160 Millionen Dollar für Sennder Das Rennen um die Frachttransporte von morgen

Quelle: Presse

Das Start-up Sennder will die digitale Spedition der Zukunft bauen – und wird nun mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet. Doch wie die Konkurrenz spürt es auch: Die Logistikbranche tut sich schwer mit bahnbrechenden Veränderungen.

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Es klingt wie ein All-Inclusive-Programm für Transportunternehmen: Eine verlässliche Versorgung mit Aufträgen, Rechnungen werden in wenigen Tagen bezahlt, es gibt Tankkarten, eine Service-Hotline und auf Wunsch sogar eine kostenfreie Planungssoftware. Das Berliner Logistik-Start-up Sennder fährt groß auf, um sogenannte Frachtführer mit fünf bis 50 eigenen Lastwagen an sich zu binden.

Das Kalkül dahinter: Sennder will zum möglichst attraktiven Partner für die zersplitterte Branche der Spediteure werden. Und dann aus den vielen kleinen Anbietern mithilfe digitaler Planung eine schlagkräftige Flotte unter der Flagge des Start-ups bauen. Auf 10.000 Lastwagen hat das Start-up heute schon Zugriff – und tritt damit als eine Art Flixbus für überregionale Frachttransporte in Europa auf.

Eine Million Lkw-Ladungen will Sennder nach eigenen Planungen in diesem Jahr abwickeln. Die Fahrten übernehmen dann die Vertragspartner, die in der Regel ein gutes Drittel ihrer Flotte für Sennder losschicken. Mehr als 200 Unternehmen gehören bereits zu den Auftraggebern, ist aus dem Umfeld des Start-ups zu hören. Darunter größere Mittelständler, aber auch Dax-Unternehmen wie Siemens. „Es gibt nicht genug Kapazitäten“, sagt Gründer David Nothacker, „das ist der Grund, warum Konzerne überhaupt mit uns reden.“

Nun will das 2015 in Berlin gegründete Start-up auf die Überholspur wechseln: Gerade hat es 160 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt. Die Finanzierung katapultiert das noch defizitäre Unternehmen in den überschaubaren Kreis von deutschen Start-ups, die mit mindestens einer Milliarden Dollar bewertet werden. Dazu gehören bislang etwa die Digitalbank N26, der Gebrauchtwagenhändler Auto1, der Kochboxen-Anbieter Hellofresh, die Erlebnisplattform Getyourguide und auch Flixbus. Unter den Geldgebern von Sennder sind Risikokapitalgeber wie Accel, Lakestar, HV Capital oder Project A – aber auch Lkw-Hersteller Scania.

Erziehungsarbeit in Sachen Digitalisierung

Newcomer Sennder tritt mit digitaler Organisation und fremder Flotte gegen etablierte Anbieter wie DB Schenker, Kühne + Nagel oder Lkw Walter an. Doch in der konservativen Branche ist das ein Elefantenrennen: „Die Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern die Adaption“, sagt Nothacker. Wie bei klassischen Speditionen arbeiten auch beim Start-up eine Reihe Disponenten, die Transportaufträge weitervermitteln. Doch mit sanftem Druck will Sennder die Digitalisierung vorantreiben. So drängt das Start-up die Transportpartner nach einer Anlaufphase dazu, dass deren Lastwagen per GPS verfolgbar sind. Und wer seine Rechnung schnell überwiesen haben möchte, muss sie in digitaler Form ins System laden.

Auch in anderen Logistiksegmenten mühen sich Start-ups darum, ein Stück vom milliardenschweren Markt für sich zu gewinnen. Bei Forto, gestartet unter dem Namen Freighthub, bildet Seefracht einen Schwerpunkt – Unternehmen können über die digitale Spedition beispielsweise Container von Asien nach Europa befördern lassen. 

Konkurrenz um die Frachtkapazitäten

von Stefan Hajek, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Michael Kroker

Zu den Sennder-Konkurrenten, die ebenfalls Transporte über die Straße digitalisieren wollen, zählt Instafreight. 2016 gegründet, arbeitet das Unternehmen eigenen Angaben zufolge mit mehr als 25.000 Frachtunternehmen zusammen. Anfang vergangenen Jahres ist Shell mit seinem Wagniskapitalarm eingestiegen – eine Kooperation mit dem Ölmulti gibt es unter anderem im Bereich von Tankkarten. Im zersplitterten Markt sei durchaus Platz für mehrere Anbieter, so die Einschätzung von Logistik-Experten.

Darauf setzt auch Dizzbo, ebenfalls mit Sitz in Berlin. Die Besonderheit: Das Start-up vermarktet freie Kapazitäten in Lkws, die ohnehin schon unterwegs sind. Nehmen die Transportunternehmen kleine Umwege in Kauf, um zusätzliche Ladung abzuholen, können sie ihre Marge verbessern.

