die die Gewerkschaften erkämpft haben, holten sich die Arbeitgeber nämlich beim Netto klammheimlich zurück. "Die Fugen in der Arbeitszeit, die in den Betrieben früher stets vorhanden waren, das Schwätzchen auf dem Gang oder bei der Rauchpause, sind verschwunden", sagt der Zeitforscher Karl-Heinz Geißler. "Das ist die Ursache des Stresses, über den heute geklagt wird: die Fugenlosigkeit der Arbeit."

Fünf Tipps, damit Ihnen Ihr Job wieder Spaß macht
Fangen wir doch gleich mal mit dem "Nein " sagen an. Lassen Sie die Kollegen 2014 einfach nicht mehr alles auf Sie abwälzen. "Könntest du bitte hier...", "würde es dir etwas ausmachen, wenn..." Wenn Sie immer den Mist der anderen miterledigen, kommen Sie selber nicht voran und glücklicher werden Sie damit auch nicht. Also sagen Sie "Nein". Und zwar persönlich, nicht per Mail. Auch wichtig: Begründen Sie Ihr Nein und bieten Sie Alternativen an. Quelle: Fotolia
Und wo wir schon dabei sind, dass Sie sich gegen etwas entscheiden - entscheiden Sie doch öfter etwas. Natürlich innerhalb Ihres Kompetenzbereichs. Nutzen Sie Ihre Entscheidungsfreiheit und hören Sie auf, sich wegen jedem Kinkerlitzchen hundertmal rückzuversichern. Das ist weder gut fürs Selbstbewusstsein, noch macht es sonderlich viel Spaß. Quelle: Fotolia
Schließlich wird niemand gerne wie eine Marionette gelenkt. Falls Sie das Gefühl haben, an Ihrem Arbeitsplatz nur die Marionette des Chefs oder der Kollegen zu sein, müssen Sie daran etwas ändern. Legen Sie für sich fest, welche von den auf Sie abgewälzten Aufgaben wichtiger ist und wie Sie sie erfüllen. So gewinnen Sie - zumindest teilweise - die Herrschaft über Ihr Tun zurück. Quelle: Fotolia
Dafür ist natürlich eine Strategie unabdingbar. Nicht nur Ihre, sondern auch die der Vorgesetzten. Deshalb ist es wichtig, dass der Chef klare Anweisungen gibt: Wer macht was wann und warum. Gibt es die nicht automatisch, bestehen Sie darauf, dass Ihnen Ihr Chef sagt, wohin er mit dem Projekt will und welche Aufgaben Priorität haben. Dann kann sich auch keiner verzetteln. Quelle: Fotolia
Ihre Vorgesetzten loben zu wenig bis gar nicht? Dann tun Sie es doch! Loben Sie Ihre Kollegen, wenn etwas gut geklappt hat. Mit etwas Glück werden demnächst auch Sie gelobt - und das tut immer gut. Egal, von wem es kommt. Quelle: Fotolia

Psychische Erschöpfung entsteht, wenn sich Menschen als Getriebene widriger Umstände und vielfältiger Ansprüche empfinden, die unaufhörlich auf sie wirken:  Hohe Arbeitsanforderungen bei niedrigem Tätigkeitsspielraum. Psychisch krank werden daher meist nicht die Chefs und nicht die Freiberufler, sondern Angestellte.

Abstellen kann der einzelne Arbeitende die Belastung durch das immerwährende Effizienzdiktat nicht. Aber er kann sich innerlich, emotional befreien. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie an der Berliner Charité empfiehlt leidenden Arbeitnehmern genau das, was Arbeitgeber nicht hören wollen: die innere Emigration. Sich nicht aufreiben für die Firma, Nein sagen, Distanz zum Job, sein Selbstbewusstsein aus anderen Lebensbereichen ziehen.

Das heißt nichts anderes als das moderne – zugleich marxistische und kapitalistische – Heilsversprechen der Erwerbsarbeit vergessen. Heuser empfiehlt Menschen, die an ihrem Job leiden einen Einstellungswechsel: „Die Arbeit muss mich nicht glücklich machen, sie ist auch nicht dafür da, meinem Leben einen Sinn zu geben – sie muss mir nicht mal Spaß bringen. Sie ist einfach nur mein Broterwerb.“

Der alte Marx und die modernen McKinsey-Kapitalisten, die ihm näher stehen, als sie meinen, verdienen deutlichen Widerspruch: Die Gesellschaft ist eben gerade nicht im Gleichgewicht, wenn sie sich allein um das Zentralgestirn Arbeit dreht, sondern wenn keine gesellschaftliche Domäne überproportional betont wird. Auch die Wirtschaft nicht. Der Wert eines Menschen für sich selbst und die Gesellschaft sollte nicht allein nach seiner Arbeit bemessen werden. Das tut ihm unrecht, verletzt seine Würde – und seine seelische Gesundheit.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%