Montagmorgen, 9.05 Uhr im Konferenzraum. Während der Abteilungsleiter die Quartalszahlen vorträgt, huschen schnell noch drei Kollegen durch die Tür. Der Raum ist voll. Die Zuspätkommer lehnen sich hinten an die Wand. Ein Blick durch die Runde verrät: Vorn spielt ein Kollege Candy Crush, ein anderer schreibt eine Mail. Eine Kollegin weiter rechts malt geduldig Käsekästchen. Der Minutenzeiger der Uhr bewegt sich nur schleppend.
Nach einer Stunde beendet der Redner endlich seinen Monolog. "Noch Fragen?" Lautes Schweigen: Kollegen klappen ihre Timer zusammen, packen ihre Laptops in die Taschen, scharren mit den Füßen. Eine Mitarbeiterin meldet sich „Was ich nicht ganz verstanden habe…“, ein Raunen geht durch den Raum.
Meetings wie diese sind Alltag in Unternehmen weltweit - und oft genauso überflüssig wie sie sich anfühlen. Dies zeigt die aktuelle Studie "Time Talent Energy" von Bain & Company. Die Managementberatung hat 300 Führungskräfte aus Konzernen in zwölf Branchen über den Zusammenhang von Humankapital und Produktivität befragt. Das Ergebnis: 40 Prozent aller Meetings sind ineffektiv, kosten die Unternehmen dafür aber sehr viel Geld.
Diese sechs Faktoren führen Unternehmen zum Erfolg
Beschleunigte Adaption an Kundenwünsche und Produkteinführung, höheres Mitarbeiterengagement – wer agil arbeitet, verfünffacht seine Erfolgsrate. Die Erfolgsrate bildet den relativen Einfluss eines Erfolgsfaktors auf den wirtschaftlichen Gesamterfolg eines Unternehmens ab. Sie beschreibt, um wieviel die Erfolgswahrscheinlichkeit steigt, wenn der jeweilige Erfolgsfaktor umgesetzt wurde. Erfolg wird hierbei an einer überdurchschnittlichen Marge und Wachstum festgemacht.
Quelle: Umfrage "Organization of the future", BCG Analyse
Ausübung der strategischen Rolle, Best-Practice Sharing, Exzellenz in Unterstützungsfunktionen: 36 Prozent der Unternehmen mit einer effektiven Zentrale sind überdurchschnittlich erfolgreich. Wenn dies nicht erfüllt ist, liegt die Erfolgsquote bei lediglich 18 Prozent.
Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) muss der Unternehmensstrategie folgen und den Verantwortlichen genug Spielraum einräumen. Unternehmen, die dies berücksichtigen, haben eine dreimal so hohe Erfolgsrate.
Unternehmen mit deutlicher Nähe zu lokalen, kundennahen Ebenen sind doppelt so erfolgreich wie die Konkurrenz. Firmen mit effektiver Unterstützung der lokalen Märkte sind zu 39 Prozent überdurchschnittlich erfolgreich. Fehlt diese Unterstützung, schneiden nur 26 Prozent der Unternehmen wirtschaftlich besser ab als der Wettbewerb.
Funktionen wie IT, Finanzen, Personal und Einkauf bündeln ihre Aktivitäten häufig in Shared Service Centern. Betriebe, die das tun, sind zu 41 Prozent erfolgreich – im Vergleich zu 26 Prozent bei ineffektivem Einsatz.
Klare Aufgabenverteilung, einfache Entscheidungswege, effektive Mitarbeiterprozesse – verdoppelt die Erfolgsrate: 36 Prozent der Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ernst nehmen und sie einbinden, sind überdurchschnittlich erfolgreich.
"Mitarbeiter verbringen in der Woche bis zu anderthalb Tage in Meetings“, erklärt Imeyen Ebong, Leiter der Praxisgruppe Organisation bei Bain & Company Deutschland. Bei Führungskräften steigere sich das Ganze sogar soweit, dass ihnen teilweise nur sieben Stunden für ihre eigentliche Arbeit bleiben - mit betriebswirtschaftlich verheerenden Folgen. "Schätzungen gehen davon aus, dass solche Ineffizienzen in den USA fast 20 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Auf Deutschland übertragen wären das 700 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr“, so Ebong.
Ob HR, IT, Produktmanagement oder Verkauf: Das Meetingproblem zieht sich durch viele Abteilungen. "Da gibt es oft ein bis drei Meetings am Tag. Und häufig Termine, die über drei Stunden gehen", sagt Laura Kirchhoff, die ihren richtigen Namen lieber nicht online lesen will.
