Geschichte der Arbeit Gute Gefühle statt gutes Geld

Die Historikerin Sabine Donauer hat in ihrer preisgekrönten Dissertation untersucht, wie Unternehmen die Gefühle ihrer Arbeiter beeinflussten. Aus Plackerei sollte "Selbstverwirklichung" werden.

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Sabine Donauer wurde für Ihre noch unveröffentlichte Doktorarbeit über die Geschichte der Arbeitsgefühle im 20. Jahrhundert mit dem Deutschen Studienpreis 2014 der Körber-Stiftung ausgezeichnet. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: In heutigen Stellenanzeigen ist die Botschaft stets: Bei uns sollst du all Deine Talente ausleben, zeigen, was du kannst, und Dich selbst verwirklichen. Spielten solche Glücksversprechen für die Arbeitswelt vor 100 Jahren auch schon eine Rolle?

Donauer: Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war Arbeit für die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung vor allem Plackerei. Ein notwendiges Übel, um sich und die Familie zu ernähren. Also eher Arbeitslast als Arbeitslust. Aber natürlich gab es auch damals schon Leute, die ihren täglichen Broterwerb mit großer Freude betrieben haben.

Wir reden jetzt nur vom Arbeiter im engeren Sinn?

Ja, in meiner Studie geht es um die Geschichte der Gefühle bei der industriellen Erwerbsarbeit, also von denen, die in der Werkshalle an der Maschine standen. Ich habe dafür das Personalmanagement von Unternehmen in den vergangenen 100 Jahren untersucht. Und dabei konnte ich feststellen, dass die Unternehmen schon zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit dem Versuch begannen, positive Gefühle für ihre Arbeiter zu erfinden.

Heute denkt man, dass nur moderne Unternehmen wie Google versuchen, eine Wohlfühl-Atmosphäre zu verbreiten. Aber es war auch den Industrieunternehmen vor 100 Jahren schon bewusst, dass die Stimmung der Arbeiter sehr produktionsrelevant ist. Solche Bemühungen zielen nach meiner Beobachtung immer auf den Teil der Arbeitsbevölkerung, der noch Alternativen auf dem Arbeitsmarkt hat. Oder auf solche, die einfach wegen ihrer großen Zahl von besonderer Bedeutung sind. Die normalen gewerblichen Angestellten waren vor 100 Jahren so wichtig für Unternehmen, dass man ihre Gefühle nicht unberücksichtigt lassen konnte. Heute sind es wahrscheinlich eher die jungen Hochqualifizierten im Dienstleistungsbereich, auf die das zutrifft.

Sind vom Anfang des 20. Jahrhunderts auch arbeitsbedingte psychische Leiden bekannt, wie wir sie heute als Burnout kennen?

Arbeiter berichteten auch damals von großer Erschöpfung, von Angst und Nervositätszuständen, weil die Arbeit sie komplett überforderte, weil es zu laut war und teilweise auch einfach körperlich sehr anstrengend. 

Und die Arbeitgeber haben das als Problem erkannt?

Um 1900 in der Hochphase der Industrialisierung haben Unternehmer meist noch sehr patriarchal reagiert. Sie versuchten, Konflikte mit Polizeigewalt zu lösen. Wenn sich die Arbeiter beschwerten über die Arbeitsbedingungen oder gar streikten, kam es oft zu handgreiflichen Konfrontationen auf dem Werksgelände. Aber kurz nach dem Ersten Weltkrieg, als die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik auch gesetzlich gestärkt worden war und sich das Kräfteverhältnis verschoben hatte, ließen sich viele Unternehmer von Arbeitswissenschaftlern beraten. Und die sagten ihnen, dass es deutlich weniger kostet, die Arbeitnehmer einzubinden. Und dann begannen die Bemühungen, eine Atmosphäre einer „Betriebsfamilie“ herzustellen. Die Unternehmer wandelten sich also und investierten in das Wohlbefinden auf dem Fabrikgelände.

