Digitalisierung Wie digitale Vordenker erfolgreich sind

Viele Firmen holen sich einen Chief Digital Officer an Board, um die Digitalisierung zu meistern – und lassen ihn dann verkümmern. Was Unternehmen tun müssen, damit der Chef-Digitalisierer kein zahnloser Tiger wird.

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Chief Digital Officer als Superheld. Quelle: Getty Images

Seit Februar ist Bernhard Kirchmair Chefdigitalisierer bei Fritz & Macziol. Sein Job als Chief Digital Officer, kurz CDO: den Ulmer IT-Dienstleister Fritz & Macziol bei seiner digitalen Transformation voranzubringen. Ein Digitalisierer in einem IT-Haus? Die IT ist doch mit schuld an den Veränderungen, für die sich Unternehmen nun mittels digitaler Heilsbringer zu wappnen versuchen. Doch für Kirchmair ist das kein Widerspruch: „Wen trifft die Digitalisierung mehr, als einen IT-Anbieter? Wir müssen uns auf der einen Seite fragen, wie wir selbst digitaler werden können. Und auf der anderen Seite, wie wir dem Kunden noch mehr entgegen kommen können“, sagt er.

Grob umrissen ist genau das sein Aufgabenprofil. Bei vielen Betrieben steht auch tatsächlich nichts Konkreteres hinter den Anforderungen an einen CDO: Er soll das Unternehmen digitalisieren und die Kunden glücklich machen.

Noch gibt es – gerade in Deutschland – wenige dieser Chef-Digitalisierer, aber ihre Zahl steigt, so der Berufsverband "CDO Club". Im Jahr 2005 habe es erst einen CDO gegeben, 2013 schon 488, mittlerweile sei man bei 2000 CDOs angekommen. In Deutschland ist die Entwicklung noch zurückhaltend: Laut einer entsprechenden Studie des Digitalverbandes Bitkom leisten sich erst zwei Prozent aller deutschen Unternehmen mit 500 und mehr Mitarbeitern einen CDO.


Oft ist der CIO gleichzeitig der CDO

Zum Vergleich: In den USA haben sieben Prozent der Firmen einen Chef-Digitalisierer, europaweit sind es 13 Prozent. Selbst in den Dax-Konzernen liegt der Anteil der CDOs bei fünf Prozent. Sprich: Es gibt sieben Chef-Digitalisierer, die auch so heißen. Solmaz Altın bei der Allianz, Jessica Federer bei Bayer, Jens Monsees bei BMW, Ulrich Coenen bei der Commerzbank, Christian Wegner bei ProSiebenSat.1, Jonathan Becher bei SAP und Johann Jungwirth bei Volkswagen.

Natürlich gibt es trotzdem Menschen in diesen Unternehmen, die für die bereichsübergreifende Digitalisierung zuständig sind. Nur heißen sie eben nicht CDO.

Sabine Scheunert beispielsweise ist Leiterin der Sparte „Digital und IT für Marketing & Sales Mercedes-Benz PKW“ bei Daimler, Constantin Jauck ist Digital Strategy Manager bei der Merck Group. Häufig machen aber Manager mit einem ganz anderen Aufgabenbereich die Digitalisierung nebenher.

Gemäß der Studie "The german digital governance & leadership study" von der amerikanischen Unternehmensberatung Heidrick&Struggles übernehmen bei 79 Prozent der Unternehmen der Chief Information Officer (CIO) oder der Chief Technology Officer (CTO) den Job des Digitalisierers. Sehr oft müssen auch der Marketingchef (CMO) oder der Finanzchef (CFO) den Job nebenbei machen. So eine Lösung könne auf Dauer nicht funktionieren, sagt Kirchmair: „Wenn man Digitalisierung richtig macht, ist das ein Fulltime-Job.“

Aufgabenprofil: Was soll der CDO tun?


