Digitale Optimisten
Digitale Optimisten: Start-ups kommen im Wahlkampf kaum vor. Quelle: Marcel Stahn

Welcher Partei sind Start-ups wichtig?

In Deutschland könnte ein neues Gründerzeitalter bevorstehen. Start-ups kommen im Wahlkampf aber kaum vor. Was planen die großen Parteien nach der Bundestagwahl, um das Start-up-Ökosystem zu unterstützen?

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Anfang des Monats ging der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl online. Endlich kann ich meine Meinung zu Tempolimit auf Autobahnen, Patentschutz für Covid-19 Impfstoffe und zu Unternehmensspenden an politische Vereinigungen mit den Standpunkten der zur Wahl stehenden Parteien abgleichen. Früher habe ich diesen Fragebogen gerne ausgefüllt, oft hat er mir tatsächlich dabei geholfen, eine Wahlentscheidung zu treffen. Dieser Wahl-O-Mat aber war eine Enttäuschung: Er enthält keine einzige Frage zum Thema Digitalisierung. Jenes Thema, das Deutschland völlig verschlafen hat mit schleppendem Breitbandausbau, mit der Lupe zu suchenden digitalen Champions in der Industrie und 18 Monaten Corona-Chaos in Behörden, Krankenhäusern und Schulen. Wie kann das sein? Und wen soll ich denn nun wählen, wenn mir digitale Bildung für Schüler, Breitband in jedem Ort und eine neue digitale Gründerzeit wichtig sind?

Meiner Meinung nach stehen wir möglicherweise vor einem neuen Gründerzeitalter in Deutschland. War Berlin vor zehn Jahren noch mehr oder weniger abgeschrieben für jene, die nach ihrem Studium in einem großen Unternehmen anheuern wollten, sind jetzt mit Zalando und Hellofresh zwei Unternehmen in den DAX aufgestiegen, die erst 2008 beziehungsweise 2011 gegründet wurden. Das hat mindestens zwei Gründe. Einerseits fließt das Wagniskapital immer mehr nach Deutschland – siehe das Fundraising von Gorillas und Trade Republic in den zurückliegenden Monaten. Andererseits gibt es mittlerweile eine kritische Masse an erfolgreichen Gründern, die nicht nur ihr Geld zurück ins Ökosystem investieren, sondern vielleicht noch viel wichtiger als leuchtendes Vorbild für eine neue Gründergeneration dienen, die es ihnen gleich tun will.

Da diese Themen aber weder im Wahl-O-Mat noch im Wahlkampf vorkommen, habe ich für den gleichnamigen Podcast zu dieser Kolumne einfach selbst mit den Politikern der großen deutschen Parteien gesprochen, die das Thema Start-ups und Digitalisierung auf den Schild heben. Wenn es Ihnen also genauso geht wie mir, dann finden Sie hier eine Entscheidungshilfe für Ihre Wahlentscheidung: Wie wollen Union, SPD, Grüne, FDP, Linke und AfD das Land in die digitale Zukunft führen, wenn Sie an der Regierung beteiligt werden? Und wie sollen diese Forderungen eigentlich politisch umgesetzt werden?

Die Union aus CDU und CSU schaut naturgemäß relativ zufrieden auf den Fortschritt der vergangenen vier Jahre in dem Bereich, der von Kanzlerin Merkel einst als Neuland bezeichnet wurde. „Wir haben in einigen wichtigen Bereichen große Fortschritte gemacht – beispielsweise haben wir den Bildungs- und Forschungsetat insbesondere im Hinblick auf neue Technologien fast verdreifacht“, sagt Tankred Schipanski, digitalpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Die Union ruft im Wahlprogramm schon ein Gründungsjahrzehnt aus, für Schipanski bedeutet das: „Um die Bedingungen für Start-ups zu verbessern, konzentrieren wir uns auf drei Themen – Talente, Kapital und Wettbewerb. Insbesondere im Bereich Talente müssen wir das Mindset in der Schule verändern – anders als manch linke Landesregierung, die Wirtschaft aus den Schulen verbannen will.“

In diesem Punkt lässt sich aber nicht der schleppende Fortschritt der vergangenen vier Jahre verbergen in einem zentralen Punkt aus Sicht des Bundesverbands Deutsche Start-ups: die steuerrechtliche Klärung von Mitarbeiterbeteiligungen. Junge Unternehmer haben kaum Chancen, hochtalentierte Mitarbeiter an Bord zu nehmen, wenn sie diesen nicht eine Aussicht auf eine Beteiligung am Wert des Unternehmens zusichern können. Genau das ist aber steuerrechtlich sehr kompliziert in Deutschland, anders als beispielsweise in den USA. Dass dieser Punkt in der vergangenen Legislaturperiode nicht verbessert wurde, dafür ist laut Union insbesondere der Koalitionspartner SPD Schuld. In einer neuen Regierung wolle die Union Mitarbeiterbeteiligungen aber mit neuem Verve angehen.

