Berlin hat Oliver Samwer und seine Brüder. Vor mehr als 20 Jahren legten sie mit ihren Firmen Alando und Jamba den Grundstein für den heutigen Gründergeist in der Hauptstadt. „Keimzelle für eine ganze Nachfolgegeneration mit Lea-Sophie Cramer oder den Auto1-Gründern“, wie Investor und Start-up-Berater Peter Hornik die Aktivitäten der Samwers bezeichnet. München hat die Investitionen der Milliardärin Susanne Klatten und das Gründerzentrum UnternehmerTUM an der von Apple-Chef Tim Cook und Großunternehmer Elon Musk so geschätzten Technischen Universität. Und wen hat Stuttgart?
Keine so schillernde Figur oder ein so fortschrittliches Institut, dass das Silicon Valley es zur Kenntnis nehmen würde, und auch noch kein Einhorn. Das ist sicher. Doch das könnte sich bald ändern. Denn in keiner anderen deutschen Großstadt herrschen bessere Startbedingungen für Gründer als in Stuttgart. Das ist das Ergebnis einer Analyse des Unternehmens Business Name Generator. München landet auf Platz vier, Berlin sogar nur auf Platz zehn. Wie kann das sein?
„Stuttgart kommt einem nicht als erstes in den Sinn, wenn man an Start-ups denkt“, sagt Ann-Kathrin Stärkel. Sie ist beim ortsansässigen Start-up Flip verantwortlich für die Strategie und das Wachstum. Flip baut für Kunden wie Porsche und Rewe Apps, mit denen Mitarbeiter kommunizieren. „Die schwäbische Mentalität passt erst mal nicht zur Start-up-Denke“, kommentiert Stärkel. Doch der Standort werde unterschätzt, sei „gerade für den B2B-Bereich sehr interessant“. Klar, Mercedes, Bosch und Porsche „sitzen quasi die Straße runter“.
71 Prozent der Start-ups in Baden-Württemberg arbeiten Flip zufolge eng mit Großkonzernen und Mittelstand zusammen. Vor gut zwei Wochen besuchte Innen- und Digitalisierungsminister Thomas Strobl (CDU) das Start-up und lobte, den „einzigartigen Mix einer erfolgreichen Unternehmenslandschaft mit großer Innovationsfähigkeit und enormer Innovationskraft“.
Stuttgart schneidet in dem Ranking von Business Name Generator besonders in zwei Kategorien gut ab. Im Top-10-Vergleich weist nur Frankfurt ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf. Und der Gewerbesteuersatz ist nur in Berlin noch niedriger. In der Hauptstadt zahlen Mieter aber inzwischen durchschnittlich über 300 Euro mehr Miete als in Stuttgart. Und die Lebensqualität ist in Berlin am schlechtesten.
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Gründen gehöre in Berlin „oft auch ein bisschen zum Lifestyle“, berichtet Stärkel, die selbst einige Jahre dort gelebt hat. Nach dem Motto: Gründen, um gegründet zu haben. Stuttgarter Gründer hätten meist schon ein paar Jahre in der Unternehmenswelt verbracht – und ganz konkrete Probleme, von denen sie wüssten, dass sie mindestens den eigenen Ex-Arbeitgeber genau so beträfen. Sie zeichneten sich durch „solide Geschäftsmodelle aus, die fast schon langweilig wirken“.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Aufregung und Aufmerksamkeit in Berlin also, Nüchternheit und Bodenständigkeit in Stuttgart. Die Kehrseite: Weniger Aufmerksamkeit bedeutet weniger Geldfluss, weiß auch Stärkel: „Das Funding ist schwieriger, institutionelle Investoren findet man kaum und die Konzerne sind da immer noch zurückhaltend.“
Die schlechten Wirtschaftsdaten und Inflationssorgen der vergangenen Monate, die neue Zurückhaltung und genauere Prüfung vieler Geldgeber, bevor sie ihre Millionentranchen abzeichnen, spielen Stuttgart aber durchaus in die Karten. „Der Markt hat sich geändert“, sagt Stärkel. „Die Finanziers setzen nicht mehr nur auf Wachstum um jeden Preis, sondern auch auf solide Geschäftsmodelle, die schnell profitabel werden können.“ Sie schätzten heute viel mehr den sparsamen Umgang mit Kosten und weniger „das größte Büro oder die größte Story“.
