Meine Patientin hatte einen Reha-Antrag gestellt, weil private Schwierigkeiten sie so sehr unter Druck gesetzt hatten, dass sie mehr und mehr Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bekam: Konzentrationsschwierigkeiten, labile Stimmung, Schlaflosigkeit und darauf folgende ständige Erschöpfung. Die Kindergärtnerin hatte auch bemerkt, dass sie zunehmend gereizt auf schwierige Situationen mit ihren Kindern reagiert hatte, was sie unbedingt ändern wollte.
Auslöser für die familiären Probleme war vor allem ein Konflikt mit ihrem Sohn, der auf die 30 zuging, immer noch im Haus seiner Eltern lebte und dem es sehr schwer fiel, den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Bei ihm wurden schon im Kindesalter das Tourette- sowie Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) diagnostiziert, nachdem er jahrelang große Probleme in der Schule gehabt hatte. Unter entsprechender Medikation hatte er eine glücklichere Jugend verbracht und schließlich einen guten Schulabschluss erreicht, hatte dann jedoch die Medikamente absetzen und in der Folge zwei Ausbildungen aufgrund der hohen Stressbelastung abbrechen müssen. Nun fehlten ihm strukturierter Alltag und besonders das Selbstvertrauen, um den Einstieg nochmals zu versuchen.
Jahre andauernder Konflikt
Meine Patientin war als Mutter natürlich emotional in diese Situation stark involviert und schwankte irgendwo zwischen Ärger, Hilflosigkeit und Traurigkeit. Ihr fehlte der räumliche und emotionale Abstand zu der Situation: als ihr Sohn noch gearbeitet hatte, hatte sie jeden Morgen gehorcht, ob ihr Sohn auch zur Arbeit ging, jedes Mal wenn er eine Absage bekam, sah sie, wie verzweifelt ihr Sohn war. Sie hatte versucht, ihn bei vielen verschiedenen Aufgaben zu unterstützen und anzutreiben, er wurde dann jedoch oft wütend und wollte seine Probleme lieber selbstständig bewältigen – ein klassischer Konflikt im Abnabelungsprozess zwischen Kindern und Eltern, der sich nun jedoch über Jahre zog.
Wie gehen Sie mit Stress und Ärger um?
Denken Sie darüber nach, welche Faktoren Stress auslösen und bringen Sie diese in eine Rangfolge. Nicht alle Gründe wiegen gleich schwer. Stressauslöser, die bisher als unumgänglich gelten, könnten zu körperlicher und seelischer Beeinträchtigung führen.
In kritischen Situationen spontan regieren zu können, ist nicht nur auf der Straße wichtig. Auch im Büro sollte die Bedeutung des Bauchgefühls nicht unterschätzt werden. Wer in Situationen mit Kollegen und Kunden zu kopflastig reagiert, kann sie in Sekunden vergraulen. Laut Conen ist Intuition lernbar – und kann wieder erweckt werden, falls man dazu bereit ist.
Jede Veränderung schenkt ein Stück neues Leben. Dennoch ist nicht jeder Unmut Grund genug, alles über den Haufen zu werfen. Veränderung ist kein Allheilmittel. Tiefen durchzustehen ist das eine, chronischer Frust das andere.
Viele vermeiden es über Jahre, sich Erschöpfung einzugestehen. Ein Burnout kann ein schleichender Prozess sein. Jahrelanger Medikamenten, Alkoholmissbrauch, Autoimmunerkrankungen oder psychische Auffälligkeiten weisen auf Erschöpfung hin.
Lernen Sie ihre Sinne wieder einzusetzen. Riechen und fühlen Sie die Natur oder konzentrieren Sie sich auf die verschiedenen Bestandteile ihres Essens. Verlangsamen Sie eine Aktivität wenn es möglich ist und genießen Sie den Augenblick. Versuchen Sie die Umgebung abzuscannen und sich einzuprägen.
Das Chamäleon sollte das Tier dieses Jahrhunderts werden. Es zeigt alle Fähigkeit, die heute notwendig sind. Vor allem kann es sich auf veränderte Bedingungen einstellen. Es geht nicht darum, seine Authentizität zu verlieren. Es geht darum, sich nicht mehr zu wünschen, dass alles wieder so wird, wie es mal war. Das macht unglücklich. Wagen Sie in der Jobkrise den Sprung in eine zweite Karriere.
Hinterfragen Sie, wo Sie wie viel Energie investieren und ob es sich lohnt. Hinterfragen Sie Ihre innere Motivation und konzipieren Sie um. Schaffen Sie es Ihr Energielevel unter Kontrolle zu halten, bleibt mehr für die Freizeit über.
Achten Sie nicht nur darauf, was Personen in Ihrem Umfeld sagen, sondern auch, wie sie es sagen. Die Wechselwirkung mit dem Gegenüber und die Umstände einer Konversation beeinflussen das Ergebnis in hohem Maße.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Gast im Ratequiz „Was bin ich?“. Welche Eigenschaften, und dazu zählen eben auch die kleinen Fähigkeiten, machen Sie aus? Protokollieren Sie die Bereiche, die bisher noch nicht ausreichend zur Geltung kommen. Da gibt es bestimmt mehrere.
