Digitale Optimisten

Welcher Partei sind Start-ups wichtig?

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„Fax-Geräte wurden zum Symbolbild des Digitalisierungs-Chaos“

Anders als bei den beiden Regierungsparteien fällt das Urteil über die vergangen vier Jahre bei den Grünen naturgemäß weniger schmeichelhaft aus. Dieter Janecek, Sprecher der Grünen für Digitales, stellt fest: „Fax-Geräte wurden zum Symbolbild des Digitalisierungs-Chaos in Deutschland. Im besten Fall war die Digitalpolitik der letzten Jahre mangelhaft, wenn nicht sogar ungenügend – auf jeden Fall ist die scheidende Bundesregierung hier durchgefallen.“ Janecek will es mit seiner Partei besser machen und eine Welle von Unternehmensgründungen lostreten. Ziel seien einfach zugängliche Hilfen für den Start und weniger Bürokratie. Dafür soll ein Gründungskapital dienen, das Gründerinnen und Gründern 25.000 Euro zahlt, wenn sie mit ihren Unternehmen auf die Nachhaltigkeitsziele der UN einzahlen. Um das auch zu prüfen, sollen Sachverständige eingesetzt werden – wodurch paradoxerweise wiederum eine zusätzliche Bürokratie für Start-ups geschaffen wird. Um diese aber in der Summe wieder abzubauen, soll laut Janecek ein weiterer Baustein eingeführt werden: „eine zentrale Anlaufstelle für alle Anliegen von Start-ups und eine Befreiung von Melde- und Berichtspflichten in den ersten zwei Jahren.“ Ein besonderes Augenmerk richtet die Partei auf Frauen und zugewanderte Menschen, Vergabe und Auswahlgremien sollen zukünftig ganz nach dem Vorbild der Partei paritätisch besetzt werden. Mitarbeiterbeteiligung sollen laut Janecek „breiter zugänglich gemacht und erleichtert werden“.

Für die FDP sind Start-ups noch am ehesten on-message. Immerhin hat Christian Lindner schon selbst als Teenager eine Firma gegründet und Probleme in Start-up-Manier als „dornige Chancen“ bezeichnet. Die Ausgangslage schätzt Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender, wahrscheinlich als ebensolche dornige Chance ein: „Wenn ich mir die Rahmenbedingungen für Start-ups anschaue, dann können wir damit nicht zufrieden sein, im Global Entrepreneurship Monitor liegen wir bei der Gründungsquote auf Platz 41 von 43“. Die FDP möchte Start-ups mit mehr Kapital ausstatten. „Wir brauchen mehr Risikokapital in Deutschland, unter anderem auch, indem wir Start-ups für privates und öffentliches Geld besser adressierbar machen“, fordert Vogel. Im Wahlprogramm wird es konkreter – ein Zukunftsfonds soll privates Geld von Family Offices, institutionellen Anlegern und Pensionsfonds bündeln und in deutsche Wagniskapitalgeber investieren. Von besonderer Bedeutung ist für Vogel eine Reform der deutschen Einwanderungsgesetze: „Wir brauchen mehr Talente: Die deutsche Einwanderungsdebatte ist grotesk, weil wir humanitäre und arbeitsmarktbezogene Einwanderung vermischen. Wir stellen uns nicht dem globalen Wettbewerb um Talente, innereuropäische Migration wird nicht reichen.“ Talenten solle laut Vogel stattdessen der rote Teppich ausgerollt werden.

Das Wahlprogramm der Linken setzt – freundlich formuliert – keinen Schwerpunkt auf die Förderung des Start-up-Ökosystems. Das Thema Digitalisierung rangiert noch hinter dem Agendapunkt: „Selbstbewusster Osten - ostdeutsche Interessen stärken“. Dafür hat die Linke aber eine der prominentesten Köpfe für digitale Themen in ihren Reihen. Anke Domscheit-Berg ist digitalpolitische Sprecherin der Partei und seit vier Jahren im Bundestag: „Als ich in den Bundestag einzog, gab es dort noch nicht einmal W-Lan. Heute hat die Corona-Pandemie die Missstände unter ein Brennglas gestellt – ich muss plötzlich nicht mehr erklären, warum meine Themen wichtig sind“. Die Linke setzt auf einen grundlegenden Politikwechsel für Start-ups, basierend auf einer neu ausgerichteten Wirtschaft. „Meine favorisierte Wirtschaftsform ist der Commonismus, vom Englischen commons. Wir müssen den Kapitalismus schleichend entmachten und alles open-source machen: open data, open education, open access und mehr. Mit Offenheit öffnen wir die Tür für noch viel mehr Innovationen, als die proprietäre, patentgeschützte Welt von heute“, so Domscheit-Berg. Start-ups denken Lösungen meist vom User her: Uber, Google und Amazon sind letztlich deshalb so erfolgreich, weil sie die Bedürfnisse der User verstehen und in den Mittelpunkt stellen. Für Domscheit-Berg greift diese Denkweise aber zu kurz: „Die User sind letztendlich auch ein Problem, da sie das Einfache bevorzugen und wahnsinnig bequem sind – viele Menschen blenden Risiken wie Datenschutz und Überwachung schlicht aus. Deshalb wollen wir zum Beispiel Messenger-Programme interoperabel machen, Datenschutz muss schlicht einfacher werden.“

