Digitale Optimisten

Ghost Kitchens: Wie das Silicon Valley die Gastronomie revolutionieren will

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Drei Szenarien: Amazon, Netflix, Apple

Szenario Amazon

Vor einigen Jahren sah man noch häufiger unabhängige Modegeschäfte. Heute sehen sich diese Geschäfte einem Problem ausgesetzt: Globale Modeketten wie Uniqlo und Primark sind meist viel günstiger; und bei Amazon oder Zalando ist die Auswahl größer und die Jeans lässt sich auch von der Couch aus bestellen. Das Szenario könnte auch auf Restaurants zukommen. Die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung auf die Hand bieten weiter die Döner-, Currywurst- und Gyrosbuden. Für das soziale Get-Together und den besonderen Anlass wird es weiterhin außergewöhnliche Erlebnisgastronomen und Sterne-Restaurants geben. Die vielen kleinen Restaurants aber zwischen diesen Enden, der Italiener um die Ecke oder das Schnitzelrestaurant im Vorort, könnten in diesem Szenario zunehmend unter Druck kommen, weil die Konkurrenz vieler günstiger, „virtueller“ Restaurants steigen wird. Ben Seabury rechnet mit einer Explosion des Food-Angebots in naher Zukunft durch „Ghost Kitchens“: „Jeder Zahnarzt und Software-Entwickler, der zu Hause ein gutes Pesto macht und dem seine Freunde sagen „Du musst ein Restaurant aufmachen“, kann plötzlich mit Ghost Kitchens ein Restaurantbetreiber werden.“

Szenario Netflix

Online-Lieferdienste haben im Kern ein ähnliches Problem wie Streaming-Anbieter: Die Kundenloyalität ist relativ gering und basiert insbesondere darauf, welchen Content (Serien für Netflix und Restaurants für Delivery Hero) diese anbieten. Netflix hat auf dieses Problem mit einer Vertikalisierung reagiert, das heißt sie entwickeln ihren eigenen Content wie House of Cards oder Stranger Things. Serien, die es exklusiv bei Netflix gibt. In den USA haben die Lieferdienste den Kampf um die exklusive Bindung der besten Restaurants natürlich schon längst eröffnet, allerdings haben sie noch nie eigenen Content entwickelt. „Ghost Kitchens“ könnten das fehlende Puzzlestück für Online-Lieferdienste sein: Mit diesen können sie kostengünstig, skalierbar und exklusive Restaurantkonzepte ausprobieren, die ihnen zumindest kurzfristig einen Wettbewerbsvorteil bringen.

Szenario Apple

Das iPhone dominiert das hochpreisige Smartphone-Segment und ist damit zu einem der profitabelsten und erfolgreichsten Produkte aller Zeiten geworden. Das einzige Problem: Apple kann mit einem mehr als 800 Euro teuren Smartphone nicht den ganzen Markt erschließen. Deshalb führt es eine weitere Modellversion ein, das iPhone SE, das nur etwas mehr als die Hälfte kostet. Die gleiche Strategie könnten High-End Restaurants mit Hilfe von „Ghost Kitchens“ verfolgen. Restaurantbetreiber würden dann mit niedrigen Kosten zweite, dritte und vierte Konzepte lancieren, die Essen unter Umständen günstiger anbieten und den Massenmarkt per Essenslieferung einfacher bespielen können als die teureren Flagship-Restaurants. Auf diese Weise können Restaurants ihr unternehmerisches Risiko auf mehrere Konzepte verteilen und durch größere Einkaufsmengen ihre Kosten senken. Aktuell sind „Ghost Kitchens“ aber laut Ben Seabury in ihrer jetzigen Ausprägung noch davon entfernt, dieses Geschäft von etablierten Restaurants zu bedienen. Die anmietbaren Küchen sind mit durchschnittlich etwa 25 Quadratmetern zu klein für die Massenproduktion. Lieferwege sind häufig verstopft, weil der hohe Andrang von Lieferfahrern nicht zu beherrschen ist. Und das Essen wird oft kalt, weil Möglichkeiten zur Zwischenlagerung fehlen.


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Ob nun solche oder völlig andere Szenarien eintreten, die Gastronomieszene wird sich nicht zuletzt durch den Corona-Schock in den nächsten Jahren deutlich wandeln. Technologische Innovationen wie „Ghost Kitchens“ werden einen Teil leisten und irgendwann vielleicht auch Ben Seaburys Traum ermöglichen: Er möchte der erste Gastronom sein, der eine Pizza per Drohne ausliefert.

Mehr zum Thema: Mehr Geschichten aus dem Silicon Valley und frische Ideen von der nächsten Gründergeneration hören Sie im Podcast „Digitale Optimisten“ des Kolumnisten.

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