Boom dank Corona Der Angriff der Firmen-Facebooks

In Krisen ist die interne Kommunikation häufig sehr einseitig. Smarte Apps können das vermeiden. Quelle: Getty Images

In der Coronakrise dürsten Mitarbeiter nach Informationen und müssen zugleich auf Kollegengespräche verzichten. Es schlägt die große Stunde der digitalen Firmen-Netzwerke.

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Wann geht es wieder zurück ins Büro? Was mache ich mit meinen Urlaubstagen in Corona-Zeiten? Der Informationsbedarf von Angestellten in der Krise ist hoch. Doch am Schwarzen Brett kommen die Mitarbeiter im Homeoffice nicht mehr vorbei. Und wenn der Vorstand oder die Personalabteilung eine E-Mail schickt, melden sich zahllose Kollegen mit detaillierten Nachfragen – und warten dann lange auf individuelle Antworten. Auch innerhalb von Teams steigt der Abstimmungsbedarf erheblich, weil sich Probleme nicht mehr durch einen Gang ins Nachbarbüro klären lassen. „Die Unternehmen schaffen es nicht, Informationen so zu verteilen, wie Mitarbeiter sie gerne aufnehmen wollen“, sagt Benedikt Ilg, Gründer des auf Firmen ausgerichteten Messengers Flip.

Schon vor der Pandemie lagen diese Tools im Trend. Eine Befragung der privaten Medienhochschule Macromedia aus dem vergangenen Jahr zeigt: Die Bedeutung von sozialen Medien in der internen Kommunikation steigt stetig an. In der Umfrage messen bereits gut ein Drittel der Befragten diesen Programmen eine hohe Bedeutung zu – egal ob innerhalb von Teams oder über Hierarchieebenen hinweg. Bei der ersten Befragung 2013 lag dieser Wert bei etwa zwölf Prozent.

Die alten Wege der Mitarbeiterkommunikation, ob Rundmail, Intranet oder Hauszeitschrift, verlieren in vielen Unternehmen an Attraktivität. Angestellte wollen in den Austausch treten. Zudem wollen sie die Firmen-Netzwerke so bedienen, wie sie es von Twitter, Instagram oder WhatsApp kennen. „Wenn wir es dem Nutzer einfach machen, wird sich das langfristig durchsetzen“, ist Gründer Ilg überzeugt.

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Im Homeoffice schnellt die Nutzung in die Höhe

Zahlreiche Start-ups mühen sich auf diesem Markt der sogenannte Social-Intranet-Plattformen ab. In der Krise sehen die Digitalfirmen nun ihre Chance, sich Marktanteile zu sichern: „Seit Beginn des Lockdowns sind die Nutzungszahlen bei uns um 60 Prozent gestiegen“, vermeldet Jan Marquardt, Gründer des Hamburger Unternehmens Coyo. Von einem „enormen Anstieg“ berichtet Elie Mélois, Mitgründer des französischen Start-ups LumApps. Beekeeper aus Zürich schickt ähnliche Zahlen: 85 Prozent mehr wöchentlich aktive Nutzer in der Gesundheitsbranche, gut 50 Prozent mehr aus der Logistik.

Wo andere Start-ups in der Krise um ihre Liquidität kämpfen, versuchen die jungen Social-Intranet-Anbieter, die Lockdown-Welle zu reiten: LumApps etwa offeriert Unternehmen das „Cloud-Krisen-Kommunikationsangebot“ – und stellt eine Basisversion seines Programms bis Ende Juni kostenlos zur Verfügung. Coyo gibt seine Software kostenfrei für drei Monate ab unter dem Motto „Hilfe in schwierigen Zeiten“. Zudem wirbt das Start-up mit einem hohen Tempo: „In 48 Stunden setzen wir eine vollumfängliche Plattform für die Unternehmen auf“, verspricht Gründer Marquardt. Noch einen Schritt weiter geht Flip, das unter anderem Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz oder BASF-Aufsichtsratsvorsitzender Jürgen Hambrecht als Unterstützer und Business Angels führt: Hier ist der Unternehmens-Messenger-Dienst sogar bis Dezember 2020 kostenfrei – und in nur 24 Stunden soll das Programm auf den Smartphones der Mitarbeiter laufen.

