Gründer: Social Commerce Tupper-Party im Netz

Der heißeste Trend im Internet heißt Social Commerce. Hier vernetzen zahlreiche Online-Unternehmen ihre Nutzer zu neuartigen Online-Marktplätzen – und revolutionieren damit das Einkaufen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Silke Berz geht leidenschaftlich gern einkaufen. Doch die 32-jährige Angestellte einer Frankfurter Internet-Agentur zieht nicht nur durch Shopping-Center und Klamottenläden. Ihre Einkaufswelt ist auch das Netz. Hier kauft sie Designer-T-Shirts, Bücher und tauscht sich obendrein mit anderen Konsumenten über die Produkte aus. Sie beteiligt sich auf neuen Preisvergleichseiten an der Schnäppchensuche, empfiehlt in interaktiven Listen ihre Lieblingsmöbel und verkauft Bücher über ihr Weblog. Dort schreibt sie als Paulinepauline über die neue Einkaufswelt und ist so bereits zu einer gefragten Expertin des neuen Online-Handels avanciert. Berz ist Teil einer wachsenden Bewegung aus Online-Kunden, die nicht mehr passiv konsumieren, sondern mitmachen wollen. Eine zunehmende Zahl von Gründern gibt ihnen dazu die Gelegenheit. Fast im Wochentakt eröffnen sie virtuelle Läden, die ihren Kunden große Teile der Arbeit überlassen: Die Nutzer suchen selbstständig nach den besten Preisen, beraten sich gegenseitig beim Kamerakauf, organisieren das Marketing unbekannter Filme oder kurbeln gleich selbst den Verkauf ihrer Lieblingsbücher an. Die neuen Internet-Läden sind wie Wochenmärkte, auf dem jeder jede Rolle einnehmen kann – mal Kunde, mal Berater, mal Verkäufer, mal Preisagent. Social Commerce nennen Experten die neue Einkaufswelt. Die Nutzer des 2006 gestarteten Marktplatzes Dealjäger zum Beispiel gehen kollektiv auf Schnäppchenjagd. Aus großen und kleinen Läden der Online-, wie Offline-Welt fischen sie die besten Angebote heraus. Wer einen billigen MP3-Player gefunden hat, stellt den Hinweis auf die Plattform. Andere können ihn dann mit ihren Fundstücken unterbieten. Das wird belohnt: Schnäppchenjäger, die besonders oft andere „Deals“ unterbieten, können mit einer Prämie von bis zu 400 Euro rechnen. Dealjäger ist eine soziale Mutation von konventionellen Preissuchmaschinen wie Guenstiger.de. Die saugen sich die Angebote in der Regel per Software aus den Offerten der Online-Shops. Bei den Dealjägern übernimmt das die Gemeinschaft, und die ist intelligenter als Maschinen: „Unsere Nutzer finden oft den besseren Preis“, sagen die Gründer Daniel Grözinger, 34, und Sven Schmidt, 32. Der Grund: Berücksichtigt werden auch Läden, die nicht im Internet sind, sowie kleine Internet-Shops, die nicht an die Datenbanken der großen Preissuchmaschinen angeschlossen sind.

