Mehr als vier Milliarden Pakete werden pro Jahr in Deutschland verschickt. Michelle Reed und Philip Bondulich wollen dafür sorgen, dass dabei nicht jedes Mal neues Material zum Einsatz kommt. Mit ihrem 2021 gegründeten Start-up SendMePack ziehen sie bei großen Logistikern ein, bei denen häufig jede Menge Umverpackungsmaterial abfällt – und normalerweise entsorgt wird. Das Start-up bereitet diese Kartons wieder auf und verkauft sie als nachhaltigere Alternative an Versandhändler und Online-Shops. In der „Höhle der Löwen“ wollten sie für 25 Prozent am Unternehmen 200.000 Euro von den Investoren. Die Löwen waren begeistert – sowohl Georg Kofler mit Nico Rosberg als auch Judith Williams, Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer wollten sich beteiligen. Beide Teams verlangten aber jeweils 33 Prozent am Start-up. Die Gründer, auch privat ein Paar, entschieden sich für das prominente Investorentrio. Wie das Berliner Start-up nun seinen Platz in der eng getakteten Logistikkette sucht.
WirtschaftsWoche: In der Sendung präsentierten Sie eine Idee. Aber viel mehr gab es noch nicht, oder?
Michelle Reed: Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung war unsere Firma gerade einmal zwei Wochen alt und noch nicht einmal im Handelsregister eingetragen. Wir hatten keine Website, keine Mitarbeiter, keinen Umsatz. Und sind trotzdem dahin gegangen. Im Nachhinein betrachtet war das natürlich wahnsinnig. Wir mussten nur mit der Idee eine finanzielle Bewertung für unser Start-up aufrufen.
Trotzdem erhielten Sie in der „Höhle der Löwen“ ein hervorragendes Feedback – alle Investoren wollten sich beteiligen. Sie entschieden sich im Fernsehen für das Trio Judith Williams, Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer. Hat das geklappt?
Philip Bondulich: Der Deal ist tatsächlich genauso zustande gekommen. Wir haben damals beim Pitch nirgendwo geschwindelt – es gab ja auch nichts zu schwindeln. Daher ging die Due Diligence vor dem Investment ziemlich fix, wir hatten ja nicht viele Zahlen, die man prüfen konnte.
Die Show wurde vor einem knappen Jahr aufgezeichnet. Was ist seitdem passiert?
Reed: Alles ist passiert! Beim Pitch hatten wir nur die Theorie. Aber alles, was wir uns erdacht haben, hat sich in der Praxis glücklicherweise als machbar dargestellt. Mittlerweile haben wir zehn Mitarbeiter, sind in ein größeres Büro umgezogen, haben die ersten Kunden gewonnen und Standorte in Nürnberg und Berlin aufgebaut, an denen Kartons aufbereitet werden. Das war ein ganz schöner Sprint von Null zu einer richtigen Firma.
Damit Sie überhaupt an Material kommen, müssen Sie zuerst große Logistiker und Versandzentren überzeugen. Wie gelingt das?
Reed: Es half uns gerade am Anfang, als wir noch keine Referenzen hatten, einfach sehr überzeugt von unserem Kreislaufsystem zu sein und die Vorteile und den Mehrwert für den Logistiker klar definieren zu können. Wir sind enthusiastisch in die Gespräche gegangen und haben sogar die traditionsreichsten Logistiker sofort überzeugt, mit uns Newbies was ganz Neues zu etablieren.
Bondulich: Jeder von denen kannte das Problem, jeder hat die Entsorgungsprobleme. Bei manchen Logistikern fahren jeden Tag vier Sattelzüge mit Pappe vom Hof. Da hatten wir nicht so ein Problem, sie zu überzeugen. Aber am Anfang waren wir sicher noch etwas blauäugig.
Wie zeigte sich das?
