Ehrgeiz Inneres Feuer

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Ehrgeiziges Unternehmensziel: Quelle: dpa

Die Kunst, wird er dort sagen, besteht immer auch in der Kraft der Selbstmotivation: Wer ehrgeizig ist, braucht weniger Leistungsanreize, die von außen an ihn herangetragen werden, sondern eine innere Stärke, die ihr oder ihm immer wieder ausreichend Lust und Disziplin gibt, weiterzumachen, voranzukommen und Widerstände zu überwinden.

„Ehrgeiz ist positiv, wenn ich aus starkem innerem Antrieb etwas tue, weil es mir Freude und Befriedigung verschafft“, sagt auch Christine Öttl, Karriere-Coach aus München. Es gehe darum, die eigenen Potenziale und Stärken zu entdecken und klare Vorstellungen zu haben. Öttl war früher selbst Managerin in einer internationalen Fotoagentur. Ihr warf ein Chef vor: „Sie wollen ja nur Ihren eigenen Ehrgeiz befriedigen.“ Christine Öttl bejahte fröhlich, denn es ging ihr wirklich nicht in erster Linie darum, ferne Konzernchefs in London von ihrer Arbeit zu überzeugen, sondern ihren Arbeitsbereich optimal zum Laufen zu bringen und vor sich selbst zu bestehen. Ein großer Pluspunkt: Positiver Ehrgeiz macht nicht unbedingt beliebt, aber unabhängig von der Meinung anderer.

Forscher wissen: Neben Ausdauer und Lernbereitschaft ist Ehrgeiz für den Erfolg wichtiger als Intelligenz. Was will der Mensch mit geschliffener Intelligenz und hoher Bildung, wenn er sie nicht auf dem Altar des Ehrgeizes zur Entfaltung bringen kann? Die Welt ist schließlich nicht nur Vorstellung, sondern auch Wille (Schopenhauer). „Ehrgeiz“, darauf beharrt US-Psychologe Simonton, „ist zwar Energie plus Entschlossenheit, aber er braucht auch Ziele.“

Zum Beleg erzählt er gerne von Leuten, die zwar das Ziel haben, eine funktionierende Mausefalle zu bauen, aber nicht genug Energie, um mehr als die immer gleiche Vision zu formulieren: „Eines Tages werde ich eine bessere Mausefalle bauen.“

Oft geht ein anderes Motiv mit dem Ehrgeiz Hand in Hand – Macht. Wenn Politiker etwas verschämt von ihrem Gestaltungswillen sprechen, von ihrem Ehrgeiz, gesellschaftliche Prozesse in Gang zu bringen und zu begleiten, dann bemänteln sie damit, dass sie von der Aussicht auf Macht fasziniert sind und davon, Mehrheiten von Gleichgesinnten um sich zu scharen und (auf Zeit) zu führen.

Das Karrieremotiv „Macht“ gilt zwar als Tabu-Vokabel, ist aber die wohl stärkste Triebfeder, die einen erfolgsorientierten Menschen nach vorne katapultieren kann. „Auch Mutter Teresa war eine sehr machtvolle Frau. Sie wäre ohne ihren Ehrgeiz, Armut und Not zu lindern, eine Betschwester geblieben“, sagt der promovierte Diplompsychologe Ulrich Kuhl, der mit seinem Partner Joachim Siegbert Krug ein vielbeachtetes Buch über „Macht, Leistung, Freundschaft“ geschrieben hat.

Wer ein Team voranbringen will, braucht den Faktor Macht. Führungskräfte und solche, die es werden wollen, wachsen aber zumeist nicht mit dem Willen zur Macht auf, sondern stoßen allmählich zu den Strukturen von Einfluss und Leadership vor.

Die Fähigkeit, delegieren zu können und andere zu motivieren, sie mitzureißen, ist wahrscheinlich nicht angeboren, sondern „durchaus auch trainierbar“, sagt der Psychologe Ulrich Kuhl, der in seinen Coachingprogrammen unter anderem leistungsorientierte Aufsteiger dabei berät, zu machtbewussten Führungskräften zu werden: Wie kanalisiere ich meinen Ehrgeiz? Wie steuere ich ein Team von Erfolg zu Erfolg? Welche Meilensteine plane und setze ich in welchem Abstand?

Kuhl arbeitet in Essen, im Herzen des Ruhrgebiets, wo der Aufsteigerehrgeiz seit jeher zu Hause war, wo Väter geradezu rituell ihren Kindern wünschen, es mal besser zu haben als sie selbst, und wo viele Kinder quasi mit dem Ehrgeiz aufwachsen, den kleinen Verhältnissen ihres angestammten Milieus zu entkommen. Soziale Triebfeder: Ja. Automatismus? Nein. Der Anthropologe Edward Lowe von der kalifornischen Soka Universität vermutet, dass Ehrgeiz ein „evolutionäres Produkt“ sei: „Egal, wie der soziale Status definiert ist, es gibt in jeder Gemeinschaft immer Menschen, die vor Ehrgeiz brennen und immer auch solche, die ihm nicht besonders verfallen sind.“

Viele Ehrgeizige zeichnet aus, dass sie sich mit Leistung und Selbstbewusstsein von den Altvordern lösen wollen und das Herkömmliche und Hergebrachte infrage stellen. Das bestätigt auch die amerikanische Psychologin und Ärztin Nancy Andreasen in ihrem Buch „The Creating Brain“ – herausragende Persönlichkeiten sind immer abenteuerlustig, widerständig, individualistisch, verspielt, hartnäckig, neugierig – und gleichzeitig ehrgeizig.