Grözinger und Schmidt kennen sich mit Internet-Unternehmen aus. Mit dem Tickethändler Getgo und dem Stadtmagazin Dialo haben sie bereits zwei Online-Projekte gegründet. Nachdem das Duo beide Projekte versilbert hat, wirbeln sie und ihr 10-köpfiges Team nun mit Dealjäger den Online-Handel auf. 5000 Nutzer sind bereits registriert. Der Unternehmensberater Jochen Krisch, mit seinem Weblog „Exciting Commerce“ eine Art Vordenker des Social Commerce, prophezeit dem Online-Handel „radikale Veränderungen“ durch diese interaktiven Einkaufstouren. Für die traditionellen Internet-Shops bedeutet der neue Mitmach-Handel vor allem eines: Machtverlust. Laut einer noch nicht veröffentlichten Studie der renommierten Trendforscher des Schweizer Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) nimmt das Vertrauen der Verbraucher in große Händler und Hersteller überall ab. Deswegen suchen die Kunden zunehmend „Rat und Informationen bei anderen Kunden“, schreiben die Forscher. Der Boom der neuen Internet-Plattformen gründet sich allerdings auch darauf, dass die Jungunternehmer für ihre Geschäftsideen kaum Geld brauchen: So gut wie keines der Startups braucht ein eigenes Lager, Logistik-Probleme kennen die Gründer ebenfalls nicht. Bestellt ein Kunde etwa via Dealjäger ein Produkt, leiten die Hamburger die Order einfach an den entsprechenden Händler weiter und kassieren eine Provision. So können die Shopping-Revoluzzer ihre Online-Läden sogar wie die Yieeha-Gründer aus dem Wohnzimmer ihrer WG betreiben. „Homeoffice“ nennen es Philipp Schilling, 27, Stephan Seyboth, 30, und Henning Sievert, 26, wenn sie zur Betriebsversammlung an dem großen braunen Tisch in ihrer Hamburger Altbauwohnung zusammenkommen. Dabei sind sie keinesfalls Internet-Amateure: Schilling und Seyboth haben sich bei der Venture-Capital-Gesellschaft Polytechnos in München kennengelernt, wo Schilling als Analyst arbeitete und Seyboth als Werkstudent aushalf. Sievert, ein Studienfreund von Schilling, kam später dazu. Im Gegensatz zu den Hamburger Dealjägern, wo die Nutzer wissen, was sie suchen, geht es bei Yieeha darum, Dinge zu finden, die man noch nicht kennt: Unternehmen können hier Produkte verlosen, um sie bekannt zu machen. Mitglieder können Dinge verlosen, die sie nicht mehr brauchen und zudem ihre Lieblingsprodukte vorstellen. Geld verdienen die Gründer über Werbung und Provisionen. Das im Dezember 2006 auf den Markt gegangene Startup hat inzwischen rund 4200 Nutzer, jeder zweite besucht den Marktplatz einmal pro Woche. Bisher haben schon mehr als 500 Yieeha-Nutzer Produkte gewonnen, unter anderem neue MP3-Spieler, CDs und Kinderbücher.

Für die neuen Marktplätze gibt es großen Bedarf. Denn im Internet ist zwar unendlich viel Platz für Angebote. Doch kreuzen sich die virtuellen Pfade von Anbietern und Konsumenten mit zunehmender Expansion immer seltener. Deswegen üben Freunde und Bekannte einen wachsenden Einfluss auf Kaufentscheidungen aus. Das Internet produziere Vertrauen, indem es die Menschen miteinander verbindet und so „emotionale Nähe schafft“, schreiben die GDI-Forscher. Deswegen ist die Geschäftsidee der meisten Social-Commerce-Gründer, dass sie ihren Kunden helfen, Menschen mit gleichen Interessen zu finden. Die Kunden der Internet-Tauschbörse Hitflip zum Beispiel finden sich über ihren gemeinsamen Geschmack. Jedes Mitglied kann seine Meinung zu etwa 50 Filmen abgeben und anschließend Menschen treffen, die diese Filme ähnlich bewertet haben. So verbinden sich die Fans von Kung-Fu-Film-Raritäten aus den Siebzigern oder die Liebhaber romantischer Schnulzen. Mit derartigen Spezialitäten bestreitet das Kölner Startup schon über die Hälfte seines Geschäfts, das sich aus einer kleinen Gebühr speist. Hinzu kommen Tauschzirkel, etwa für Krimi-Hörbücher oder