Besser im Job Wie Sie mit Achtsamkeit Ihre Leistung steigern

Das Trendthema Achtsamkeit ist in der Wirtschaft angekommen. Immer mehr Unternehmen bieten Workshops für ihre Führungskräfte an und stellen fest: Die Mitarbeiter werden produktiver und kreativer.

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Achtsamkeit im Beruf: Wie sie sich sammeln und so konzentrierter im Job werden. Quelle: Getty Images

Früher musste das E-Mailpostfach immer leer sein, sonst ging Mounira Latrache nicht nach Hause. Die Folge: Sie machte oft Überstunden – sehr oft. „Ich war in einem Modus, in dem ich nur noch funktioniert habe“, sagt Latrache, die bis vor wenigen Wochen Managerin des YouTube Space in Berlin war. „Die Qualität der Arbeit hat gelitten und ich war weniger authentisch und verbunden mit mir selbst.“ Dann entdeckte sie Achtsamkeit und Meditation für sich. Bei Google – zu dem das YouTube Space gehört – vermittelte sie, seit 2012 das achtsame Miteinanderarbeiten und meditierte fast täglich in der Mittagspause. Anfangs kamen nur wenige Kollegen, erst in den letzten Jahren nahm das Thema Schwung auf. Damals war sie gerade ein Jahr beschäftigt.

Google ist eines der Unternehmen, das seinen Mitarbeitern mit „Search Inside Yourself“ schon früh ein Programm für persönliches Wachstum angeboten hat. Mittlerweile haben mehr als 1500 Mitarbeiter den Kurs absolviert.

Was im Silicon Valley längst als Zündstoff für gesteigerte Produktivität und Kreativität gilt, setzt sich in Deutschland nur langsam durch. Aber auch hier gibt es Vorreiter. So bieten etwa Bosch, Continental oder Beiersdorf Achtsamkeitsprogramme an oder haben andere Maßnahmen ergriffen, um ihre Mitarbeiter wieder zufriedener zu machen. Bei Beiersdorf etwa werden die E-Mails nur drei Mal am Tag abgerufen, am Wochenende bleibt das E-Mailpostfach zu.

Beim Konzept der Achtsamkeit geht es darum, sich bewusst zu machen, was im Hier und Jetzt passiert – es zu betrachten und nicht zu bewerten. Das muss man trainieren. Unser Gehirn versucht immer alle Gedanken, menschliche Interaktionen und Situationen zu bewerten. Achtsames Handeln führt in der Folge zu Veränderungen, die dringend nötig sind. So zeigte etwa eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2013, dass 70 Prozent aller Angestellten am Arbeitsplatz nicht richtig bei der Sache sind – eine erschreckend hohe Zahl.

Tobias Esch ist Professor für Integrative Gesundheitsversorgung/Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke und erforscht seit Jahren, inwieweit Stress durch Achtsamkeit reduziert werden kann. Sein Ergebnis: Wer meditiert, verändert seinen Hormon- und Botenstoffspiegel und senkt so den Stress. „Stressassoziierte Erkrankungen wie ständige Erkältungen, Rückenschmerzen oder ein steigendes Herzinfarktrisiko sollten nicht unterschätzt werden“, sagt Esch. Hinzu kommen psychische Erkrankungen, die seit Jahren zunehmen. Das kostet die Wirtschaft jährlich Milliarden.

Was bei der Arbeit stresst

„Gestresste Mitarbeiter haben häufig verkürzte Aufmerksamkeitsspannen – und machen mehr Fehler“, erläutert Esch, der darüber ein Buch mit „Selbstheilungscode“ geschrieben hat. Aber nicht nur das: Sie sind auch öfter und vor allem länger krank. In den letzten 40 Jahren hat sich allein die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen verfünffacht. Laut DAK Gesundheitsreport waren das 2016 knapp 38 Tage.

Die Folge: Die Kollegen müssen die Ausfälle auffangen und sind wiederum tendenziell stärker gestresst. „Es ist ein Teufelskreis, den man nur schwer verlassen kann.“ Hinzu kommt, dass die Zeiten, die wir für Entspannung eingeplant haben, immer geringer werden. „Wir haben uns die Freiräume für Muße abtrainiert“, gibt Esch zu Bedenken. „Wir reagieren und agieren geradezu ohnmächtig und verlieren nach und nach die Kontrolle über unser Leben.“

Achtsamkeit fördert auch den Teamgeist

Die Unternehmen müssen dringend Abhilfe schaffen. Achtsamkeit und Meditation können da durchaus einen Beitrag leisten. Über Untersuchungen mit Magnetresonanztomografie (MRT) konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass sich das Gehirn durch Achtsamkeitsmeditation verändert. Forscher der Universität Gießen haben herausgefunden, dass der Mandelkern – unter anderem der Sitz des Angstzentrums – kleiner wird, während der Hippocampus wächst. Die Gedächtnisleistungen der Probanden nahmen zu.

Und noch eine entscheidende Veränderung ließ sich an den Hirnscans ablesen: Die grauen Zellen im präfrontalen Cortex vermehrten sich – und die sind dafür zuständig, wie Menschen Situationen beurteilen und emotional auf sie reagieren.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch US-Wissenschaftler um die Harvard-Psychologin Sara Lazar, die als Pionierin der Meditationsforschung gilt. Sie fand heraus, dass die Hirnareale, die für Aufmerksamkeit und Sinneswahrnehmung zuständig sind, deutlich mehr neuronale Verschaltungen aufweisen.

