Gefühle Haben Sie heute schon die Sau rausgelassen?

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Der verborgene Wert des produktiven Faulenzens

Ein ähnlicher Effekt tritt für denjenigen ein, der dem erfolgreichen Kollegen permanent nacheifert, aber nie so gut wird. „Bleibt der Statusunterschied bestehen, obwohl man sich anstrengt, verliert der Neid seinen Effekt“, sagt Niels van de Ven.

Wenn Manfred Kets de Vries über die Vorzüge des Nichtstuns philosophiert, erzählt er gerne von einem Abendessen mit einer ehemaligen Studentin. Hélène, wie der Managementprofessor der französischen Business School Insead die Frau nennt, arbeitet in leitender Position in einer Bildungsorganisation. An die 500 E-Mails bekomme sie täglich. Davon lese sie: keine. Warum? „Würde ich sie lesen, würde ich meine Arbeit nicht richtig machen“, sagt sie. Ihr Job sei es schließlich, über die Zukunft des Bildungssystems nachzudenken. Dafür braucht sie Zeit. Zeit, die sie nicht hätte, wenn sie alle E-Mails beantworten würde.

Diese Anekdote schildert der Professor auch in einem Aufsatz, in dem er den verborgenen Wert des produktiven Faulenzens ergründet. „Das vielleicht größte Problem, das wir heute haben, ist nicht, dass wir zu wenig tun, sondern zu viel“, schreibt er darin.

Fast jeder ist heute einem unaufhörlichen Informationsfluss ausgesetzt, man multitaskt zwischen mehreren Projekten und jongliert nebenher noch das Privatleben. Textnachrichten, Anrufe, Handyvideos füllen jede freie Sekunde, in der der Geist früher durchatmen und auf neue Ideen kommen konnte. Doch dieser fehlgeleitete Aktionismus erstickt die Vorstellungskraft, wie die Psychologin Teresa Amabile von der Harvard Business School zeigen konnte. Über mehrere Jahre hinweg ließ sie mehr als 200 Angestellte in sieben verschiedenen Unternehmen Tagebuch führen und ihre Erfahrungen von Zeitdruck und Kreativität aufschreiben. Und siehe da: Die Teilnehmer waren an Tagen, an denen sie wenig Druck hatten, deutlich kreativer. Das wusste auch schon der legendäre General-Electric-Chef Jack Welch, der sich jeden Tag eine Stunde Zeit nahm, um aus dem Fenster zu schauen.

Kreativität ist wichtiger als Fleiß

Doch das haben viele scheinbar einfach verlernt. „In unserem Arbeitsalltag beschränken wir uns häufig auf rein operative Tätigkeiten und vergessen dabei die kreative Komponente unserer Arbeit“, sagt Karl de Molina, Gründer der Softwarefirma ThinkSimple. Eine Ursache dafür liege auch in der deutschen Mentalität. Hierzulande suche man Lösungen in der Ordnung und im Fleiß. Früher hat das gereicht. „Heute sind Kreativität und gekonnter Umgang mit dem Chaos notwendig, um kreativ mit unseren komplexen Aufgaben umzugehen zu können“, so de Molina.

Um dieser Fleißfalle zu entgehen, hat de Molina in seinem Arbeitsalltag das Nichtstun fest integriert. „Operative Faulheit“ nennt er das. Er minimierte Routinetätigkeiten, delegierte unwichtige Aufgaben und betrachtet seitdem das große Ganze, anstatt jedes Detail zu kontrollieren. Dazu gehört auch, dass er es in machen Situationen hält wie Altkanzler Helmut Kohl und akute Probleme aussitzt. Gar keine so leichte Aufgabe, vor allem wenn seine Mitarbeiter nach einer Reaktion von ihm schreien.

Denn bevor der falsche Eindruck entsteht: Faulheit alleine ist keine Grundlage, um erfolgreich zu sein. Das Nichtstun erfordert Geduld und Ausdauer – keine klassischen Eigenschaften von Faulenzern. Am Ende bleibt auch noch ein weiteres Problem: Ob Faulheit einen Nutzen hat oder nicht, sieht man immer erst im Nachhinein. Wer nichts tut und erfolgreich ist, sieht dabei besonders lässig aus. Wer nichts tut und nichts zustande bringt, einfach nur faul. So ist das mit den fiesen Gefühlen, ein bisschen was ist eben auch dran.

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