So finden Sie den Spaß am Job wieder
Nicht gleich hochgehen!Man kennt das: Der Chef kommt rein und hat wieder tausend Wünsche, eine unrealistische Deadline und natürlich kaum Budget. Jetzt bloß nicht innerlich fluchen und sofort loslegen, rät der Managementcoach und Berater Klaus Schuster in seinem Buch "Keinen Bock mehr?". Die schlechte Stimmung beim Angehen der Aufgabe sorgt dafür, dass man vielleicht ein Drittel schafft - dann aber einbricht. Leistungsfähigkeit und Produktivität rauschen in den Keller, und das liegt nicht an der Schwere der Aufgabe, sondern an der miesen Laune. Erst der Spaß, dann stimmt auch die Leistung - das wissen auch Spitzensportler. Quelle: Fotolia
Wem macht was Spaß?Das gilt es, herauszufinden. Wer zum Beispiel von der Bürokratie und ständigem Berichte oder Protokolle schreiben genervt ist, der sollte sich im Büro umhören, wem solche Aufgaben Spaß machen. Vielleicht findet sich ein Kollege, der gerne Berichte schreibt und so die anderen von dieser für sie lästigen Aufgabe entlasten kann. Das Motto lautet: "Kille die Spaßkiller". Quelle: Fotolia
Boni sind wie DrogenMein Haus, mein Auto, meine Yacht: Viele Manager sind scharf auf dicke Boni und Statussymbole. Laut Schuster liegt das daran, dass sie ihren Job unterbewusst so sehr hassen, dass sie mit immer extremeren Kompensationen gegensteuern müssen. Das kann in Sucht und Abhängigkeit führen - so klagen viele Manager ihre Boni auch noch ein, wenn das Unternehmen ruiniert ist. Abhilfe bietet es, sich jeden Tag Zeit zu nehmen und Aufgaben zu erledigen, die den nötigen Spaß wiederbringen. Machen Sie sich eine Liste, welche Tätigkeiten oder Prozesse Ihnen wirklich Spaß bringen. Fragen Sie sich dann jeden Tag: Wie viel von dieser Liste kann ich heute erledigen, um mir genügend Spaß zu verschaffen, um alles andere auch gut ertragen zu können? Quelle: Fotolia
Blöden Aufgaben einen positiven Schwung gebenDas Szenario: Sie bekommen einen richtigen "Blödjob": Ihr Chef beauftragt Sie, 200 Kunden anzurufen, weil bei 30 der gelieferten Produkte Fehler aufgetreten sein könnten. Anstatt sich nun durch 170 langweilig-nervige Gespräche zu quälen und sich 30 Mal anpflaumen zu lassen, weil das Produkt defekt ist, spaßen Sie die Aufgabe auf. Machen Sie anstatt der Entschuldigungsanrufe einfach eine Umfrage zur Qualitätssicherung. Wundern sich die 170 Kunden dann, wieso sie angerufen werden obwohl alles in Ordnung ist, können Sie sich über das positive Feedback freuen. Ist ein Betroffener eines Defekts am Rohr, können Sie sagen: "Fantastisch! Gut, dass ich Sie anrufe! Wir beheben sofort den Schaden, natürlich auf unsere Kosten." So kann durch ein bisschen zurecht biegen auch der blödeste Job noch Spaß machen. Quelle: Fotolia
Spaß ist nichts für WeicheierEin bisschen Mut ist unumgänglich, um Spaß im Job zu haben. Schuster erzählt von einer Episode seines Berufslebens, als er noch in einer Bank arbeitete und sein Chef ihn plötzlich als Leiter eines winzigen Lokalradios einsetzte, das aus einer Insolvenz an die Bank ging. Mutlosigkeit und Opferhaltung führen hier nur auf schnellstem Wege in den Burnout. Stattdessen rief Schuster nach einigen Tagen Überwindungsarbeit den Leiter des großen Senders Antenne Bayern an. Anstatt wie befürchtet ausgelacht zu werden, erhielt er wertvolle Ratschläge und startete topmotiviert durch - das Radio wurde ein Erfolg. Mut und das Schwimmen gegen den Strom zahlen sich aus. Quelle: Fotolia
Gehen Sie Ihren WegNörgeln, jammern, lästern über Job und Kollegen, das gehört für viele Deutsche schon beinahe zum guten Ton. Wer Spaß im Job hat, sollte besser handeln wie ein Gentleman: Genießen und Schweigen. Je mehr Spaß Sie im Job, der Ehe, mit den Kindern oder im Leben haben, desto heftiger werden Sie mit Neidern und Masochisten aneinander geraten. Arbeiten Sie lieber früh, um am Nachmittag Zeit mit der Familie zu verbringen, weil Sie das glücklich macht - doch die Kollegen ziehen Sie auf, wenn Sie als Erster das Büro verlassen? Lassen Sie sich nicht beirren - schenken Sie ihnen ein Lächeln und machen Sie den Stinkefinger in der Hosentasche. Quelle: Fotolia
Stress nicht mit Erfolg verwechseln"Je gestresster ich bin, desto wichtiger bin ich auch" - ein fataler Denkfehler. Wer versucht, den Sinn seines Lebens im Stress zu finden, der ist Burnout-gefährdet. Erschöpfung ist kein Ersatz für Erfolg - und den erlebt man nur mit Spaß an der Arbeit (siehe Punkt 1). Widerstehen Sie der ständigen Versuchung, in Hektik zu verfallen. Quelle: Fotolia

