Deutsche Online-Händler „Viele Shop-Betreiber kommen über den Status als Kleinst-Händler nicht hinaus“

Über die Internet-Plattform Marketplace bietet Amazon nicht nur eigene Waren an, sondern betreibt auch einen Marktplatz, über den andere Händler ihre Produkte gegen eine Provision verkaufen können. Quelle: imago images

Die Berlin Brands Group will kleine Online-Händler in Deutschland aufkaufen, um sie international groß zu machen. Die Zahl potenzieller Übernahmeziele ist riesig: In Deutschland sind 40.000 Händler allein bei Amazon aktiv. Jetzt ist der erste Deal perfekt.

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Fabian Gluschke ist Spezialist für Online-Marketing und half Kinofilme im Netz zu vermarkten. Das war sein Job, bis er vor drei Jahren entschied, dass er statt Kinofilmen doch auch genauso gut eigene Produkte vermarkten könnte. Nur welche? Gluschke sieht sich auf der Online-Plattform Amazon um. Welche Produkte verkaufen sich hier besonders gut, was lässt sich quasi aus der eigenen Wohnung heraus organisieren, wo lässt sich eine Marktlücke finden?

Gluschke landet schließlich im Bett, dort wo der Durchschnittsbürger rund ein Drittel seiner Lebenszeit verbringt. Diesen Ort will Gluschke besonders machen. Das scheint ihm vielversprechend. Er durchforstet die Bewertungen, die Kunden bereits zu verschiedenen Bettwäsche-Angeboten bei Amazon abgegeben haben, um herauszufinden, was die Deutschen eigentlich von ihrer Bettwäsche erwarten. Sein Fazit: Kuschelig muss die Wäsche sein, atmungsaktiv, nahezu faltenfrei und bei 90 Grad waschbar. Gluschke kreiert mit Sleepwise eine eigene Marke, die genau das verspricht. „Unsere Bettwäsche sollte so kuschelig sein, dass die Kunden es nicht abwarten können, ins Bett zu gehen“, sagt er.

2017 saß Gluschke mit seiner Frau in der Küche und stellte die ersten Decken und Kissen ins Netz. Bis heute hat er 120.000 Schlafutensilien verkauft und setzte zuletzt mehr als zwei Millionen Euro im Jahr um. 90 Prozent davon verkauft sein Unternehmen neu.land über Amazon, den Rest über einen eigenen Online-Shop. Bislang konzentriert sich Gluschke auf den deutschen Markt. „Vor einigen Monaten haben wir uns gefragt, wie wir weitermachen wollen, was die nächsten Schritte sein könnten“, sagt er. „Wir hätten unsere Produkte über Amazon etwa auch in anderen Ländern anbieten können. Wir standen vor der Frage, machen wir das jetzt richtig groß?“ Begeistert aber sei er von der Idee nicht gewesen. „Wenn wir in andere Länder hätten gehen wollen, hätten wir investieren und weitere Mitarbeiter einstellen müssen. Das wollte ich eigentlich nicht.“

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von Marcus Werner

Die E-Mail von Peter Chaljawski kam wie gerufen. Der Unternehmer hat einst genauso wie Gluschke von zuhause aus begonnen, Waren im Internet zu verkaufen. Bei ihm war es DJ-Equipment, das er über die Plattform Ebay anbot. Heute, rund 15 Jahre später, hat Chaljawskis Unternehmen Berlin Brands Group (BBG) mehr als 2500 Produkte im Angebot. Die meisten stammen aus den Kategorien Sportartikel, Elektro oder Haushaltswaren. Der Verkauf findet vor allem über eigene Webshops, aber auch Plattformen wie Amazon und Ebay statt. BBG hat heute über 700 Mitarbeiter und kommt in diesem Jahr voraussichtlich auf einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro. Bislang hatte Chaljawski auf organisches Wachstum gesetzt, kürzlich aber entschlossen, nochmal zusätzliches Wachstum durch Übernahmen schaffen zu wollen.

Viele kleine Händler bei Amazon aktiv

Die Zahl potenzieller Übernahmeziele ist riesig. In Deutschland sind 40.000 Händler allein bei Amazon aktiv. Über die Internet-Plattform bietet Amazon nicht nur eigene Waren an, sondern betreibt auch einen Marktplatz, über den andere Händler wie etwa neu.land ihre Produkte gegen eine Provision verkaufen können. Amazon übernimmt auf Wunsch des Händlers auch die Lagerung, den Versand an die Kunden und auch die Retouren. Das kostet zwar, macht das Geschäft im Netz aber für so manchen Shop-Betreiber erst möglich. Viele der Online-Händler sind klein. Nach Angaben von Amazon setzen die Nutzer des Marktplatzes im Schnitt 120.000 Euro im Jahr um.

