Deutsche im Ausland Expat Toben: "Den Stolz beachten"

Christian Toben, 32, ist Manager bei der Commerzbank in Argentinien.

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Einkaufsstraße in Buenos Quelle: AP

In Lateinamerika haben ausgerechnet die Argentinier den Ruf, arrogant und überheblich zu sein. Ich war zuvor vier Jahre in Mexiko und ein Jahr in Brasilien, daher hatte auch ich diese Vorurteile im Kopf, als ich nach Buenos Aires entsandt wurde. Doch meine Frau und ich können nur sagen: weit gefehlt! Die Porteños, also die Einwohner von Buenos Aires, sind äußerst freundlich und zugänglich. Arrogant treten allenfalls einzelne Vertreter der Oberschicht auf. Dann aber habe ich stets das Gefühl, die machen das aus Unsicherheit heraus, weil sie Europäern gegenüber keine Schwäche zeigen wollen.

Meine Familie und ich kamen hierher, als die schlimmste Krise überwunden war und die Wirtschaft wieder im Rekordtempo wuchs. Von den Unruhen in den Zeiten der Rezession haben wir deshalb kaum noch etwas mitbekommen. Inzwischen geht es der argentinischen Wirtschaft deutlich besser, was man auch in den Straßen sieht: Die Restaurants, Theater, Kinos und Cafés sind voll. Es gibt in Lateinamerika kaum eine andere Stadt, in der man sich als Deutscher so zu Hause fühlen kann: Hier dominiert die europäische Kultur. Dort, wo man sich als Expat üblicherweise bewegt, ist alles – für lateinamerikanische Verhältnisse – gepflegt und sauber. Und durch den Wind, der ständig vom Rio de la Plata über die Stadt hinwegfegt, hält sich sogar der Smog in Grenzen.

Seltsam ist allerdings diese Melancholie der Argentinier, die sie sich aus der Vergangenheit holen. Das sah man gut, als kürzlich der Sarg Perons mit gewaltigem Tamtam umgebettet wurde. Oder wie Präsident Kirchner den Tag der Machtergreifung der Militärs vor mehr als 20 Jahren offiziell zum Feiertag ernannte. Überall sonst würde man das Ende der Diktatur feiern, hier „trauern“ sie über deren Beginn. Auch der melancholische Tango klingt heute nicht nur aus vielen Straßencafés, sondern ebenso hören die Jüngeren bevorzugt Techno-Tango. Im Fußball hingegen zeigt man sich stolz und selbstbewusst: Seit 20 Jahren haben sie hier zwar keinen Weltmeistertitel gewonnen, trotzdem halten sie sich immer noch für die Besten, und Diego Maradona ist trotz seiner Drogen- und Alkoholexzesse immer noch eine wichtige Stimme im Volk.

Die Kriminalität hält sich, im Vergleich zum sonstigen Lateinamerika, in Grenzen. Dennoch sind die Einkommensgegensätze riesig. Die Slums wachsen allmählich in die Innenstädte hinein. Man sollte sich deshalb von dem trügerischen Gefühl der Sicherheit nicht beirren lassen: Während der Abwesenheit eines Nachbars wurden dessen Kind und eine Hausangestellte im eigenen Haus von Eindringlingen gefesselt und in den Kleiderschrank gesperrt. Nicht minder riskant ist, ins Visier der Regierung zu geraten, wenn die einen Schuldigen sucht – etwa für Stromausfälle oder Preiserhöhungen. Dann kann es vorkommen, dass Manager von Auslandsunternehmen binnen zwei Wochen das Land verlassen müssen.

Im Geschäftsalltag sollte man auf den Stolz der Argentinier unbedingt Rücksicht nehmen. Also erst einmal loben, worin sie gut sind, um dann gemeinsam nach Verbesserungen zu suchen. Problematisch ist, dass Abmachungen manchmal nur langsam umgesetzt werden und man nachhaken muss, bis sich überhaupt etwas in Bewegung setzt. In Verhandlungen wollen die Argentinier oft das Letzte herausholen, denken dabei aber nur an kurzfristige Erfolge. Das kann mitunter nervig werden. Und ganz wichtig: Man darf nie falsch spielen! Wer seinen Ruf verloren hat, bekommt hier nirgendwo mehr eine Chance. Nur in der Politik findet dieser Grundsatz wenig Anwendung. In dieser Branche ist es typisch für den Argentinier, dass er schnell vergisst. Ich vermute, das ist die hiesige Art, mit den zahlreichen Krisen des Landes in der Vergangenheit umzugehen.

Ansonsten sind Arbeitsmoral und Bildungsstand in Argentinien sehr gut. Besonders die junge Generation macht problemlos Überstunden und ist hochgradig kreativ. Überraschend waren für mich die guten Fremdsprachenkenntnisse: Viele Argentinier können Deutsch, sodass einige Unternehmen hier mittlerweile Callcenter betreiben, um Kunden in Deutschland von Buenos Aires aus zu betreuen.

Gewöhnungsbedürftig ist vielleicht, dass man kaum jemanden vor 9.30 Uhr im Büro antrifft. Dafür sitzt man abends länger da. Das Arbeitsklima in Argentinien ist grundsätzlich sehr freundschaftlich und entsprechend locker ist auch das Verhältnis zu den Vorgesetzten. Anders als sonst in Lateinamerika wird nie jemand mit „Don“ oder „Señor“ angesprochen. Auch akademische Titel werden bei der Anrede kaum verwendet. Dafür hört man umso öfter das „Che“ – eine Anrede unter Freunden, die auf den in Argentinien geborenen kubanischen Revolutionär Che Guevara zurückgeht.

Buenos Aires ist eine Stadt mit einem immensen kulturellen Angebot. Allerdings brauchen Expats auch hier erst einmal eine Zeitumstellung: Wenn wir abends um halb neun ins Restaurant gehen würden, dann wäre noch die Putzfrau dabei, die Tische zu wischen. Vor 22 Uhr ist nichts los. Stattdessen geht man erst ins Theater oder Kino und trifft sich danach im Restaurant mit Freunden und verlässt es nicht vor ein, zwei Uhr morgens. Und selbst nachts um drei Uhr geht es auf den Straßen immer noch zu wie zur Rushhour. Es ist die Zeit, wo Jugendliche von Disko zu Disko ziehen. Aber auch daran gewöhnt man sich schnell.

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