Gothic-CDs. Mit ihren Empfehlungen üben die Nutzer eine doppelte Funktion aus: Sie sind Filter wie Multiplikatoren. Über die Netzwerke finden sie Dinge, die sie vorher womöglich gar nicht kannten, die aber viel besser ihren Geschmack treffen als die Produkte in standardisierten Bestsellerlisten. Den monotonen „Hitparaden“ könnte das schon bald den Garaus machen, prophezeit der Chef des Magazins „Wired“, Chris Anderson, in seinem Buch „The long Tail“. Wie gut der menschliche Filter funktioniert, zeigt das Beispiel Edelight. Der ehemalige Unternehmensberater Peter Ambrozy, 33 sowie seine beiden Mitgründer Steffen Belitz, 32, und Tassilo Bestler, 26, hatten beobachtet, wie schwer es manchen Menschen fällt, Geschenke zu finden. Deshalb gründeten sie die Edelight-Community, deren Mitglieder Geschenkempfehlungen nach Geschlecht, Typ oder Interessen des Beschenkten aus der Tipp-Datenbank herausfiltern. Die Informationen dazu stammen von anderen Mitgliedern, die wiede-rum ihre Lieblingsprodukte empfehlen und zudem verraten, welche Interessen sie haben, wie alt sie sind und was sie mögen. Der Anreiz mitzumachen: Kauft jemand ein bei Edelight empfohlenes Produkt, erhält der Autor eine Provision. Wer einige Dutzend Geschenke empfiehlt, kann sich 100 Euro und mehr im Monat dazuverdienen. In der sozialen Einkaufswelt begnügen sich die Kunden allerdings nicht mit der Rolle des Ratgebers – einige werden selbst zu Verkäufern. Mit sogenannten Widgets, das sind individuell gestaltbare Einbaufenster für Web-Seiten, können Weblog- oder Myspace-Nutzer mit wenigen Handgriffen einen Mini-Laden auf ihrer Seite eröffnen. Sie können die Produkte selbst zusammenstellen und kassieren für jeden Abschluss eine Provision. So wandelt sich der Handel im Netz zu einer globalen Tupper-Party.

Das Vorbild dazu stammt von einem der größten Online-Marktplätze: Amazon. Der US-Händler bietet solche Amateurfilialen mit seinen sogenannten A-Sores schon seit August vergangenen Jahres an. In wenigen Wochen will auch das Düsseldorfer Startup A Better Tomorrow solche Verkaufsfenster einrichten. Der im September von den Designern André Grünhoff, 27, und Tim Lindemann, 27, gestartete Internet-Laden für Designerklamotten zeigt zugleich, dass unter den sozialen Internet-Läden oft diejenigen besonders erfolgreich sind, die eine Nische besetzen. Über 10.000 Kunden haben die Düsseldorfer bereits. Auf ihrem Marktplatz werden nur kleinere Modelabels zugelassen. Die in der Regel jungen Designer stellen ihre neuesten T-Shirts, Hosen oder Hemden in kleinen Minishops auf die Seite. Die Nutzer wiederum küren die besten Entwürfe in Wettbewerben oder geben ihren Kommentar zu neuen T-Shirts ab. Viele der deutschen Social-Commerce-Gründer gehören international zu den Vorreitern. Dealjaeger zum Beispiel gilt unter Experten als eine der innovativsten neuen Seiten. Über das Bremer Startup Iliketotallyloveit haben bereits das US-Magazin „Wired“ und die britische „Times“ berichtet. Iliketotallyloveit funktioniert wie das Nachrichtenportal Digg, auf dem sich Nutzer gegenseitig auf interessante Meldungen hinweisen – nur, dass bei Iliketotallyloveit Produkte bewertet werden. Bisher haben sich die Investoren noch zurückgehalten. Marktinsidern zufolge werden aber schon bald die ersten großen Beteiligungen verkündet. Laut Berater Krisch wird die Zahl der Social-Commerce-Gründer dadurch deutlich zunehmen. Bedarf sehen Experten auch noch an Startups, die den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Plattformen vereinfachen. Aber auch Orte, an denen sich Sammler treffen oder Köche, die spezielle Öle suchen, bieten attraktive Nischen. Für das Beratungsunternehmen Gartner steht deshalb fest: Online-Händlern, die heute die sozialen Elemente im Verkauf ignorieren, entgeht morgen der Umsatz.