So entspannen Deutschlands Manager
Wolfgang Otto, Gründer des Otto Gourmet Versandhandels"Zehn Tage unrasiert, beim Sonnenschein im Liegestuhl an der frischen Luft in den Bergen - da erhole ich mich am besten!"
Oliver Bolay, Geschäftsführer bei E wie einfach"Erholung heißt für mich, morgens am Rhein entlang dem Dom und dem Tag entgegenzuradeln. Die Nähe zum Wasser, der Wind und die Ruhe in Mitten der Großstadt entschleunigen den Alltag und machen den Kopf frei."
Arno Walter, Bereichsvorstand Privat- und Geschäftskunden bei der Commerzbank"Ich entspanne am Besten bei Musik. Dabei spielt meine Stimmung eine große Rolle für die Auswahl der Stilrichtung. Von Klassik über Pop bis hin zu Rock und anderen Musikrichtungen ist alles möglich. Und auch wenn ich immer noch gerne CD's kaufe, beginnt - dank MP3 - die Entspannung meistens schon im Auto bei der Heimfahrt."
Dickjan Poppema, Chef der Düsseldorfer Networkagentur Grey"Am liebsten erhole ich mich in der Provence, keine Frage. Aber zuhause ist es auch richtig schön. Die Engländer nennen das 'Staycation', und in der Tat erholt man sich zuhause super. Die lange Anreise entfällt und wenn das Wetter mitspielt und der Sohnemann grillt, ist alles gut."
Stefan Brok, Aral-Vorstandschef"Ich kann hervorragend entspannen am und im Meer, am liebsten beim Tauchen mit meinen Töchtern!"
Frank Behrendt, Vorstand fischerAppelt AG"Am besten kann ich mich im Fußballstadion entspannen und abschalten. Handy aus, Atmosphäre an. Ob in Duisburg die Zebras jubeln oder der Betzenberg rockt- da mittendrin zu sein ist für mich Entspannung pur. Meine Frau und meine drei Kinder habe ich inzwischen auch schon angesteckt. So fiebern wir oft zu fünft am Wochenende in der Arena mit und haben gemeinsam Spaß abseits des Jobs."
Harald Wohlfahrt, meitstgekürter deutscher Koch"Mit der Enkeltochter auf Balkonien ist Relaxen pur. Gemeinsam lachen und die knappe Zeit sinnvoll genießen."

Seit Jahren erforscht auch Niko Kohls, Professor für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg, die Thematik. "Achtsames Handeln fördert nicht nur die Gesundheit, sondern auch Teamgeist, Kreativität und Produktivität", unterstrich er Anfang des Jahres gegenüber WirtschaftsWoche Online. Er hat 25 Unternehmen, Schulen und Hochschule untersucht, die Achtsamkeitsprogramme anbieten. Das Ergebnis: Bereits nach kurzer Zeit ließen sich psychologische und neurobiologische Veränderungen beobachten. Die Mitarbeiter fühlten sich nicht nur ausgeruhter, sie waren offenbar auch konzentrierter bei der Sache: So sank etwa der Zeitaufwand für Meetings um bis zu 30 Prozent. Durch das achtsame Handeln hatten die Teilnehmer gelernt, zu hinterfragen, ob ihr Einwand wirklich hilfreich und nötig ist – die Selbstreflexion und die Wahrnehmung der eigenen Emotionen hatte sich verbessert.

Einer der Lehrer ist Christopher Tamdjidi. Er ist Geschäftsführer der Kalapa Leadership Academy, die mit Kohls gemeinsam die bislang größte Achtsamkeitsstudie aufgesetzt und durchgeführt hat. Unternehmen wie Bosch, Beiersdorf und Continental setzen auf die Expertise der Akademie.

„ Es stellt sich nun nicht mehr die Frage, ob Achtsamkeitsmethoden wirken, sondern wir können noch differenzierter eruieren, wie Achtsamkeit im Kontext von Führung und Arbeitsalltag wirkt“, sagt Tamdjidi. „Dazu versuchen wir den Teilnehmer ganz klar, wieder die Freude an ihrer Arbeit zurückzugeben, zum Beispiel, indem sie ein Tagebuch schreiben, was gut gelaufen ist.“ Wir sehen schlicht das Positive nicht mehr, gibt er zu Bedenken. Dagegen kann man aber mit Achtsamkeit etwas tun. Außerdem verstehen die Teilnehmer durch das Programm, das sie ihre Kollegen – und eine gute Beziehung zu ihnen - brauchen. „Denn heute löst keiner Probleme mehr alleine.“ Meditation und Achtsamkeit hält Meditationsforscher Esch für einen guten Grundstein, aber nicht für ein Allheilmittel. Denn: Menschen, die diese Techniken anwenden, fangen auch an, über die Sinnhaftigkeit ihres Handelns und Seins nachzudenken. In der Folge könnten Missstände noch deutlicher zu Tage treten. Die Folge: Die Fluktuation der Mitarbeiter nimmt zu.

Latrache hat sich mittlerweile selbstständig gemacht – mit ihrem Wissen zu Achtsamkeit und Anteilsnahme. „Ich bin nicht nur eine bessere Führungskraft geworden, sondern haben für mich auch einen ganz neuen Weg gefunden, zu arbeiten,“ sagt sie. Ihre Sicht auf viele Dinge habe sich geändert: „Ich arbeite seit der Praxis viel fokussierter und konzentrierter, habe gleichzeitig aber auch mehr Spaß an der Arbeit und kann führen, in dem ich den ganzen Menschen mit einbeziehe.“

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