BBG sucht vor allem verkaufswillige Online-Händler mit einem Jahresumsatz zwischen 500.000 und 30 Millionen Euro. „Wir interessieren uns für Unternehmen mit einem fokussierten Sortiment,  die gute Bewertungen bei Amazon vorweisen können und im Ranking der Amazon-Händler entsprechend weit vorne stehen“, sagt Chaljawski. Wichtig sei auch, dass der Händler eine Marke mit einem Wiedererkennungswert geschaffen habe. „Bei Sleepwise war das so. Die Marke steht für besonders kuschelige Bettwäsche“, sagt Chaljawski. Er selbst habe schon darin geschlafen. Wenige Tage nach der ersten Kontaktaufnahme, bot er Gluschke an, das Geschäft mit Sleepwise zu kaufen. Die Marke gebe es aktuell vor allem in Deutschland, sagt der BBG-Chef. „Für den Gründer wäre es mit einem hohen Aufwand verbunden, seine Bettwäsche auch in anderen Ländern zu vertreiben. Er müsste sich mit den rechtlichen Gepflogenheiten in anderen Staaten auseinandersetzen und die Kundenbetreuung ausbauen. Wir haben das schon.“ 



Berlin Brands Group verkauft seine Waren bereits über 100 Kanäle in 28 Ländern. „Wir nehmen Sleepwise dazu. Für uns ist das viel einfacher. Wir haben die Strukturen ja schon.“ Verhandlungen mit den Eigentümern von zehn weiteren Internet-Marken stehen laut BBG kurz vor dem Abschluss. „Wenn uns die Zahlen eines Unternehmens vorliegen, brauchen wir nur wenige Tage, um ein Angebot abzugeben“, sagt Chaljawski. Wenn es einem Unternehmer schwer falle, sich von seiner Firma zu trennen, könne er auch als Berater dabeibleiben und bekäme zusätzlich zum Kaufpreis noch einen Aufschlag, wenn sich sein Unternehmen unter der Schirmherrschaft von BBG positiv entwickle, sagt Chaljawski.

Die neue BBG-Strategie, nicht länger nur organisch sondern auch über Zukäufe zu wachsen, passt in die Zeit. Wegen Corona sind viele Läden gerade zum zweiten Mal in diesem Jahr geschlossen worden. Wer bestimmte Waren haben will, muss sie jetzt im Internet bestellen. Das gibt der Digitalisierung zusätzlichen Schwung, was sich allein an den Amazon-Zahlen ablesen lässt. Im dritten Quartal legte der Umsatz des Handelskonzerns im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um gut 40 Prozent auf fast 100 Milliarden US-Dollar zu. Der Gewinn verdreifachte sich auf 6,3 Milliarden Dollar.

Vom Start-up zum Mittelständler

Deshalb wird aber noch längst nicht jeder Online-Händler zum Millionär. Mark Steier hat selbst zehn Jahre lang Autoteile über Ebay verkauft, gehörte lange Zeit zu den erfolgreichsten Händlern der Plattform. Jetzt betreibt er die Internetseite Wortfilter, ein Informationsportal für Online-Händler. Er sagt: „Viele Shop-Betreiber kommen über den Status als Kleinst-Händler nicht hinaus, selbst dann nicht, wenn sie gute Produkte haben.“ Das sei eine Typfrage. „Nur weil jemand gut darin ist, ein Unternehmen zu gründen und eine Marke aufzubauen, kann er noch längst kein professionelles Unternehmen führen, mit eigenem Vertrieb, vielen Mitarbeitern und einer umfangreichen Buchhaltung. Viele belassen es lieber bei einer Größe, die sie überschauen können“, sagt Steier. So manch einer, der sein Unternehmen noch vom Wohnzimmer aus führe, traue sich auch gar nicht zu, viele Marktplätze zu bespielen, vor allem nicht außerhalb Deutschlands. Solche Unternehmer haben dann die Wahl: Entweder sie bleiben klein oder holen einen Partner an Bord.

Gerade in Europa durchzustarten, scheint für Händler mit einem hohen Aufwand verbunden. Nach Daten des Statistik-Portals Statista finden in Europa nur rund zehn Prozent der Online-Verkäufe über Amazon statt. In Nordamerika liegt die Quote bei fast 40 Prozent. Das heißt: Händler, die hierzulande im großen Stil expandieren wollen, können oft nicht allein auf Amazon setzen und müssen sich vielmehr mit weiteren Vertriebsvarianten befassen. Der Aufwand ist folglich viel größer als in konzentrierten Märkten wie den USA.

Bettwäsche-Profi Gluschke sagt, er habe sich schwer mit dem Gedanken getan, den nächsten Schritt zu gehen. Er habe nie ein großes Unternehmen führen wollen. „Mir macht es Spaß eine neue Marke zu entwickeln und mit einem kleinen Team etwas neues aufzubauen.“ Deshalb will er das jetzt auch gleich noch mal machen – mit einer neuen Marke, diesmal für Gepäck.

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