Ein Puzzle aus vielen Profitmöglichkeiten

Möglichst viel soll dabei digital passieren: Freie Kapazitäten sollen die Fahrer per App melden – das Start-up verspricht ihnen dafür einen Bonus. „Der Fahrer weiß am besten, wie viel Platz noch im Laderaum ist“, sagt Geschäftsführer Peter Baumgartlinger. Doch auch bei Dizzbo müssen die Mitarbeiter hin und wieder zum Telefon greifen. „Alle Eventualitäten bei der Straßenfracht abzubilden, ist aktuell noch nicht machbar“, sagt der Gründer - und verweist auf hohe Auftragsmengen im Zuge der Hamsterkäufe im vergangenen Frühjahr und das Grenz-Chaos durch den Brexit.

Diese Beispiele zeigen: In der Logistik-Branche geht es weniger um eine Revolution als vielmehr darum, Ineffizienzen der vergangenen Jahrzehnte nach und nach auszuschalten. Dank intelligenter Planung will auch Sennder etwa die Leerfahrten reduzieren, die in der Branche im Schnitt knapp 30 Prozent ausmachen. Über einen größeren Kundenkreis und eine digitale Routenplanung sollen die Sennder-Lkws so mit jeder Fahrt ein paar Prozent wirtschaftlicher sein.

Mit mehr Tech gegen die etablierten Mitspieler

Dadurch kann das Start-up auch bei der Fahrtvermittlung mit höherer Effizienz werben – und sich hier einen Teil der Marge sichern. Dazu erhält Sennder in kleinem Umfang Vergütungen von Partnern, wenn Tankkarten von den Fahrern genutzt werden oder Rechnungen vorfinanziert werden. Kommt alles zusammen, summieren sich die Einsparmöglichkeiten: Für die italienische Post etwa übernimmt Sennder seit dem vergangenen Sommer in einem Joint-Venture bereits einen Großteil der Pakettransporte zwischen größeren Städten. Dort erreiche man Margen, die etwa 40 Prozent über dem Branchenschnitt lägen, sagt Nothacker: „Das ist in etwa auch das, was wir unsere Investoren versprochen haben.“ Die haben insgesamt nun bereits eine Viertelmilliarde Dollar in das Start-up gesteckt.

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Im Vergleich zu reinen Software-Start-ups skaliert das Modell von Sennder zwar langsamer – doch der potenzielle Markt ist ungleich größer. Zwei Milliarden Euro Umsatz peilt das Start-up bis 2025 an. Zukünftig will Gründer Nothacker die Planungssoftware, an der 200 der aktuell 800 Mitarbeiter basteln, auch an große Versender lizensieren. Mehr als die Hälfte der aktuellen 160-Millionen-Dollar-Finanzierung fließe daher in die Plattform, kündigt das Start-up an. „Das ist der einzige Weg, mit der wir uns langfristig von traditionellen Speditionen differenzieren“, sagt Nothacker, der Sennder gemeinsam mit Julius Köhler und Nicolaus Schefenacker gegründet hat. Die alteingesessene Konkurrenz ist jedoch ebenfalls aufgewacht: So ist Deutsche Post DHL seit einigen Jahren mit der Digitalspedition Saloodo unterwegs. DB Schenker hat mit Drive4Schenker eigene Plattform gebaut, über die Transportpartner ihre Lastwagen füllen können.

Wachstum dank Sofa-Speditionen

Sennder setzt auch auf Zukäufe, um schnell zu wachsen. Im Blick hat Gründer Nothacker aktuell vor allem sogenannte „Sofa-Speditionen“ mit bis zu 50 Mitarbeitern. Das sind Frachtvermittler, die heute via Telefon ohne eigenen Lastwagen Flotten zusammenstellen. Ihr Marktwissen soll beim Einstieg in neue europäische Märkte helfen – gerade bei komplexeren grenzüberschreitenden Transporten sieht Sennder noch viel Potenzial.

Doch das Start-up muss auch darauf achten, sich selbst nicht zu überladen. Im vergangenen Jahr stemmte Sennder bereits zwei größere Zukäufe: Zuerst kam der französische Konkurrent Everroad dazu, dann kauften die Berliner das europäische Geschäft von Uber Freight. Die technische Integration sei bald abgeschlossen, verkündet Nothacker. Kulturell gestaltet sich das Zusammengehen etwas schwieriger. Schließlich waren im Corona-Jahr die Gelegenheiten für gemeinsame Treffen rar. „Was uns fehlt, ist schon, dass man sich mal zusammensetzt und ein Glas Bier oder Wein trinkt“, sagt Nothacker.

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