GEMEINSAM EINKAUFEN Die interessantesten Angebote der deutschen Social-Commerce-Gründer im Überblick. A Better Tomorrow Mit ihrem 2006 gegründeten Internet-Marktplatz will das Düsseldorfer Startup vor allem jungen Modedesignern einen Marktzugang schaffen. Sie bündeln Kunden zu einer Gemeinschaft, die sich über die jungen Labels austauscht und die besten Entwürfe prämiert. 10.000 Nutzer schauen bereits regelmäßig auf der Plattform vorbei. www.a-better-tomorrow.com Askfirst Bei Askfirst sollen die Mitglieder ihre Lieblingsprodukte empfehlen, ähnlich wie bei Edelight (siehe unten). Das Angebot befindet sich allerdings noch in einer frühen Testphase. www.askfirst.de Dawanda Ein Einkaufsportal, auf dem vor allem Kunsthandwerker ihre Produkte einem interessierten Publikum anbieten. Dawanda ist angelehnt an die sehr erfolgreiche amerikanische Seite Etsy.com. Einer der Investoren ist die Verlagsgruppe Holtzbrinck, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört. www.dawanda.de Dealjäger will sich zu einer Preisagentur entwickeln, bei der Kunden für Kunden recherchieren: Wer den besten Preis für ein Produkt sucht, wendet sich an die Schnäppchenjäger-Gemeinde. Die fahndet binnen Stunden nach dem besten Angebot. www.dealjaeger.de Deals Verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Dealjäger. Die vor wenigen Tagen gestartete Seite wird von der Freiburger Agentur New Media Labs betrieben. Nutzer können Produkte und Online-Shops bewerten. Dafür sammeln sie Punkte, die sie später in Prämien tauschen können. www.deals.de Edelight Die Plattform gibt Anregungen für Geschenke, indem Nutzer anderen ihre Lieblingsgeschenke empfehlen. Seit dem Start 2006 haben die rund 8000 Edelight-Mitglieder bereits 10.000 Empfehlungen geschrieben. www.edelight.de Hitflip Nutzer der Tauschbörse können CDs, DVDs, Spiele und Bücher über das Internet tauschen. Über 400.000 Artikel sind bereits in der Hitflip-Datenbank. www.hitflip.de Iliketotallyloveit Die Nutzer empfehlen Produkte, andere bewerten die Empfehlungen mit Punkten. Produkte mit den meisten Punkten stehen oben. Dadurch entsteht eine Hitparade der Lieblingsprodukte. Die Idee hatten Martin Albrecht, 25, Till Backhaus, 26, (beide Informatiker), Malte Gösche, 27, (Amerikanistik), Silke Jahn, 27 (digitale Medien) in ihrer WG- Küche. In den USA gilt das Unternehmen als einer der heißen Internet-Newcomer. www.iliketotallyloveit.com Shoppero Wie beim Verbraucherportal Ciao.com schreiben Mitglieder Produktrezensionen. Der Unterschied: Sie werden dafür an Shopperos Werbeeinnahmen beteiligt. Die Idee wurde von Blogg.de-Gründer Nico Lumma, 34, entwickelt. Shoppero ist erst vor wenigen Wochen gestartet, zu den Investoren gehören der Werbungsanbieter Ströer und der Businessangel Jens Kunath. www.shoppero.com Sosmart setzt auf Geschenkempfehlungen. Nutzer können die beliebtesten Geschenke wählen und eigene, selbst bestückte Geschenkeshops einrichten. Betrieben wird Sosmart von der Mainzer Agentur Netz98. www.sosmart.de Spreadshirt Gründer ist Lukasz Gadowski, 29. Spreadshirt-Nutzer können sich T-Shirts bedrucken lassen, auch mit selbst entworfenen Motiven, und diese dann auf ihren eigenen Web-Seiten vermarkten (siehe auch WirtschaftsWoche 14/2007). www.spreadshirt.net Tradoria Im April gestartet, bietet die Bamberger Gründung einen virtuellen Marktplatz für kleine Händler, die gemeinsam mehr Aufmerksamkeit erzielen können. Gründer: Tobias Kobier, 31, der schon eine Internet-Agentur aufgemacht hat, und die ehemalige IT-Vertrieblerin Beate Rank, 36. www.tradoria.de Yieeha Unternehmen verlosen unter Yieeha-Mitgliedern Produkte, die sie bekannt machen wollen. Die Mitglieder wiederum schreiben über Produkte, die sie selbst mögen und von denen sie hoffen, dass sie später ebenfalls verlost werden. www.yieeha.de

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%