Die Alternative für Deutschland befasst sich auf ihrem 210-seitigen Wahlprogramm nicht dediziert mit der Förderung des Start-up-Ökosystems, und war auch nicht für eine Stellungnahme für diese Kolumne erreichbar. Ihre Forderungen bleiben daher eher allgemein: Für den für Start-ups wichtigen Nachschub an Talenten fordert die AfD einen „migrationspolitischen Ansatz nach japanischen Vorbild mit dem Primärziel der Interessenwahrung der Deutschen und bereits zugewanderter Bürger, die sich zur kulturellen Identität Deutschlands bekennen“. Für die Digitalisierung von Schulen soll eine moderne, zeitgemäße IT-Ausstattung eingeführt werden, wobei „Digitalisierung (aber) kein Selbstzweck“ sei. Das eGovernment möchte die AfD fördern, und so soll „jeder Behördengang von Bürgern in Zukunft nach seiner Wahl digital oder persönlich abgewickelt werden können“.

Bleibt noch die Frage nach der Art und Weise, wie diese Forderungen umgesetzt werden sollen. Ob ein neu einzurichtendes Digitalministerium die optimale Organisationsform ist, spaltet die Parteien. Dafür sind Union und FDP. Für Unionspolitiker Schipanski ist klar: „Wir wollen ein Digitalministerium mit agilen digitalen Projekt-Teams aufbauen. Einzelne Themen und Projekte – wie beispielsweise die Corona-Warn-App – werden dort zielgerichtet bearbeitet.“ Johannes Vogel von der FDP geht noch einen Schritt weiter: Die Politik müsse aus den Versäumnissen der Corona-Zeit lernen, um „insbesondere um die Themen Breitbandausbau, Gründerförderung und eGovernment voranzutreiben. Gerne kann es so erfolgreich sein, dass es sich mit der Zeit selber wieder abschafft.“ Die Gegenposition nehmen SPD, Grüne und Linke ein. Alle drei Parteien möchten die Digitalisierungskompetenz im Kanzleramt stärken. „Aber“, laut Jens Zimmermann von der SPD, „nicht so wie aktuell mit Doro Bär, sie hatte Willen und Energie, aber konnte auf keinerlei Ressourcen zurückgreifen.“ Deshalb sollen agile Projektteams mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers mehr Dynamik erzeugen. Für Dieter Janecek von den Grünen packt „ein singuläres Digitalministerium die Probleme nicht bei der Wurzel. Entscheidend sind die klare und effektive Koordinierung in der Bundesregierung, Priorisierung und eine gemeinsame ressortübergreifende Modernisierungsvision. Das mangelhaft bearbeitete Feld der Digitalisierung muss mit Kabinettsrang und eigenem Budgetrecht versehen werden.“ Anke Domscheit-Berg von der Linkspartei fragt sich, wie digitale Themen aus anderen Ministerien herausgehoben und in ein Digitalministerium transferiert werden sollen: „Wie wollen wir eHealth aus dem Gesundheitsministerium rausnehmen?“ Sie fordert auch eine zentrale Koordinierung im Kanzleramt, allerdings „viel schlagkräftiger und besser ausgestattet als heute“.

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Was bleibt festzuhalten? Start-ups und junge Unternehmen sind noch nicht von allen Parteien als wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands erkannt worden. Dabei sollte der kometenhafte Aufstieg von Zalando und Hellofresh in den Dax doch Beweis genug sein, dass in kurzer Zeit viel Börsenwert und – für Politiker noch wichtiger – gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen können. Egal wer eine neue Regierung anführen wird, wir brauchen mehr Mut und Freude an Unternehmensgründungen, denn vielleicht entstehen heute die Boschs, Siemens und Daimlers von morgen.

Mehr zum Thema: Für deutsche Politiker sind Start-ups junge Unternehmen mit Mitarbeitenden in Turnschuhen, meint Hanno Renner, CEO des Softwareunternehmens Personio. Die Rolle, die Tech-Unternehmen mittelfristig für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze spielen müssten, werde völlig außer Acht gelassen. Ein Interview.

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