Coaching Die Taktgeber

Mithilfe von professionellem Coaching können Chefs sich am besten zu guten Führungskräften entwickeln. Doch die Gefahr, in die Hände von Scharlatanen zu fallen, ist groß.

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Das miese Ergebnis hatte Konsequenzen. Als die Mitarbeiter der Carlsberg Brauerei in Hamburg ihren acht Chefs in einer Befragung zum zweiten Mal bescheinigten, sie seien kein gutes Führungsteam, machte Personalleiter Thomas Dombrowski ernst: Er verordnete sich und den anderen Managern professionelle Coaches. „Wenn wir Bereichsleiter von unseren Leuten gute Zusammenarbeit zwischen Technik, Vertrieb, Personal und Marketing verlangen, müssen wir das vorleben“, appellierte Dombrowski an die Kollegen. Die Skeptiker unter ihnen hatten wenig Lust auf „Seelenstriptease“. Doch diese Sorge nahmen ihnen die Trainer von Kottmann & Partner in Paderborn schnell. In Einzelsitzungen fragten sie jeden Abteilungsleiter: „Wo sehen Sie Stärken und Schwächen in der Zusammenarbeit mit Ihren Kollegen? Mit wem können Sie den Austausch verbessern?“ Die Fragen waren konkret und ergebnisorientiert — keine Spur von Esoterik oder Psychotherapie. Mit intimen Geständnissen auf der Couch hat Coaching nichts zu tun. Wie der Trainer im Sport soll der Coach den Manager dazu bringen, im Beruf das Beste aus sich herauszuholen. Der Dialog zwischen Berater und Führungskraft ist das wirkungsvollste Instrument zur persönlichen Weiterentwicklung. Vorausgesetzt, die Chemie zwischen den beiden stimmt und der Trainer bringt eine solide Ausbildung sowie einschlägige Branchenerfahrung mit. Die Gefahr, auf einen falschen zu treffen, ist jedoch groß: Die Mehrheit der Coaching-Anbieter ist unseriös, warnen Experten. Wer bei der Auswahl wichtige Kriterien beachtet, kann das Risiko reduzieren. Galt Coaching vor zehn Jahren noch als Privileg für ergraute Vorstandsvorsitzende, ist es heute in der Personalentwicklung unverzichtbar. In einer Umfrage des Forschungsinstituts Artop der Berliner Humboldt-Uni geben zwei Drittel von 100 großen Unternehmen an, systematisch Einzel-, Gruppen- oder Team-Coaching einzusetzen. Vor allem der Nachwuchs aus dem mittleren und unteren Management profitiert zunehmend. Beliebtes Einsatzgebiet: größere Team- und Projektverantwortung. Die Arbeitgeber haben erkannt, welche Leistungssteigerung mithilfe von Coaching möglich ist. Der Energiekonzern E.On zum Beispiel verteilte in Düsseldorf jüngst Beratungs-Gutscheine an 80 Teamleiter, die für zwei bis zehn Mitarbeiter verantwortlich sind. Dazu stellten sich zehn ausgewählte Trainer vor und boten Schnupper-Sitzungen an. Die Aktion weckte Interesse, räumte Vorbehalte aus und zeigte: „Hier wird etwas für die individuelle Förderung getan“, fasst Personalmanagerin Sandra Deimel den Zweck der Veranstaltung zusammen. Denn: „Kein Unternehmen kommt heute mehr an Coaching vorbei.“ Das Weiterbildungsinstrument ist nur auf den ersten Blick teuer: Bei 100 bis 200 Euro beginnt der Stundensatz je nach Größe des Unternehmens und steigt mit der Hierarchiestufe des Klienten auf bis zu 600 Euro. Die Tagessätze für die Beratung von Top-Führungskräften liegen gar zwischen 2000 und 10.000 Euro. Doch die Methode kann das Mehrfache an Geld einbringen, das sie kostet. Das zeigt eine Studie des amerikanischen Marktforschungsinstituts Metrixglobal. Die befragten Manager im Geburtsland des Coaching gaben nach gezieltem Einsatz eine Produktivitätssteigerung von 60 Prozent an, die sich in den Jahresergebnissen niederschlug; die Mitarbeiterzufriedenheit hatte sich im Schnitt verdoppelt.

