Chartanalyse statt Gedichtbesprechung Diese Start-ups wollen junge Leute fit für das Thema Finanzen machen

Viele Jugendliche haben zwar wenig Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen – aber trotzdem beachtliche Budgets zur Verfügung. Quelle: obs

Die finanzielle Bildung der Generation Z weist große Lücken auf. Das wollen einige Gründer jetzt ändern – und nebenbei Kunden für ihre Anlageprodukte einsammeln.

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Mehr als sechs Jahre ist es her, dass der Tweet einer 17-Jährigen Schülerin es nahezu in alle deutsche Zeitungen schaffte: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“, schrieb die Kölnerin damals. Ihre Forderung: Mehr Wirtschaftsthemen in der Schule.

Diskutiert wurde anschließend sehr viel über das Für und Wider eines solchen Schwerpunkts, doch geändert hat sich wenig. Wirtschaft steht weiterhin nur an wenigen Schulen auf dem Lehrplan. Laut einer Studie der zum gleichnamigen Vermögensverwalter gehörenden Flossbach-von-Storch-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Oldenburg wird es auch dort, wo Unterricht stattfindet, nur unzureichend gelehrt: In keinem Bundesland erreiche der Stundenumfang den eines normalen Nebenfachs. Was die Politik offenbar nicht ändern will, versuchen nun Start-ups für sich zu nutzen. Ihr Anspruch: Die Generation Z fit für das Thema Finanzen zu machen – und nebenbei Kunden für die eigenen Finanzprodukte gewinnen.

„Die Generation Z hat eine Reihe von Wirtschaftskrisen miterlebt, das Thema ist omnipräsent und dennoch hat kaum ein junger Mensch Ahnung davon“, sagt Bastian Krautwald, Gründer des Fin-Techs Wajve. So sehen es auch die 10- bis 25-Jährigen selbst. In einer Umfrage des Jugendforschers Simon Schnetzer schätzten 54 Prozent ihre Kompetenzen auf dem Gebiet als schlecht ein. „Es fehlt an adäquaten Angeboten“, moniert Krautwald, der mit seinen 24 Jahren selbst zur Generation Z gehört. „Zwar sind wir laut „Forbes“ besonders kaufkräftig, nutzen aber gezwungenermaßen nach wie vor veraltete Angebote von traditionellen Banken, mit denen man unter 18 zum Beispiel nicht mal online zahlen kann.“

Zusammen mit seinem Co-Gründer David Meyer will Krautwald dies nun ändern. Die beiden Wahlberliner, die zuvor bereits mit deinestudienfinanzierung.de eine Online-Plattform für Studierende aufbauten, haben nun eine Finanzplattform entwickelt, die Banking und finanzielle Bildung in einer App bündelt. Nutzerinnen und Nutzer sollen in Zusammenarbeit mit der Banking-Plattform Solarisbank nicht nur ein eigenes Konto führen können, sondern auch Erklärungen zu Themen wie Anlage und Sparmöglichkeiten erhalten. Weil diese Themen für viele Jugendliche nicht gerade spannend klingen, versuchen die Gründer die Nutzer dort abzuholen, wo sie sich am meisten aufhalten: In Netzwerken wie TikTok, Snapchat und Instagram. „Die Generation Z ist es gewohnt schnell zu antworten und immer erreichbar zu sein. Genau das wollen wir ihnen auch bieten – und das gleichzeitig spielerisch, unterhaltsam und kurz und knapp zusammengefasst.“

Generation Z: Vor allem an Konsum interessiert

Der Augsburger Generationenforscher Rüdiger Maas findet die Idee eines speziellen Banking-Angebots für 10- bis 25-Jährige generell einen guten Ansatz. Allerdings ist er skeptisch, ob dieses auch angenommen wird: „Die Generation Z interessiert sich nicht sonderlich für das Thema Finanzen. Zwar konsumieren sie gerne, aber die Frage woher das Geld kommt – und ob es immer ausreichend vorhanden sein wird – stellen sich die meisten nicht.“ Maas glaubt darum, dass der Erfolg eines Start-ups in diesem Sektor nicht mit der Aufmerksamkeit der Generation Z steht und fällt, sondern mit der ihrer Eltern. „Die Generation Z hat ein sehr enges Verhältnis zu Mutter und Vater. Ihre Einschätzung ist ihnen wichtig. Darum sollte man als erstes die Eltern für das Produkt begeistern.“

Genau diesen Weg wählten Max Schwarz und Jes Hennig. Die beiden Mittdreißiger sind Gründer des FinTechs Pockid. „Wir wollen schon 10-Jährigen ermöglichen, ihr eigenes Konto per Smartphone zu führen, da braucht es natürlich das Einverständnis der Erziehungsberechtigten“, erläutert Schwarz. Über die App sollen die Nutzer nicht nur ihren Finanzstatus im Blick haben, sondern auch mit einem Klick Überweisungen tätigen können – in Echtzeit. Ein solches Angebot eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Die Jugend von heute sei zwar mit Klarna und PayPal sozialisiert worden, dürfe diese Dienste wegen der Altersbeschränkung aber nicht nutzen. Schwarz erzählt: „Studien, die wir gemeinsam mit unserem Partner Mastercard durchgeführt haben, zeigen, dass 34,5 Prozent der 14- bis 18-Jährigen solche Online-Bezahldienste mit gefälschten Daten nutzen, um trotzdem in der Lage zu sein, selbstständig online zu bezahlen.“

Ebenso wie die Gründer von Wajve sehen sich auch Jes Hennig und Max Schwarz als eine Art Erzieher in Sachen Finanzfragen: Mit ihrem Team beraten sie via Social Media und per WhatsApp-Sprachnachricht: „Wir merken, dass das Wissen der meisten jungen Leute sehr rudimentär ist. Viele wissen nicht einmal, was eine IBAN ist. Anderen müssen wir erklären, dass sie niemandem ihre Daten schicken dürfen.“

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Beide Start-ups planen schon die nächsten Ziele. Man wolle nicht nur europaweit durchstarten und die rund zwölf Millionen Angehörigen der Generation Z für sich gewinnen, sondern auch das Angebot so bald wie möglich erweitern: „Nach dem Sparen kommt das Investieren. Über Wajve sollen die Nutzer perspektivisch auch in Aktien und ETFs anlegen können“, plant Bastian Krautwald. Auch Pockid will ein solches Tool in den nächsten Monaten live schalten.

Sorge, dass die traditionellen Banken ihnen hinsichtlich eines Angebots für die Generation Z zuvorkommen könnten, haben sie nicht: „In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich nichts getan“, sagen Schwarz und Hennig. „Den Großbanken fehlt es an Innovationen. Sie sind immer noch auf dem Stand der Neunzigerjahre.“ Und auch etablierte Neo-Banken wie N26 sehen die beiden Gründer nicht als Konkurrenz. Man komme sich aktuell kaum in die Quere: „Wir haben eine ganz andere Zielgruppe. Dadurch, dass wir Jugendliche ansprechen, sind unser Fokus und unsere Features nicht wirklich vergleichbar.“

Mehr zum Thema: Im Podcast Money Mates widmen sich Tina Zeinlinger und Jan Guldner widmen sich in jeder Woche einer Frage, die das Konto voller und die Karriere steiler macht. Wie spare ich sinnvoll und nachhaltig zugleich? Lohnt es sich für die Karriere umzuziehen? Hier alle Folgen im Überblick.

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