Die Mischung aus etablierten, manchmal staubbedeckten Konzernbüros und Coworking Spaces, durch die mehr Licht und Ideen strömen, prägt noch eine andere Landeshauptstadt 400 Kilometer weiter nordwestlich: Düsseldorf. Kurze Wege, hohe Zufriedenheit – und viele Möglichkeiten, Geschäfte zu machen – das kennt Peter Hornik, selbst Mehrfach-Gründer und Geschäftsführer des Digital Innovation Hub in Düsseldorf. Im Ranking landet die Stadt auf dem zweiten Platz.
Nach dem zweiten Weltkrieg haben viele amerikanische und asiatische Firmen hier ihre Europazentralen angesiedelt, japanische Konglomerate etwa mit 30.000 bis 100.000 Mitarbeitern, erzählt Hornik. Das liege auch am geografischen Vorteil: der größte Flughafen in NRW, 90 Auto- oder Zugminuten nach Bonn, Aachen und Dortmund. Aus Horniks Sicht eine einzigartige Kombination, die für Start-ups und Großunternehmen interessant ist.
Zwar hat Düsseldorf keine Ingenieurstudiengänge, aber die übernehmen andere, allen voran die RWTH in Aachen. „Dafür ist die Universität Düsseldorf stark in den Bereichen Biotech und Life Sciences.“ Ein Beispiel: „Dort werden Nutzpflanzen entwickelt, um die Welt satter zu machen.“ Viel Potenzial für Ausgründungen also.
„Ich gebe dir 20 Millionen, aber du musst in die Hauptstadt“
Die Aufgabe von Steffi Rehm ist es, dieses Potenzial umzumünzen in Geschäftsideen. Wissenschaftler für die Wirtschaft. Rehm arbeitete 17 Jahre lang für Vodafone, neun davon in London, ehe sie sich als Gründungsberaterin selbstständig machte. Heute arbeitet sie für das Gründerzeit-Team der Hochschule Düsseldorf. Dem Unternehmer-Nachwuchs empfiehlt sie vor allem eins: „Geht zu den Netzwerktreffen.“ Nur so kämen zufällige Begegnungen zustande, „lernt man jemanden kennen, der weiß, wen ich zu einem bestimmten Thema fragen kann“.
Angebote gibt es viele. Das NRW-Gründungsstipendium hält für jedes Teammitglied 1000 Euro monatlich bereit. Allein die Start-up-Woche organisiert jedes Jahr rund 150 Events. Mit 432 Veranstaltungen insgesamt hatte Düsseldorf 2022 hinter Berlin und Frankfurt die drittmeisten.
In Stuttgart waren es zwar rund 150 weniger. Aber auch Flip-Gründer Benedikt Ilg legt großen Wert darauf. Er ist Mentor beim Gründermotor der Stadt. Und auch über die Start-up-Autobahn vernetzen sich Gründer und Konzerne. „Gerade junge Teams bekommen so ein besseres Verständnis für die andere Seite. Und auch unter den Unternehmen wächst die Akzeptanz für Lösungen aus der Start-up-Welt deutlich“, sagt Stärkel.
Natürlich fehlen Düsseldorf und Stuttgart noch viele Milliardenbewertungen und internationale Durchbrüche heimischer Start-ups, um es mit Berlin und München aufzunehmen. Für Hornik „die allerwichtigste Zutat eines Ökosystems: ehemalige Gründer, die erfolgreich verkauft haben und etwas zurückgeben möchten“. Die gebe es auch in Düsseldorf. „Die Trivago-Gründer wie Rolf Schrömgens haben in Düsseldorf und Umgebung immer schon einen wertvollen Beitrag geleistet.“ Und auch die Gründer der Tonieboxen, Marcus Stahl und Patric Faßbender, „lieben es, ihrer Community etwas zurückzugeben“.
Eine mögliche Erklärung, warum Berlin und München in der Rangliste nicht ganz so stark abschneiden, hat Steffi Rehm: „Vielleicht sind die Städte schon satt und fördern Neugründungen nicht mehr so stark.“ Manch ein Start-up zieht auch erst nach Berlin, wenn es schon die ersten Hürden genommen hat. Das hat Hornik beobachtet: „Viele Gründer sind von ihren Investoren gedrängt worden, nach Berlin zu gehen: ‚Ich gebe dir 20 Millionen, aber du musst in die Hauptstadt.‘ Die 200 erfolgreichsten Leute kennen sich alle untereinander und investieren gemeinsam – ob sie sich mögen oder nicht.“
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