„Vor allem Frauen ab Mitte 40 sind von Schlafproblemen betroffen“, sagt Dieter Riemann, Leiter des Schlaflabors an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Das könne einfach hormonell bedingt sein, weil sich der weibliche Körper noch einmal verändert. Oder etwa mit der häufigen Doppelbelastung zu tun haben: „Viele dieser Frauen sind berufstätig, haben Kinder bekommen – und zwei Kinder, die nachts Fürsorge fordern, sind gutem Schlaf sicher nicht zuträglich“, sagt Riemann.
Genau das hat die American Academy of Neurology in einer Studie gemeinsam mit der Georgia Southern University untersucht: Wie beeinflussen Kinder den Schlaf ihrer Eltern? Um diese Frage zu beantworten, wurden insgesamt 5800 Menschen zu Kindern, ihrem Schlafverhalten und ihrer Müdigkeit befragt. Das Ergebnis: Je mehr Kinder im Haushalt leben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen weniger Schlaf finden.
„Unsere Ergebnisse zeigten, dass die Mütter nicht nur zu wenig schlafen, sondern sich auch den ganzen Tag über häufig müde fühlen“, erläutert Studienleiterin Kelly Sullivan. Ganz anders bei den Männern: Deren Studienergebnisse zeigten nämlich, dass sie gleich lang oder kurz, gut oder schlecht schliefen – egal ob und wie viele Kinder mit ihnen zusammenlebten. Großer Schlafvorteil für die Männer und Doppelminus für die Frauen.
Das Paradoxon des Frauenschlafs
Manche Studien legen sogar nahe, dass Frauen eigentlich mehr Schlaf benötigen als Männer. Etwa das Ergebnis einer nicht repräsentativen Studie des britischen Schlafforschers Jim Horne. Der Direktor des Sleep Research Centre der Loughborough University vermutet, dass Frauen im Schnitt zwanzig Minuten mehr Schlaf benötigen, damit ihr Gehirn sich erholen kann. Der Düsseldorfer Schlafforscher Grüger geht sogar von einer durchschnittlich 30 bis 45 Minuten aus.
Von diesem Ansatz hält Schlaflaborleiter Riemann von der Universität Freiburg wenig: „Es gibt keine klaren Anzeichen dafür, dass Frauen grundsätzlich mehr Schlaf bräuchten als Männer – oder umgekehrt.“ Als Faustregel gelte, Menschen zwischen 25 und 65 Jahren brauchen in den westlichen Industrienationen zwischen sechs und acht Stunden Schlaf.
Falsche Volksweisheiten rund um den Schlaf
Falsch. Menschen haben unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Als optimal gelten im Schnitt sieben Stunden. Aber letztlich muss jeder sein Optimum finden. Bestes Indiz: Wer sich tagsüber fit fühlt, hat nachts genug geschlafen.
Falsch. Die Qualität des Schlafs hat damit nichts zu tun. Unserem Körper ist es egal, wann wir einschlafen. Viel wichtiger ist, genügend Stunden tief und fest zu schlummern. Doch klar ist: Je später wir ins Bett gehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dieses Pensum zu erreichen.
Falsch. Kurzfristig geht das vielleicht, langfristig sind unregelmäßige Schlafzeiten eher schädlich. Unser Körper liebt Beständigkeit, sie ist essenziell für guten Schlaf. Arbeiten Sie lieber an Ihren Gewohnheiten unter der Woche, anstatt am Wochenende Schlaf nachzuholen. Oder fühlen Sie sich fit, wenn Sie zwölf Stunden durchgeschlafen haben?
Falsch. 45 Prozent der Deutschen gehen zwar davon aus, der Mond habe Einfluss auf ihren Schlaf. Ein Zusammenhang zwischen Mondphase und Schlafdauer ließ sich bisher aber nicht nachweisen. Erklären lässt sich dieser Volksglaube eher mit dem Phänomen selektiver Wahrnehmung: Wer nachts wach liegt und am Himmel den Vollmond entdeckt, prägt sich solche Momente stärker ein.
Allerdings sind sich beide Experten einig, wenn es um ein weibliches Schlaf-Paradoxon geht: „Frauen haben eine längere Tiefschlafphase als Männer“, sagt Grüger. „Auch dauert die Einschlafphase bei Frauen länger an als bei Männern.“ Die Folge: Frauen können schneller wieder hochgeschreckt werden, obwohl sie auf dem Weg ins Land der Träume sind. Also haben Frauen in der Regel einen tieferen Schlaf, klagen aber nichtsdestotrotz häufiger über Schlafstörungen und ständige Alarmiertheit. „Das ist paradox und hat bis heute noch niemand erklären können“, sagt Riemann.
Ob sich dies nun aber in der Genetik, dem eigenen Lebensstil oder im Urinstinkt des weiblichen Geschlechts begründet – sich dabei auf einen einzelnen Aspekt festzulegen, da sind Schlafforscher gemeinhin vorsichtig. Letztendlich könnte es alles oder nichts davon sein: „Es ist wie vieles in der Medizin oder Biologie: Was genau der Grund ist, warum Frauen häufiger über Schlafprobleme klagen, ist schwer auszumachen“, sagt Riemann.