
Jedes Jahr dasselbe: Vor allem in der Vorweihnachtszeit leiden die Menschen unter dem zunehmenden Gefühl permanenter Zeitnot und Zerstreuung. Wir leben in einer Gesellschaft, die seit etwa 300 Jahren durch eine stete Beschleunigung aller Lebensprozesse gekennzeichnet ist, findet Ulrich Schnabel. Der Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ macht dafür vor allem die moderne Technik, die Jagd nach Erlebnissen und eine zunehmend gehetzte Politik verantwortlich. Aber nicht nur. Schuld sei auch der Verlust von Sinnbezügen. Deshalb richtet er in seinem neuen Buch den Scheinwerfer auf eine moderne Gegenwehr mit einem alten Namen: die Kunst der Muße. Viel zu oft im Alltag fällt uns das bewusste Abschalten schwer. Viel zu oft ließen wir zu, dass uns die wachsende Informationsflut vereinnahmt und an unserer Konzentrationsfähigkeit nagt.
Pausen für die grauen Zellen
Und viel zu selten gönnen wir uns echte Auszeiten, die aus nichts weiter bestehen als Abschalten und Nichtstun. Schnabel nennt es das klassische Paradox der Moderne: Wir verfügen über immer weniger Zeit, obwohl wir mithilfe der Technik eigentlich immer mehr Zeit sparen sollten. Doch dahinter stecken oft nur unsere eigenen Gewohnheiten, die uns davon abhalten, die Gelegenheiten zur Besinnlichkeit wahrzunehmen und zu ergreifen.
Muße, so der Autor, hänge wesentlich davon ab, dass wir uns selbst beschränken und ganz auf eine Sache konzentrieren. Oder anders formuliert: Unser Gehirn verlangt regelmäßige Erholungspausen, damit die grauen Zellen funktionsfähig bleiben – und wir selbst glücklich und zufrieden. Mittagsschläfe, Tagträumereien, Meditationen oder schlichtes Aus-dem-Fenster-Schauen seien alles andere als verlorene Zeit, im Gegenteil: Bewusste kleine Auszeiten fördern Wohlbefinden, Kreativität und Leistungskraft. Höchste Zeit also, umzudenken und sich wieder das Vergnügen des Vorsichhindösens, des Faulenzens und Sinnierens zu gönnen. Schnabels Rezept dazu: „Machen Sie es wie Odysseus! Wer zur Ruhe kommen will, muss sich manchmal selbst binden, um den Sirenengesängen der unendlichen Möglichkeiten zu widerstehen.“