Was bedeutet das konkret?

Zum Beispiel behagliche Kantinenräume, Parkanlagen, Sportplätze für die Belegschaft. Das ist ein wechselseitiger Prozess. Die Arbeiter beschwerten sich über dunkle Fabrikhallen und schlechte Behandlung durch herumbrüllende Vorarbeiter. Diese Beschwerden haben dazu beigetragen, dass sich die Arbeitgeber gegenüber Veränderungen geöffnet haben. Natürlich sank auch die Arbeitszeit langsam, die Werkshallen wurden besser beleuchtet und belüftet, der Lärm reduziert. Aber insgesamt haben die Arbeitgeber nur wenige Kompromisse bei der Arbeitslast gemacht. Die Geschwindigkeit der Fließbänder hat sich in den Zwanzigerjahren sogar verdoppelt. Aber die Gehälter nicht.

Statt handfester, finanzieller Verbesserungen boten die Arbeitgeber bessere Gefühle?

Ja. Die Arbeitgeber versuchten die Arbeitnehmer durch eine emotionale Politik an die Betriebe zu binden. Und mehr noch: Sie zu begeistern für das reibungslose Funktionieren der Fabrik. In einer Manager-Zeitschrift der Vorkriegszeit wird Chefs zum Beispiel ein „leutseliges Wesen“ empfohlen und die „achtungsvolle Behandlung“ des Personals, sowie „aufmunternde Worte und gelegentliche Anerkennung“. Nach dem ersten Weltkrieg fruchtet dieser Rat und aus „Arbeitern" werden in der Weimarer Republik „Mitarbeiter“.

Schon 1900 wollten Arbeiter lieber Zeit als Geld

Ist die Machtergreifung der Nazis 1933 auch eine Zäsur für die Arbeitsgefühle?

Nein. Viele Maßnahmen der Arbeitgeber wachsen einfach fort. Die Nationalsozialisten fördern auch die Rhetorik der „Werksfamilie“ und vergeben günstige Kredite, damit die Unternehmen bessere Sanitäranlagen oder Sportplätze bauen können. In den Kriegsjahren, als die Arbeitsmoral leidet, setzt das nationalsozialistische Regime dann aber auf etwas Neues: nämlich psychotherapeutische Verfahren. Viele Vorarbeiter und Meister wurden zu psychologischen Schulungsseminaren geschickt, um sich besser auf das Innenleben der Arbeiter einstellen zu können. Das wird 1943 kriegsbedingt abgebrochen, aber später, in den 50er Jahren setzt man das dann unter dem Oberbegriff „Human Relations“ wieder fort. Das ist also der Versuch, durch die Herstellung einer guten zwischenmenschlichen Atmosphäre die Arbeitsbereitschaft zu heben.