Die Beraterin aus München sieht viele große, vornehmlich deutsche Unternehmen wie Versicherer und Autobauer von innen - und beobachtet dabei immer wieder die gleichen Fehler: Zuspätkommer, Power-Point-Schlachten, Wiederholungen von Wiederholungen, psychisch abwesende Teilnehmer. "Und der Entscheider ist mal wieder an den wichtigen Stellen nicht da, weil er wichtigere Termine hat. Er oder sie kommt dann in den letzten zehn Minuten des Meetings rein, schaut kurz auf das Konzept - um dann schließlich alles umzuwerfen."
Ineffektive Meetings, übermäßig komplexe Strukturen und unnötig aufwendige Arbeitsweisen, die Berater von Bain fassen diese Faktoren unter dem Begriff "organisatorische Bremse“ zusammen, denn sie verlangsamen Prozesse und behindern damit die Produktivität der Mitarbeiter. In Zeiten von schnellem und billigem Kapital sei aber gerade das Humankapital eines Unternehmens der Gradmesser für seinen Erfolg. Wer seine Mitarbeiter also in Bürokratie und Meetings erstickt, bremst damit das ganze Unternehmen.
Viele Unternehmen sind von guter Meetingkultur weit entfernt
"Nicht viele von uns können große Ideen entwickeln, wenn sie im Dickicht von Meetings und Bürokratie gefangen sind", heißt es in dem Buch "Time Talent Energy", das erst kürzlich veröffentlich wurde. Was gute Führung in der Zukunft ausmache, sei demnach die Fähigkeit, das Humankapital in die richtigen Bahnen zu lenken.
"Diejenigen Unternehmen, die Zeit, Talent und Energie ihrer Mitarbeiter am besten managen, sind 40 Prozent produktiver als der Rest und erzielen dadurch Gewinnmargen, die 30 bis 50 Prozent über dem jeweiligen Branchendurchschnitt liegen."
Doch wie kann man gerade Meetings effektiver gestalten? Nils Seger hat für sich und seine Firma eine Lösung gefunden. "Die produktiven Meetings sind die, bei denen in kleiner Runde Dinge besprochen werden und die im Vorfeld gut vorbereitet wurden", erklärt der Geschäftsführer von RCKT, der PR-Agentur des Berliner Internet-Inkubators Rocket Internet.
Kommunikation und damit auch Meetings spielen bei RCKT eine große Rolle. Dennoch, sagt Seger, sollte man deren Sinn ständig hinterfragen: „Mich stören Meetings, bei denen man denkt: 'Das hatten wir doch schon, das wurde doch schon längst final besprochen’. Heutzutage haben alle so furchtbar viel zu tun, da sollte man sorgsam mit der Zeit der anderen umgehen.“
Von einer Meetingkultur wie bei RCKT sind viele Unternehmen noch weit entfernt. Manch eine Führung hält sich bereits für innovativ, wenn sie ihre Meetings im Stehen abhält. Ein bisschen radikaler sollte es aber sein. „Das heißt zum einen, Mitarbeiter von unnötigen Tätigkeiten befreien“, erklärt Ebong von Bain & Company Deutschland. „Statt in unnötigen Meetings zu sitzen oder eine Flut überflüssiger E-Mails zu bearbeiten, sollten sie in ihrer knappen Zeit produktiv sein können.“
Für Meetings heißt das konkret: Weniger ist mehr. Für jedes neue Meeting sollte ein altes gestrichen werden. Jeder Teilnehmer sollte sich disziplinieren, sein Smartphone beiseite legen und sich an Agenda und Zeitlimits halten. Apropos Teilnehmer: Ein gutes Meeting, so die Berater, hat nie mehr als sieben. Jede darüber hinaus anwesende Person senkt die Chance, eine Entscheidung zu treffen, um ganze zehn Prozent.
Wird ein Meeting ineffektiv, weil man sich verrennt oder die Mitarbeiter schlecht vorbereitet sind, sollte das Treffen beendet werden. Was schroff wirkt, spart letztlich Zeit und Geld. "Ein Kunde sagte mir einmal, dass er die effektivsten Meetings am Samstagmorgen habe“, erzählt Michael Mankins, Co-Autor der Bain-Studie. Treffen am Wochenende seien verpönt, daher minimiere sich die Teilnehmerzahl so auf den harten Kern und das wiederum steigere die Effektivität des Treffens.
Zum wichtigsten Meeting bei RCKT, der "Pitch Hour", kommen regelmäßig alle vierzig Mitarbeiter zusammen. Gemeinsam reflektieren sie die Woche, feiern Erfolge oder erörtern Kritik. Terminiert ist das Meeting auf Donnerstagabend, 18 Uhr. Danach entschwinden die Mitarbeiter in alle Richtungen der Republik, denn am Freitag ist Home-Office-Tag und mit ihm der erste von drei Tagen ganz ohne Meeting.