Eine positive Selbstbewertung senkt das Stresslevel. Fangen Sie morgens an mit einer positiven Grundstimmung und versuchen Sie, dieses Gefühl den Tag zu halten. Positive Selbstgespräche oder kurze tägliche Ritual helfen dabei. Auch malen, schreiben oder eine freundliche Büroeinrichtung wirken positiv.
Dabei sollte die Selbstbeobachtung nicht vergessen werden. Intuitive Selbstkontrolle hilft, während eines Gesprächs die Reaktionen seines Gegenübers nicht zu übersehen. Wie Sie auf andere wirken, lässt sich leicht bei einem Abschied erkennen. Ist die Situation entspannter, als bei der Begrüßung, hat sich der Gesprächspartner wohl gefühlt.
Seminare, lebenslanges Lernen, neue Herausforderungen. Nutzen Sie wirklich alle Ihre Bildungsurlaubstage? Haben Sie wirklich schon alles gelernt, was Sie sich vorgenommen haben? Trainieren Sie, nicht zu schnell zu satt zu sein und fordern Sie von sich selbst, mehr aus sich zu machen.
Ärger kann in kürzester Zeit zu Antriebslosigkeit führen. Das Take-Care-Prinzip soll helfen, sich weniger zu ärgern: Versuchen Sie zunächst, Ärger von sich fernzuhalten. Nicht jede Meinungsverschiedenheit mit Kollegen oder den Nachbarn ist einen Streit wert. Falls es doch dazu kommen sollte, distanzieren Sie sich innerlich. Einen Witz machen kann helfen. Sollte es doch heftiger kommen, ist es wichtig, sich beim Sport oder einen Urschrei abzureagieren.
Egal ob im Beruf oder im Privatleben, eine Entscheidung sollte nicht alleine aus dem Kopf heraus getroffen werden. Beziehen Sie Ihren Bauch mit ein. Auch wenn Sie ein Gefühl rational nicht nachvollziehen können, sollten Sie versuchen, es zu ergründen. Es könnte sein, dass ihre innere Stimme weiser ist, als Sie in diesem Augenblick.
Seien Sie die Schlange, nicht das Kaninchen. Reagieren Sie schneller als die anderen. Also erwarten Sie stets das Unerwartete, lernen Sie zu improvisieren, lösen Sie sich rasch von Denkmustern. Und vor allem: verändern sie Gewohnheiten.
Wer sich aufgibt, wird zum Spielball der Umgebung. Bestärken Sie sich jeden Tag darin, dass Sie über Ihr eigenes Lebens bestimmen. Conen empfiehlt: „Lernen Sie mitten im Geschehen zu sein und doch darüber zu stehen.“ Sie kommen mit Störungen besser um, wenn Sie sich als freier und selbstbestimmter Mensch fühlen.
Der räumliche Abstand, der normalerweise entsteht, wenn Kinder ausziehen, dämpft diese Konflikte üblicherweise und sorgt dafür, dass Kinder ihren eigenen Weg gehen und Eltern sie gewähren lassen. Die Gewöhnung an diese neue Situation ist zwar oft schwierig, aber notwendig und wichtig. Wenn der räumliche Abstand jedoch nicht möglich ist – wie im Beispiel meiner Patientin, wo ein Auszug des Sohnes mit viel zu hohen Kosten verbunden gewesen wäre – muss das Abstandhalten geübt werden. In den Therapiesitzungen führten wir deshalb Rollenspiele durch. Wunsch meiner Patientin war zunächst gewesen, dass sie gegenüber ihrem Sohn einmal all ihren Ärger rauslassen könne.
Verantwortung abgeben, andere respektieren
Also spielte ich ihren wütenden Sohn und sie schrie zurück, was sie sich sonst nie getraut hatte. Nachdem wir uns kurze Zeit wüst angeschrien hatte, brach sie allerdings emotional völlig überaktiviert in Tränen aus und fühlte wieder Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. In den folgenden Rollenspielen übten wir, die Verantwortung im Gespräch an den Sohn abzugeben und dieses mehr auf eine Handlungsebene zu bringen. Das Respektieren der Autonomie des Sohnes fiel ihr zunächst schwer, klappte aber mit Übung immer besser. Sie fühlte sich wohler als Mutter, die Angebote macht, Entscheidungen aber nicht forciert und sich selbst aus der Verantwortung nimmt.
Die Übungen hatten glücklicherweise auch zur Folge, dass ihre Schuldgefühle sich etwas verminderten. Lange hatte sie sich vorgeworfen, zu nachlässig mit ihrem Sohn umgegangen zu sein, jetzt konnte sie die Erfahrung machen, dass mehr emotionaler Druck vermutlich für beide Seiten nicht hilfreich gewesen wäre. Während der Reha hielt sie nur sporadischen Kontakt zu ihrem Sohn, der ein Berufsfindungsjahr startete, um danach einen neuen Anlauf für eine Ausbildung starten zu können. Keine einfache Perspektive – aber zumindest die emotionale Belastung sollte sich ein Stück weit reduziert haben.
Geritt Müller heißt eigentlich anders. Er arbeitet als Psychotherapeut in einer Klinik im Sauerland. Um die Identität seiner Patienten zu schützen, und damit er freier schreiben kann, haben wir ihm einen anderen Namen gegeben.