Ein Beispiel ist Dogan Gündogdu. Sein Ehrgeiz brachte den türkischen Unternehmer aus Anatolien dazu, sich nach dem Wirtschaftsstudium in Istanbul und einem Intermezzo bei der türkischen IS-Bank in Frankfurt mit einem MBA-Programm auf der spanischen Eliteschule IESE konsequent auf eine internationale Karriere vorzubereiten. Zurück in Deutschland gründete er die Finanzberatungsgesellschaft TDVM Capital AG, die Migranten bei Kapitalanlagen, Bausparverträgen und Versicherungen berät; heute unterstützt er im Bereich Finanzen als Berater das Bremerhavener Unternehmen Innovative Wind Power, einen Hersteller von Windkraftanlagen.

Gündogdu glaubt an sich und die Macht der Bildung. „Die ständige Weiterqualifikation war mein Motor“, sagt der 40-Jährige. Sein Ehrgeiz treibt ihn an, besser zu sein als alle anderen, sich immer neue Ziele zu suchen und seine Potenziale geschickt zu nutzen. Er knüpft Firmenkontakte zwischen der Türkei, Deutschland und Spanien; er sieht Chancen, wo andere Probleme sehen. Jetzt will er unter anderem türkische Immobilienprojekte von Deutschland aus unterstützen. Sein Vorbild ist der Reiseveranstalter Vural Öger, der nicht nur seine Unternehmen vorantreibt, sondern auch durch gesellschaftliches Engagement überzeuge. Doch Gündogdu weiß auch, dass der Ehrgeiz ihn zum Stolpern bringen kann: „Ich bin oft zu dominant und muss mich manchmal bremsen.“

Engagierte „Querdenker“ wie Gündogdu weiß auch der Bremer Reeder Niels Stolberg zu schätzen. Wie viele Karrierebewusste ließ sich auch Stolberg vom Motiv der Befreiung leiten, von der Sehnsucht jedes Unternehmers, Selbstständigen und Top-Managers, möglichst nur noch gegenüber sich selbst und dem Unternehmen Verantwortung zu haben – und nicht in fragwürdigen Hierarchien eingebunden zu sein.

Freiheitsdrang ist eine geradezu klassische Triebfeder für den Ehrgeiz: „Warum wollen Manager immer höher hinaus?“, lautete die Frage einer Studie über Aufstiegsmotivation von Führungskräften. Meistgenannte Antwort: „Um endlich soweit oben zu sein, dass niemand mehr über einem ist, der einem sagen kann, was man zu tun und zu lassen hat.“

Auch dem Essener Wirtschaftspsychologen Kuhl fällt auf Anhieb erst einmal die dunkle Seite dieser Charaktereigenschaft ein: Er assoziiert „zerfressen“, „krankhaft“ und „erbittert“, bevor er auf die enormen Schubkräfte zu sprechen kommt, die vom Ehrgeiz ausgehen können. Die Janusköpfigkeit des Ehrgeizes durchzieht unsere Kultur seit der Antike. „Den Ehrgeizigen tadelt man“, schreibt Aristoteles, „weil er mehr als recht ist und mit unrechten Mitteln nach Ruhm strebt; den Mann ohne Ehrgeiz, weil er auch nicht durch edle Taten Ehre zu erwerben sich zum Ziel setzt.“

„Der Preis für Ehrgeiz ist hoch“, sagt Manfred Kets de Vries, Leiter des Global Leadership Centre der französischen Business School Insead. „Ein Banker hat mir erzählt, dass er seine Tochter meist nur schlafend gesehen habe, weil er früh nach Manhattan fuhr und spät zurückkam“, sagt Kets de Vries. Mittlerweile ist das Kind 15 Jahre alt und der Banker hat es fast nur in den Ferien erlebt. Das frustriert ihn ungeheuer. Nicht wenige ehrgeizige Manager wollen zwar im Beruf immer alles besser machen, im Privaten aber scheitern sie.

Der Grat zwischen aufbauendem und fehlgeleitetem Ehrgeiz ist schmal. Läuft es positiv, können Ehrgeizige Berge versetzen, läuft es schlecht, dann können sie ganze Länder ins Verderben stürzen, wie die Geschichte des kollektiven Ehrgeizes zeigt, der meist nur blutgetränkte Schlachtfelder hinterließ, Armut, Not und Verzweiflung. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung klingt eine Nachricht aus Großbritannien erfreulich, friedlich und zivil. Sie handelt vom Ehrgeiz eines Staatsführers, seine Nation zur Schlacht gegen die Schlachtplatte einzustimmen.

„Es ist unser Ehrgeiz“, sagt Premierminister Gordon Brown, „das erste Land von Bedeutung zu sein, dem es gelingt, den bislang stetig wachsenden Trend zur Fettleibigkeit umzukehren.“

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