Schneller Erfolg ist nicht garantiert

Das Kalkül der Anbieter: Wer in Homeoffice-Zeiten die zielgerichtete Kommunikation mit seinen Mitarbeitern zu schätzen lernt, kündigt die Software nicht, wenn alle wieder ins Büro zurückkehren dürfen. „Angestellte haben immer zu viele Informationen“, sagt LumApps-Gründer Mélois, „die Programme helfen dabei, dass sie nur die für sie relevanten Nachrichten erhalten.“ Dabei warnen sogar die Start-ups selbst davor, nach der Krise auf den automatischen Erfolg der sozialen Netzwerke zu bauen. „Die Plattform hinstellen, eine Rundmail schreiben und gut ist – diese Illusion kann ich jedem nehmen“, sagt Marquardt.

Außerhalb von Krisenzeiten hilft eine langfristige Strategie, um zuerst die Inhalte und dann die Mitarbeiter in die die neuen Dienste zu integrieren. Einige Unternehmen setzten auf analoge Werbung in der Belegschaft, berichtet Marquardt: Auf den Tabletts in der Kantine wurde mit Flyern für die Software geworben. „Eine kritische Masse von Mitarbeitern muss man erst einmal von den Anwendungen begeistern“, so Marquardt. Zentral ist zudem die Kultur im Unternehmen: Wer als Vorstand in seinen Rundmails von oben herab regiert, braucht in einer schicken App nicht auf Interaktion hoffen.

Keine Konkurrenz durch Teams, Slack & Co.?

Alle Anbieter versprechen dabei eine einfache Bedienung, eine schnelle Integration und – wichtig insbesondere für den deutschen Markt – eine datenschutzkonforme Speicherung der Mitarbeiterprofile. In der Google-Suchleiste zeigt sich die Intensität des Wettkampfs: Wer nach einzelnen Anbietern sucht, sieht eine ganze Reihe an Konkurrenten, die die teuer bezahlten Anzeigenplätze über dem Ergebnis buchen.

Auch die etablierten Softwarefirmen entdecken das Thema der Mitarbeiterkommunikation zunehmend für sich. Microsoft baut seinen Messenger-Dienst Teams immer weiter aus: Das hauseigene Videokonferenz-Tool Skype wird immer enger angebunden, das soziale Netzwerk Yammer wird derzeit in Teams integriert. Google bietet in seiner G-Suite zumindest die Grundfunktionen für den Dokumenten- und Nachrichtenaustausch unter Mitarbeitern. US-Anbieter Slack, eine Art Business-WhatsApp, gewann vor allem in der jüngeren Vergangenheit an Bedeutung.

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Die jungen Angreifer setzen ihren eigenen Fokus und vermeiden so den Wettbewerb mit den mächtigeren Software-Anbietern. „Der Markt sieht auf den ersten Blick überfüllt aus“, sagt Flip-Gründer Ilg, „aber das ist er gar nicht. Sie werden niemals mit Slack ihre gesamte Unternehmenskommunikation erledigen können.“ Coyo-Chef Marquardt sieht den Vorteil seiner Software darin, auch in der App die Unternehmensinhalte angemessen darzustellen – die Nachricht von der Vorstandsvorsitzenden soll nicht wie eine SMS auf dem Handy des Mitarbeiters ankommen: „Sobald bei Slack mehr als 100 Leute an einer Kommunikation beteiligt sind, wird es unübersichtlich.“ Und LumApps verweist stolz darauf, sogar als offizieller Partner von Microsoft geführt zu werden.  „Teams oder Slack stehen für eine direkte Kommunikation untereinander“, sagt Mélois. „Wir positionieren uns auf der Konzernebene.“

Zum Teil hängen sich die Start-ups sogar an die Tools der großen Anbieter an. Und integrieren wichtige Nachrichten aus dem Social Intranet über Slack und Co. direkt in die projektbezogene Kommunikation der Mitarbeiter. In diesen Tagen muss das nicht immer eine offizielle Verlautbarung der Konzernspitze sein – es könnte die Einladung zur gemeinsamen Pause in einem virtuellen Raum kommen. „Wir wollen auch die reale Kaffeeküche ersetzen“, sagt Marquardt.

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