Warum das so ist, liegt auf der Hand: Mit einem Trainer können Führungskräfte an ihren persönlichen Defiziten arbeiten. Wie beispielsweise Tanja Stratmann. Die 32-Jährige ist seit letztem Jahr Vertriebsleiterin bei der Bertelsmann-Tochter Arvato Mobile, die an Geschäftskunden wie Vodafone Online-Plattformen für Klingeltöne verkauft. Über sechs Monate hinweg ließ Stratmann sich in drei Einzelsitzungen und per Telefon unterstützen. Das sei ein „sehr guter Schuhanzieher“ für ihre neue Rolle als Leiterin eines achtköpfigen Teams gewesen. Eine wichtige Herausforderung in ihrem Job: „Wie bringe ich junge Vertriebler dazu, selbstständig auf neue Kunden zuzugehen“, sagt Stratmann. Mit ihrem Coach Thor Olafsson aus München vereinbarte die Hamburgerin als Strategie, mit jedem der acht Mitarbeiter folgende Fragen abzuklopfen: Wo stehst du jetzt, wo willst du in einem halben Jahr sein? Der externe Ratgeber machte ihr klar, dass gute Führung kein Hexenwerk ist und hat, so Stratmanns Fazit, „Leistungsbremsen in meinem Kopf gelöst“.

Coaches kritisieren ehrlich. Von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten bekommen Führungskräfte „in der Regel nur politische Rückmeldung“, sagt Christopher Rauen, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Bundesverbandes Coaching. Da bedarf es eines „unabhängigen Dialogpartners, der einen auf blinde Flecken aufmerksam macht“. In einer Gesprächssitzung wurde Rauen beispielsweise Zeuge, wie sein Kunde einen Mitarbeiter heftig kritisierte. „Jemanden vor Dritten bloßstellen und dann über dessen mangelnde Motivation klagen – ein typischer Fall von blindem Fleck“, sagt Rauen und spricht vom „Honecker-Effekt“: Der erste Mann im Arbeiter- und Bauernstaat sah in seiner DDR nur, was er sehen wollte. Doch wer dauerhaft erfolgreich führen will, braucht einen Hofnarren, der die Dinge beim Namen nennt. Unterschwellige Konflikte belasten nicht nur die Psyche, sie rauben auch Energie und behindern die Zusammenarbeit. Carlsberg-Personalchef Dombrowski offenbarte im Gespräch mit Coach Kottmann, dass er den Technikleiter mied. Was dessen Abteilung genau machte – keine Ahnung. Umgekehrt ließ der Kollege aus der Technik durchblicken, dass die Personaler nach seiner Ansicht im 1500-Mann-Betrieb nicht zur Wertschöpfung beitragen. Das Beispiel Carlsberg zeigt, „jetzt entdeckt auch der Mittelstand das Thema für sich“, sagt Wolfgang Looss, Gründungsvater des Coaching in Deutschland. Vorbei die Zeiten, da der Chef eines mittelständischen Betriebes nur seinem Hausarzt und Steuerberater vertraute – und vor allem sich selbst und seiner Fachkenntnis. Mitarbeiterführung hat er jedoch weder in der Ausbildung noch im Studium gelernt. Deshalb kommt die stetig wachsende Nachfrage nach individueller Beratung seit einigen Jahren hauptsächlich aus dem Mittelstand. In den kleinen und mittleren Unternehmen ist das Gros beschäftigt. Etwa 600.000 Führungskräfte arbeiten hier – für Trainer ein großes Potenzial möglicher Kunden. Der Boom beinhaltet aber auch eine Gefahr. Er zieht Scharlatane an, die sich die ungeschützte Berufsbezeichnung zunutze machen. Experten gehen von 3500 ausgebildeten, qualifizierten Coaches aus. Und von der fast zehnfachen Zahl selbst ernannter Trittbrettfahrer.

