Build-Measure-Learn „Wir brauchen mehr Start-up-Denken, um die Krise zu überwinden“

Ein Mann pflanzt einen Setzling in einen Topf Illustration Quelle: imago images

Wenn Konsumklimaindex und Wirtschaftsweise recht haben, stehen wir vor einer der größten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Die Umsätze vieler Unternehmen sind bereits deutlich zurückgegangen, Lieferketten waren unterbrochen, oft fehlt Finanzierung. Der erste Impuls: sparen, bewahren und abwarten. Ein Gastbeitrag von Alex von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds.

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Eine aktuelle Studie von Innovationsforschern des Austrian Institute of Technology (AIT) und des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung hat das Verhalten von Unternehmen in vergangenen Krisen ausgewertet. Das Ergebnis: Auch in der Finanzkrise 2008 haben unter anderem die Fahrzeug-, Elektronik-, oder Pharmabranche ihre Innovationsausgaben und Investitionen in R&D um zehn Prozent heruntergefahren. Krisenmodus eben. Kurzfristig sicher sinnvoll, aber tatsächlich das genaue Gegenteil von dem, was wir langfristig benötigen. Und das sind: mehr Innovationen. Denn auch das ist ein Ergebnis der Studie: Wer trotz der schwierigen Situation in neue Ideen investiert hat, ist stärker aus vergangenen Krisen hervorgegangen.

Es geht jetzt also darum beides gleichzeitig zu tun: sparen und investieren; Kosten im Auge haben und neue Ideen entwickeln; Existenzdruck aushalten und an eigene Innovationen glauben. Wir alle müssen mit dieser Widersprüchlichkeit leben – so wie es Start-ups schon immer tun. Für sie ist die ständige Unsicherheit nicht Neues, sondern Teil der DNA. Wie lange hält die Finanzierung, wie reagiert der Markt auf das Produktupdate? Gründeralltag. Darum bin ich überzeugt, dass wir insgesamt mehr Start-up-Mentalität in Deutschland brauchen.

Build-Measure-Learn lauten die Prinzipien des Lean-Start-up-Modells von Eric Ries. Kurz zusammengefasst steht dahinter die Vorstellung eines „schlanken“ Start-ups und die Idee, dass es ohne viel Kapital und mit reduzierten Prozessen möglich ist, erfolgreiche Produkte und Unternehmen aufzubauen. Dabei kommt es darauf an, möglichst schnell und agil auf Marktgeschehnisse oder Kundenfeedback zu reagieren und vor allem viel zu testen.

Genau diese Philosophie sollten wir uns jetzt zu Herzen nehmen, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bekommen und gegen das Virus anzukämpfen. Denn klar ist, dass es noch lange keine eindeutigen Antworten geben wird. Wer aber in ständiger Ungewissheit agiert, kann keine perfekten Antworten geben. Die langfristige Planbarkeit, die erfahrene Unternehmen sonst so stark macht, ist aktuell oftmals dahin. In solchen Situationen sind kleine Schritte, schnelle Anpassungen mit schnellem Testen und Ausprobieren gefragt. Dabei geht es nicht darum das große Ziel aus den Augen zu verlieren, aber den Weg gilt es nun flexibel zu gestalten.

Ich habe das bei vielen Start-ups aus unserem Portfolio gesehen: Wir sind ja krisenerprobt. Der High-Tech Gründerfonds (HTGF) wurde nach dem Platzen der DotCom-Blase gegründet und ist in der Finanzkrise groß geworden. Daher wissen wir: Die Talfahrt wird irgendwann vorbei sein, der nächste Boom wird kommen. Natürlich haben es auch in vergangenen Krisen nicht alle Start-ups geschafft, aber wer sich anpassen kann, digital denkt und bereit ist, neues schnell und schlank zu testen, ist oftmals besser aus der Krise gekommen.

Mehr Start-up-Mentalität für Deutschland bedeutet: einen konsequenten Digitalisierungskurs starten beziehungsweise vorantreiben, Partner aus Forschung und Entwicklung finden – und jetzt die Chance nutzen, gezielt mit jungen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Wir sehen in den 15 Jahren, in denen wir als HTGF aktiv sind, dass sowohl unsere Fondsinvestoren aus Großkonzernen und Mittelstand als auch unsere Start-ups von partnerschaftlicher Zusammenarbeit profitieren. Davon brauchen wir jetzt im großen Stil noch mehr – und ich versichere, dass es funktioniert. Mit einem solchen Denken und Handeln ist nicht nur den Mittelständlern und Industrieunternehmen geholfen, sondern womöglich auch vielen der 72 Prozent Gründerinnen und Gründern, die rückläufige Einnahmen und dadurch bedingte Liquiditätsengpässe als ihre aktuell größte Herausforderung bezeichnen (siehe aktueller Report von Deutsche Start-ups).

Mehr Start-up-Mentalität ist ein sinnvoller Weg, um mit unbekannten Situationen umzugehen, und eine herausragende Chance, neue Antworten auf die wirtschaftlichen Herausforderungen zu finden. Lassen Sie uns die Krise und die zum Teil völlige Umkehr gewohnter Abläufe nutzen, Innovationen zu fördern, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und agiler zu arbeiten. In diesem Sinne: Bitte kein Zurück zur Normalität, sondern hin zu mehr Start-up-Denken!

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