Autorin über das Silicon Valley „Das alles ist einfach so kaputt und so amerikanisch“

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„Im Silicon Valley gibt es eine wachsende Arbeiterbewegung“

Sie sprechen oft den Selbstoptimierungszwang an: Ob Fitnesstracker für Mitarbeiter, eigene Fitnessstudios im Büro oder das ewige Inlinern und Skateboarden im Büro. Geht es nicht ohne?
Ich denke, dass Unternehmenskulturen oft die Schwerpunkte des Geschäftsmodells widerspiegeln. In der Techbranche gibt es einen echten Drang, alles zu messen. Seinen Blutzuckerspiegel zu überwachen, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Diese Art von Biohacking meine ich. Das ist, glaube ich, so etwas wie eine Subkultur in der Techbranche. Aber ich war noch nie an einem Arbeitsplatz, wo es hieß, ich müsse alle meine Schritte tracken oder so. Allerdings arbeiten in der Techbranche viele Menschen, die diese Idee der Quantifizierung und des Biohackings auch für sich selbst gut finden. In der Tech-Szene sind Messungen nämlich das A und O. Das habe ich selbst erlebt: In einem meiner Jobs wollte ich die Texte auf der Website verbessern – zumindest mal die Zeichensetzung ordentlich machen. Es war wirklich schwer, das durchzusetzen, weil man die Wirkung von guten Texten nicht direkt messen kann. Da musste ich dann argumentieren, dass Texte eine Form der User Experience sind und die Leute nichts lesen sollen, was Fehler hat - weil sowas direkt ins Auge springt. Das den Tech-Leuten klar zu machen, war aber schwierig. Den Wert von Dingen zu verdeutlichen, die eben nicht quantifizierbar sind. Und das ist meiner Meinung nach die Ursache vieler Probleme der Start-ups. Dass mehr Wert auf Quantität als auf Qualität gelegt wird.

Unter dem Hashtag #stophateforprofit haben im Juli viele große Firmen die Werbung auf Facebook boykottiert. Was halten Sie davon?
Ich finde es sehr interessant, dass Leute jetzt versuchen, Facebook und andere Unternehmen in eine bestimmte Richtung zu drängen. Spannender als den Werbeboykott finde ich aber den Druck der Mitarbeiter. Im Silicon Valley gibt es eine wachsende Arbeiterbewegung. Allerdings sind die Werbetreibenden ein größerer Teil des Puzzles: Facebook wird sich da eher den Werbekunden beugen als den Mitarbeitern. Ich denke, das ist eine gut gemeinte, interessante Bewegung. Aber einige Probleme, die angesprochen werden müssen, gehen weit über das Werbemodell hinaus.

Das Buch „Code kaputt“ erscheint am 20. August auf Deutsch. Quelle: PR

Welche denn?
Die Probleme, die ich bei Facebook sehe, sind inhärent mit dem Geschäftsmodell verbunden und lassen sich nicht durch einen Werbeboykott beheben: Werbetreibende wollen Nutzerdaten. Und diese Daten werden dadurch erzeugt, dass die Nutzer mit der Plattform interagieren. Das ganze Konzept und auch das Design von Facebook zielen deshalb darauf ab, polarisierende Inhalte und minderwertige, billig produzierte Informationen priorisiert anzuzeigen.

Aus Ihren Erfahrungen als Content-Moderatorin bei einem Start-up: Wo endet die Redefreiheit im Netz? 
In den USA ist es so, dass Plattformen, auf denen Inhalte von Nutzern ausgespielt werden – wie Facebook, Twitter oder andere Diskussionsforen – nicht für die Inhalte der Nutzer haften. Im Endeffekt entscheiden sie selbst darüber, was noch akzeptabel ist und was nicht. Deshalb glaube ich nicht, dass es in Zukunft einheitliche Regelungen darüber gibt, was im Internet gesagt werden kann. Und ich glaube auch nicht, dass es das unbedingt geben sollte. Allerdings finde ich, dass Plattformen ihre Verantwortung viel besser wahrnehmen könnten. Für mich geht es bei der Frage nicht darum, ob Unternehmen eigene Regeln schaffen sollten, sondern viel mehr darum, wie sie diese Regeln durchsetzen. Wann brechen sie ihre eigenen Regeln - und für wen? Wem gegenüber sind sie Rechenschaft schuldig? 


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Leichter gesagt als getan, oder?
Stimmt. Aktuell hat beispielsweise Facebook ein gewisses Monopol im Social-Media-Bereich. Doch alle Facebook-Inhalte so zu moderieren, wie man sich das wünschen würde, ist schlicht nicht machbar - die Kosten für genug Menschen, um alle Inhalte zu checken, inklusive psychischer Unterstützung, würden Facebook in den Ruin treiben. Und wir müssen auch verstehen, dass solche Unternehmen von kontroversen Inhalten profitieren. Jedes Geschäftsmodell, das auf der Sammlung von Nutzerdaten basiert, profitiert von Inhalten, die Menschen zur Interaktion mit der Plattform bringen. Über Redefreiheit im Netz zu reden, ohne die zugrundeliegenden Mechanismen zu betrachten, funktioniert meiner Meinung nach nicht. Es ist also verworren - ich habe da auch keine eindeutige Antwort drauf. Niemand hat eine gute Antwort darauf.

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