„Der CDO muss in die gesamte Organisation wirken und dort Veränderungsprozesse anstoßen“, sagt Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Dazu benötige er oder sie vor allem den Rückhalt des Top-Managements. Sonst bleibt der CDO eine PR-Nummer. Und das sei gar nicht mal selten, wie Alexander Wink sagt. Wink ist Seniorpartner bei der Unternehmensberatung Korn Ferry, die sich auf das Aufspüren und Vermitteln von Führungskräften spezialisiert hat. „Das Problem: in vielen Fällen entpuppt sich der CDO als zahnloser Tiger.“

Daran sei nicht der jeweilige CDO schuld, der keine Leistung bringt, sondern das Management. Das wünscht sich oft einen Messias, ohne sich darüber im Klaren zu sein, welche Probleme er lösen soll. Diesen Betrieben fehlt ein klares Profil des zukünftigen Digitalisierers sowie ein eindeutig abgegrenzter Verantwortungsbereich.

Auch sei oft nicht geklärt, ob der CDO Budgetgewalt oder strategische und operative Durchgriffsmöglichkeiten habe. „So wird der Digital-Messias rasch zum Digital-Propheten gestutzt, der zwar reden, aber nicht machen darf“, weiß Wink.

Ein Übermaß an Planung, das den CDO zum ausführenden Organ degradiert, sei auch nicht gut, sagt Kirchmair. „Ein Kollege bei einem deutschen Autobauer erzählte mir, dass man dort eine digitale Roadmap bis 2030 angelegt habe. Es ist ziemlich mutig, 14 Jahre im Voraus zu planen. Wer hätte vor 14 Jahren mit Smartphones gerechnet, mit Apps oder selbstfahrenden Autos? Damals hat Apple gerade mal den iPod erfunden.“

Zwar hat auch Kirchmair eine digitale Agenda, die er umsetzen soll. Allerdings ist diese nicht auf die nächsten 20 Jahre ausgelegt: Er soll den eher weniger digitalisierungsaffinen B2B-Bereich am Beispiel des Kundengeschäftes auf Schnelligkeit und Agilität trimmen und Silos aufbrechen. Und gerade Letzteres ist leicht gesagt. Denn niemand lässt sich gerne von einem Algorithmus oder einem Webshop ersetzen. „Ein Beispiel: Wir haben ein breites, tiefes Portfolio, von dem sich vieles auch online verkaufen lässt. Das bereitet den Vertriebsmitarbeitern natürlich Sorgen. Die fragen sich, ob sie in einem halben Jahr noch gebraucht werden, wenn Produkte online verkauft werden“, erklärt er.

Solche Ängste müsse ein CDO benennen, ernst nehmen und auflösen können. Sonst legt eine verunsicherte Abteilung das Vorankommen eines ganzen Unternehmens lahm. Kirchmair: „Wir wollen diesen Kanal komplementär zum klassischen Vertrieb einrichten und nicht als Ersatz – das Serviceangebot für den Kunden soll besser und die Arbeit des Vertrieblers einfacher werden. Das muss man den Leuten so aber auch sagen.“

Fünf Typen von CDO

Der Informatiker und promovierte Ökonom sieht sich deshalb weniger als IT-Spezialist, denn als Berater, Vordenker und Schnittstellenmanager. „Ich persönlich habe Start-up-Erfahrung – ich habe 2006/2007 zwei Internetunternehmen gegründet - habe aber auch in großen Konzernen gearbeitet und kenne somit beide Welten. Dieses Best-of aus Start-up und Konzern vermittele ich jetzt einem Mittelständler“, beschreibt er seine Aufgabe.

Damit Manager wie Kirchmair ihren Job richtig machen und dem Unternehmen auch von messbarem Nutzen sein können, muss allerdings schon vor dem eigentlichen Recruiting einiges geklärt sein, wie Wink weiß. Er rät Unternehmen, die Rolle des CDO eindeutig und klar zu definieren, bevor überhaupt ein Headhunter beauftragt wird. Dafür müsse man folgende Fragen beantworten:

  1. Was sind die unternehmerischen Ziele des CDO?
  2. Welche strategischen und operativen Spielräume soll er erhalten: Darf er bei Entscheidungen nur mit am Tisch sitzen? Erhält er ein Veto? Oder wird er gestaltender Entscheider – indem seine Unterschrift unter neue Initiativen und Strategien zwingend notwendig ist?
  3. Was ist die genaue Aufgabenbeschreibung des Positionsinhabers?