Die erste Welle schwappte Ende der Neunzigerjahre auf den Markt, als das Psychotherapeutengesetz mit seinen Ausbildungsrichtungslinien in Kraft trat. „Viele durften sich nicht mehr Psychotherapeut nennen und firmierten plötzlich als Coach, um damit in der Wirtschaft Geld zu verdienen“, sagt Harald Geißler, Professor für Pädagogik an der Hamburger Bundeswehr-Universität und Leiter der Forschungsstelle Coaching-Gutachten. Wer einen guten Trainer sucht, hat es mit einer weiteren Schwierigkeit zu tun: Der Coaching-Markt ist unübersichtlich und atomisiert. Allenfalls schließen sich die einzelnen Freiberufler zu Marketing-Netzwerken zusammen und bieten eine Fülle von Bindestrich-Beratungen an: Top-Management-Coaching, Karriere-Coaching oder interkulturelles Coaching. Der wachsende Beratungsbedarf fördert auch den Wildwuchs. Über 80.000 Treffer spuckt die Suchmaschine Google zum Begriff „Coaching“ aus. Hinter dieser Inflation steckt oft nur der Versuch, eine billige Form von Kursus mit dem neudeutschen Modenamen aufzuwerten. Und der Laie ist verwirrt. Für den Hamburger Wissenschaftler Geißler ein Fall von totalem „Marktversagen“: Der einzelne Verbraucher ist „mit dem Angebot überfordert“. Dass es zu 80 Prozent die Personalabteilungen und weniger Einzelkunden – meist Selbstständige – sind, die die Dienstleistung einkaufen, beruhigt nicht. „Viele Personaler haben fachfremde Hintergründe und behelfen sich mit Notlösungen“, sagt Geißler. „Sie richten Coaching-Pools mit Anbietern an, die nicht negativ aufgefallen sind. Und das ist es dann.“ Das Dickicht ist ideales Biotop für unnütze Verbände. Während es in anderen europäischen Ländern nur eine Berufsvereinigung von Coaches gibt, sind es in Deutschland fast 20, die in erster Linie dem Ego ihrer jeweiligen Vorsitzenden dienen. Weiterer Schwachpunkt: 200 Ausbilder — oft die Coaches der ersten Stunde — konkurrieren mit unterschiedlichen Zertifikaten.

Die Folgen einer falschen Wahl können teuer sein. So verpflichtete sich eine Bankerin gleich beim ersten Treffen mit einem Trainer für einen Beratungsprozess über zwölf Monate, ohne andere Angebote zu prüfen. Kosten: 34.000 Euro. Rauen vom Bundesverband kritisiert: „Die Bankerin hatte verinnerlicht, dass Teures automatisch gut ist.“ Aus dem Knebelvertrag kam sie nur mit anwaltlicher Hilfe wieder heraus. Weil es keine staatliche Qualitätskontrolle gibt, hat Wissenschaftler Geißler selbst mit der Begutachtung begonnen. Zwei Dutzend Coaches hat er bislang unter die Lupe genommen. Geißler setzt ein Hochschulstudium plus eine fundierte Coaching-Ausbildung von 150 Stunden sowie drei Jahre Berufserfahrung voraus. Weiteres Aufnahmekriterium für seine Online- Datenbank: Der Trainer holt sich selbst regelmäßig Rückmeldung von einem Kollegen oder Psychotherapeuten ein. Denn ein Coach braucht selber Coaching: Welches persönliche Problem beschäftigt ihn? Wieso regt er sich über einen bestimmten Klienten auf? „Solche Fragen müssen von Profi zu Profi geklärt werden“, sagt Geißler. Außerdem hört der Gutachter sich Tonbandaufnahmen von Sitzungen an, um sich von der Arbeitsweise eines Anwärters zu überzeugen. Eine gelungene Lehrstunde ist immer ein Dialog auf Augenhöhe. Fachleute in Unternehmen prüfen ebenfalls die Berater, die sie einsetzen. Christa Stienen, Leiterin der Personalentwicklung bei der Metro, bittet potenzielle Coaches zum Praxistest: „Machen Sie das mal mit mir.“ Stienen ist Sozialpädagogin mit Coaching-Ausbildung und bekommt eine Flut von Angeboten, darunter auch viele unseriöse. „Nichts, was es nicht gibt“, sagt sie. Da ist zum Beispiel der „Eye-Coach“, der angeblich viel bewirkt, indem er Menschen intensiv in die Augen schaut. Oder der Manager, der nach seinem letzten Burnout weitergeben möchte, worauf es im Job wirklich ankommt — aber keine spezifische Coaching-Ausbildung vorweisen kann. Ein Coach kann auch nicht die Arbeit eines Psychotherapeuten ersetzen. Kindheitstraumata, Depressionen, Sucht oder Burnout sind nicht sein Einsatzgebiet, er sollte sich auf den beruflichen Erfolg beschränken. Ebenso wenig bewirkt Coaching Persönlichkeitsveränderungen. „Einen Mitarbeiter zur Vollreinigung beim Trainer abgeben – das funktioniert nicht“, sagt Experte Looss. Aus dem verschwiegenen Controller wird kein wortgewandter Kommunikationschef. Ein Coach kann nur latent vorhandene Begabungen wecken, Impulse geben und auf Verbesserungen in der Praxis hinarbeiten. So verordnete Trainer Kottmann dem Carlsberg-Personalleiter Dombrowski regelmäßige Treffen mit seinem Kollegen aus der Technik. Denn ohne Konsequenz wird aus guten Vorsätzen nichts. „Wie so oft erledigt man im Alltag das Dringende vor dem Wichtigen“, sagt Dombrowski. Da war es gut, dass der Coach den 40-Jährigen am Telefon fragte, warum er den Termin schon wieder verschoben habe.