20 Lektionen von schlechten Chefs
1. Jeder im Team ist wichtig. Niemand verdient schlechte Behandlung.Knoblauch bezieht sich in seinem Buch auf den ehemaligen Topmanager Michael Hyatt, der sagt: Ja, man kann auch von schlechten Chefs etwas lernen. „Damals habe ich es gehasst, für sie zu arbeiten, aber heute möchte ich die Lernerfahrung nicht missen.“ Der Kontrast habe ihm gezeigt, wie man es richtig macht. Quelle: AP
2. Mit ihrer Einstellung und ihrem Verhalten schaffen Vorgesetzte ein emotionales Klima. Denn: Jeder Chef kann in seinem Team nur so viel Begeisterung wecken, wie er selbst von seiner Arbeit begeistert ist. Und wo nur mit halber Kraft gearbeitet wird, ist das Unternehmen langfristig in Gefahr. Quelle: dpa
3. Je weiter du aufsteigst, desto mehr versuchen die Leute, aus allen deinen Worten und Taten etwas "herauszulesen". Während die Vermutungen nach unten durchsickern, wird ihnen immer mehr Bedeutung beigemessen. Quelle: dpa
4. Ein aufmunterndes Wort kann einem Mitarbeiter die ganze Woche retten. Umgekehrt kann ein barsches Wort sie ruinieren. Quelle: dpa
5. Stelle die richtigen Leute ein und dann habe Vertrauen, dass sie ihren Job erledigen. Quelle: dpa
6. Stelle niemals Menschen absichtlich vor ihrem Chef, ihren Kollegen oder ihren direkten Untergebenen bloß. Quelle: AP
7. Greife niemanden persönlich an. Nimm stattdessen die Leistung in den Blick. Quelle: dpa

Sind diese Bemühungen auch ein Versuch, die Arbeitsmoral des Unternehmertums – was Max Weber den „Geist des Kapitalismus“ nennt - auf die Arbeiter zu übertragen?  

Max Weber hat selbst in seinen Untersuchungen um 1900 festgestellt, dass Arbeiter, die die Chance hatten, durch einen erhöhten Stücklohn mehr zu verdienen, lieber auf den Zugewinn verzichteten und dafür früher nachhause gingen. Die Arbeiter wollten lieber mehr Zeit als mehr Geld. Max Weber erkannte, dass mit solchen Arbeitern kein Kapitalismus zu machen ist. Wenn man Wachstum will, ist man auf Arbeiter angewiesen, die bereit sind, mehr zu arbeiten, statt früher nachhause zu gehen. Weber erkannte, dass ein „Erziehungsprozess" notwendig sei, um die für den Kapitalismus benötigten Arbeitnehmer hervor zu bringen. Genau das ist in den nachfolgenden Jahrzehnten dann geschehen.

Mittlerweile erziehen sich die Menschen unter Anleitung der Ratgeberliteratur schon selbst zur dauernden Optimierung ihrer Leistungsfähigkeit.

Der Arbeitsmarkt erwartet heute sehr große emotionale Ressourcen von jedem Arbeitnehmer. Die Anforderung ist, dass jeder sich selbst motivieren kann und Begeisterung für die Arbeit mitbringen muss. In einem Bewerbungsgespräch vor hundert Jahren wurde nicht erwartet, dass der Bewerber Begeisterung für das Unternehmen zeigt, sich mit ihm identifizieren will und große Herausforderungen sucht.

Welche Rolle spielten in diesem Prozess der Psychologisierung des Arbeitslebens eigentlich die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften habe das weitgehend verpasst. Sie waren ganz auf die harten Faktoren Gehalt und Arbeitszeit fixiert und überließen die Ausgestaltung der Arbeitsgefühle den Unternehmen. Auch heute spielen sie in der Diskussion über Burnout und ähnliche Probleme keine große Rolle.  

Was können heutige Arbeitnehmer aus der Geschichte der Arbeitsgefühle lernen?

Es gibt zwei gegenläufige Tendenzen der Gegenwart. Einerseits suchen gerade junge Menschen der so genannten Generation Y den Sinn des Lebens nicht mehr unbedingt in der Arbeit, sondern in anderen Lebensbereichen. Andererseits haben Investoren ein großes Interesse an höheren Wachstumsraten. Und die sind nur zu erzielen, wenn sie die Arbeitgeber dazu motivieren, mehr zu arbeiten. Ich gönne natürlich jedem Menschen den Spaß an der Arbeit. Aber die Geschichte zeigt: Umso emotionaler die Rhetorik der Arbeitgeber wird, zum Beispiel durch den Begriff der Selbstverwirklichung, desto gefährdeter werden hart erkämpfte konkrete Absicherungen und Abgrenzungen. Ich empfehle darauf zu achten, dass man nicht gute Arbeitsbedingungen gegen vorgeblich gute Gefühle eintauscht.

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