Innovationskultur: Wollen Sie Veränderungen?

Im zweiten Schritt müsse sich das Management Werte und Arbeitskultur des Unternehmens anschauen, rät Wink. Man solle sich die Frage: „Sind wir bereit für solch radikal Neues?“ ehrlich beantworten. Laute die Antwort darauf „Nein“, müsse man sich fragen, was das Management tun kann, um die Unternehmenskultur innovativer zu machen. Sonst kann oder will nachher niemand bei den Plänen des CDO mitziehen.

„Auch wenn es niemand offen sagt: Die meisten Bereichs- und Abteilungsleiter werden sich über den CDO nicht freuen“, bestätigt Wink. „Vor allem in traditionell hierarchisch organisierten, bisher wenig auf Innovation bedachten Unternehmen wird der CDO unvermeidlich anecken.“

Also: Erst klären, was ein CDO machen soll, dann herausfinden, ob man bereit wäre, seine Ideen überhaupt umzusetzen, und dann erst rekrutieren. Und da wird es schon wieder schwierig. Denn was der CDO an hard und soft skills mitbringen muss, kann man nicht so leicht auflisten wie bei einem IT-Leiter oder dem Chef der Buchhaltung. „Das Profil eines CDO ist relativ komplex, jedenfalls deutlich komplexer als bei anderen, klassischen Managementprofilen“, sagt Kirchmair. Innovationskraft lässt sich nun mal schlecht messen.

„Die Person muss nicht unbedingt aus dem Silicon Valley kommen, einen glamourösen Background haben oder ihr ganzes Leben lang nur in IT und Digitalwirtschaft verbracht haben“, sagt Wink.

Profil des CDO

Wink rät allerdings dazu, sich bei den Kandidaten darauf zu konzentrieren, dass sie Erfahrung in der jeweiligen Unternehmensform haben. Wer etwa zu einem Start-up geht, sollte nicht nur in Konzernen gearbeitet haben. Die Frage laute also: „Kennt der Kandidat das auf ihn zukommende Umfeld bereits und hat er bewiesen, dass er in einem solchen Umfeld erfolgreich arbeiten kann?“

Außerdem müsse der zukünftige CDO Managementkompetenzen haben: von Motivation und Führung von Mitarbeitern bis zur Leitung von Vorstandssitzungen.

Auch wichtig: Keine Angst vor hohen Tieren. Der CDO sollte nicht nur mit dem IT-Experten und der Personalerin, sondern auch mit dem Top-Management auf Augenhöhe kommunizieren können. „Ansonsten werden sie im besten Fall als Exot geschätzt, der aber nur teilweise an richtungsweisenden Entscheidungen teilhaben kann“, so Wink. Und ohne Empathie geht es nicht. „Tritt der CDO als reiner Digital-Evangelist auf, für den die Sorgen der Mitarbeiter eher Petitessen oder gar Hinderungsgründe für eine noch schnellere Transformation des Geschäfts sind, droht er sehr schnell den Anschluss zu verlieren."

So entwickeln Sie die richtige Digitalstrategie

Wenn der richtige Kandidat dann gefunden ist, reicht es nicht, ihm oder ihr einen Begrüßungsblumenstrauß in die Hand zu drücken und auf die digitale Revolution im eigenen Haus zu warten. „Gerade beim CDO ist es entscheidend, wie er vom ersten Tag im Unternehmen eingeführt wird“, sagt Wink.

Das Top-Management müsse vorab alle Bereichs- und Abteilungsleiter – am besten alle Mitarbeiter – informieren, welche Rolle der neue Kollege künftig spielen wird. Wink: „Je nachdem, ob er nur als redender Prophet oder als Macher eingeführt wird, entscheidet sich frühzeitig, ob er wirklich Einfluss auf die Entscheidungen des Unternehmens nehmen kann.“

Noch ein Tipp, damit der CDO dem Unternehmen treu bleibt: Lassen Sie ihn ein eigenes Standing entwickeln. Wer gleich alle erfolgreichen Initiativen als Vorstandsleistung deklariert, muss sich nicht wundern, wenn der CDO den Bettel schnell wieder hinwirft.

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