Dranbleiben, nachhaken, genau hinhören – das ist der professionelle Auftrag der Coaches. Passend zur Situation setzen sie dazu verschiedene Techniken ein. Um diffuse Konflikte zu erfassen, lässt der Berliner Thomas Bachmann seine Klienten in Koordinatensysteme eintragen, zu welchen Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten sie in guter persönlicher oder professioneller Beziehung stehen. Die frisch gekürte Chefärztin, die über Autoritätsprobleme klagte, sah schwarz auf weiß: „Zu vielen ehemaligen Kollegen hatte ich private Verbindungen. Aber Kontakte in die verschiedenen Abteilungen fehlten.“ Gespräche mit Mitarbeitern, die sich nicht an ihre Dienstanweisungen hielten, übte sie mit Trainer Bachmann. „Ich-Botschaften formulieren, Verbesserungen vereinbaren und den nächsten Feedback-Termin gleich festlegen“, weiß die Medizinerin jetzt. Die Methoden allein machen aber keinen guten Coach. Metro-Personalentwicklerin Stienen legt vor allem Wert auf Branchenkenntnis: „Wir brauchen keinen Theoretiker. Der Coach sollte bodenständig sein und die Schnelligkeit des Handels kennen, um zu verstehen, unter welchem Druck unsere Marktleiter stehen.“ Keine Breitband-Berater, lautet auch die Devise bei Volkswagen. „Der Trainer muss mit dem Umfeld vertraut sein, in dem sich sein Kunde bewegt“, betont Christine Kaul, Leiterin der Geschäftsstelle Coaching im Autokonzern. Eine Auswertung verschiedener internationaler Studien bestätigt: Der Erfolg eines Coaching hängt vor allem von diesem Fachwissen und der guten Beziehung zum Gesprächspartner ab. Weil sie selbst viele Jahre in der Geschäftsleitung großer Unternehmen saß, kann Dorothee Echter den Vorstandsvorsitzenden eines Dax-Konzerns beraten, der mehr Einfluss auf seinen Aufsichtsrat gewinnen will. Top-Manager beschäftigen schließlich andere Themen als Nachwuchsführungskräfte. „Meine Kunden genießen im Unternehmen und in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit. Da sollten sie regelmäßig reflektieren: ,Wofür stehe ich und wie trage ich das nach außen?‘“, sagt Echter. Ein Auftritt in einer TV-Sendung wie „Berlin Mitte“ müsse gut vorbereitet sein. Sonst passierten schnell Ausrutscher. Vorbeugen: Nach dem Motto beanspruchte auch Max Graf Kerssenbrock ein Coaching für die ersten 100 Tage in seiner neuen Position. Der 35-Jährige wurde vom Assistenten der Geschäftsführung zum Bereichsleiter von Dr. Oetker Food-Service befördert. Damit übernahm er Verantwortung für 80 Mitarbeiter sowie für das Europageschäft des Lebensmittelherstellers, der Großverbraucher wie Krankenhäuser beliefert. Die meisten Kollegen sind deutlich älter als Kerssenbrock, dazu haben sie einen Erfahrungsvorsprung von ein, zwei Jahrzehnten in der Branche. „Da war es wichtig, mich gleich zu Anfang richtig zu positionieren“, sagt er. Mit seinem Coach ging er die verschiedenen Zielgruppen durch und legte fest, wen er wie in seine Arbeit einbindet. Leute wie Kerssenbrock gelten als typische Vertreter einer neuen Generation von Führungskräften. „Die glauben nicht, dass sie einsam wie die Westernhelden klarkommen müssen“, beobachtet Verbandsmann Rauen. Beratung sei für sie kein Stigma: „Keiner kann alles können.“ Auch die Carlsberg-Manager schätzen ihre neue Erfahrung. Und sie verbindet das Führungsteam, hat Personalleiter Dombrowski schon jetzt festgestellt. So gaben die Coaches den Brauerei-Chefs eine Entspannungsübung für zwischendurch mit auf den Weg: in den Bauch atmen wie ein vollgefressener Löwe in der Mittagshitze. Ein Tipp, der bei echten Kerlen erst mal Stirnrunzeln hervorrufen muss. Aber seine Wirkung zeigt er doch, erzählt Dombrowski: „Wenn bei uns die Stimmung hochkocht, heißt es jetzt scherzhaft: ,Ganz ruhig, mach mal den Löwen.‘"

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