Bondulich: Als ich zu unserem ersten Logistikpartner in die Nähe von Nürnberg gefahren bin, wollte ich dort einen Mitarbeiter einstellen, der zwei Mal die Woche vorbeischaut. Da hat der Logistikpartner erst einmal geschmunzelt – man könne dort mehrere Mitarbeiter anstellen, die 24 Stunden am Tag Pakete aussortieren. Und fast so ist es gekommen: Mittlerweile arbeiten dort drei bis vier Leute von uns in Vollzeit, die nichts anderes machen, als Kartonagen zu retten.
Mit Ihrem Unternehmen bewegen Sie sich im eng getakteten System von Logistikzentren. Stört der Sortierschritt mit fremdem Personal nicht den Ablauf?
Reed: Es gibt tatsächlich nur die eine Chance bei den Kartons, weil in der Logistik alles auf Effizienz getrimmt ist. Wir müssen in dem Moment dort stehen, in dem ein Mitarbeiter die Umverpackungen öffnet und umsortiert. Wenn wir dann nicht dort stehen, schmeißen die Logistiker die Kartonage in den Müll.
Von dort kann das Material ja auch wiederverwendet werden. Ist der gewohnte Ablauf nicht ausreichend?
Bondulich: Wir sind überhaupt nicht gegen das Recycling. Aber wir sind der Meinung, dass es erst zwei oder drei Stufen später einsetzen kann. Wir stehen für das Precycling“, also die Vermeidung von Verpackungsmüll.
Die geretteten und aufbereiteten Pakete bringen Sie dann wiederum zu Online-Shops und Versandhändlern. Funktioniert dieser Kreislauf wirklich?
Bondulich: Die Logistiker sparen sich durch uns Entsorgungskosten. Und unsere Kunden, die Online-Shops, können sich wiederum gegenüber ihren Kunden damit positionieren, dass sie auf wiederverwendetes Versandmaterial setzen. Zudem sparen sie sich ein paar Cent, weil sie sich nicht am Dualen System beteiligen müssen, wenn sie Retourenkartons von uns verwenden.
Reed: Dazu kommt: Es gibt gerade eine wahnsinnige Nachfrage nach Kartonagen. Alle sind auf der Suche. Bereits jetzt können wir dauerhaft und kurzfristig liefern – während man bei einer Bestellung von neuen Kartons viele Wochen warten muss. Die Versandhändler kommen also mit uns schneller an Kartons. Und dann sind die auch noch nachhaltig.
Das überzeugt ausreichend Kunden?
Bondulich: Durch die immense Nachfrage unserer Versandkartons ist jeder Karton, der reinkommt, bereits verkauft. Wir sitzen nicht auf vollen Regalen, ganz im Gegenteil: Wir arbeiten auf Hochtouren, um der hohen Nachfrage nachzukommen und so noch mehr Kartonagen vor der Altpapierpresse retten zu können und sie erneut in den Kreislauf zu bringen.
Vor welchen Herausforderungen steht SendMePack heute?
Reed: Um alle unsere Ziele zu erreichen, müssen wir Personal bereitstellen. Das ist eher die Herausforderung. Mit dem DHDL-Investment konnten wir die ersten Schritte finanzieren und den Stein ins Rollen bringen. Jetzt geht es um schnelles Wachstum, um das Momentum, was wir derzeit haben, mitzunehmen. Deswegen sind wir gerade in der Vorbereitung unsere zweiten Finanzierungsrunde.
Jeder Ihrer aufgearbeiteten Kartons erhält einen Aufkleber mit QR-Code und eigenem Namen. Wieso denn das?
Reed: Das verschafft den Endkunden ein bisschen mehr Transparenz. Durch den QR-Code können sie sehen, in welchen Städten ihr Paket schon überall war und wieviel Kohlendioxid durch die Wiederverwendung eingespart werden konnte. Zudem sorgt es natürlich ein wenig für einen spielerischen Umgang mit dem Thema. Und die Versandhändler können ihren Kunden noch ein gutes Gefühl mitgeben.
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