Die SPD befindet sich derzeit im Umfragehoch, aber sorgt das Wahlprogramm auch bei Start-ups für Jubel? Für Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher, ist die Beziehung zwischen Politik und jungen Unternehmen wichtig, aber nicht immer einfach: „Für viele Politiker sind Start-ups wie Panda-Babies: süß und man lässt sich gerne mit Ihnen fotografieren. Aber die Wirtschaft von morgen sind die Start-ups von heute – wir müssen Rahmenbedingungen bieten, um zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen, damit mehr Start-ups es am Ende auch in den DAX schaffen.“ Im Wahlprogramm formuliert Zimmermanns Partei das Ziel noch recht luftig. Deutschland solle „zu einem führenden Start-up-Standort Europas werden, und so hochwertige Arbeitsplätze in den Regionen“ schaffen. Das Programm umfasst drei Forderungen: eine möglichst bürokratiefreie One-Stop Agentur für Gründerinnen und Gründer, besserer Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und eine „Kultur der zweiten Chance“. Was Letzteres genau heißt, und welche Rolle Politik in dieser Hinsicht überhaupt spielen kann, bleibt unklar. Zimmermann ergänzt daher: Ein „Once-Only-Prinzip“, in dem Informationen den Behörden nur einmal zur Verfügung gestellt werden müssen, soll die Schnelligkeit in der Bürokratie erhöhen. Ein modernes Zuwanderungsgesetz soll Fachkräftezuwanderung deutlich flexibler machen. Beim Thema Mitarbeiterbeteiligung über ESOPs schob die Union den schwarzen Peter zur SPD, die ihn aber sogleich an den Start-up Verband weiterreicht: „Beim Thema ESOP sind wir letztlich an Details gescheitert. Selbst aus der Branche fehlten am Ende konkrete Vorschläge“, so Zimmermann.

„Fax-Geräte wurden zum Symbolbild des Digitalisierungs-Chaos“

Anders als bei den beiden Regierungsparteien fällt das Urteil über die vergangen vier Jahre bei den Grünen naturgemäß weniger schmeichelhaft aus. Dieter Janecek, Sprecher der Grünen für Digitales, stellt fest: „Fax-Geräte wurden zum Symbolbild des Digitalisierungs-Chaos in Deutschland. Im besten Fall war die Digitalpolitik der letzten Jahre mangelhaft, wenn nicht sogar ungenügend – auf jeden Fall ist die scheidende Bundesregierung hier durchgefallen.“ Janecek will es mit seiner Partei besser machen und eine Welle von Unternehmensgründungen lostreten. Ziel seien einfach zugängliche Hilfen für den Start und weniger Bürokratie. Dafür soll ein Gründungskapital dienen, das Gründerinnen und Gründern 25.000 Euro zahlt, wenn sie mit ihren Unternehmen auf die Nachhaltigkeitsziele der UN einzahlen. Um das auch zu prüfen, sollen Sachverständige eingesetzt werden – wodurch paradoxerweise wiederum eine zusätzliche Bürokratie für Start-ups geschaffen wird. Um diese aber in der Summe wieder abzubauen, soll laut Janecek ein weiterer Baustein eingeführt werden: „eine zentrale Anlaufstelle für alle Anliegen von Start-ups und eine Befreiung von Melde- und Berichtspflichten in den ersten zwei Jahren.“ Ein besonderes Augenmerk richtet die Partei auf Frauen und zugewanderte Menschen, Vergabe und Auswahlgremien sollen zukünftig ganz nach dem Vorbild der Partei paritätisch besetzt werden. Mitarbeiterbeteiligung sollen laut Janecek „breiter zugänglich gemacht und erleichtert werden“.

Für die FDP sind Start-ups noch am ehesten on-message. Immerhin hat Christian Lindner schon selbst als Teenager eine Firma gegründet und Probleme in Start-up-Manier als „dornige Chancen“ bezeichnet. Die Ausgangslage schätzt Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender, wahrscheinlich als ebensolche dornige Chance ein: „Wenn ich mir die Rahmenbedingungen für Start-ups anschaue, dann können wir damit nicht zufrieden sein, im Global Entrepreneurship Monitor liegen wir bei der Gründungsquote auf Platz 41 von 43“. Die FDP möchte Start-ups mit mehr Kapital ausstatten. „Wir brauchen mehr Risikokapital in Deutschland, unter anderem auch, indem wir Start-ups für privates und öffentliches Geld besser adressierbar machen“, fordert Vogel. Im Wahlprogramm wird es konkreter – ein Zukunftsfonds soll privates Geld von Family Offices, institutionellen Anlegern und Pensionsfonds bündeln und in deutsche Wagniskapitalgeber investieren. Von besonderer Bedeutung ist für Vogel eine Reform der deutschen Einwanderungsgesetze: „Wir brauchen mehr Talente: Die deutsche Einwanderungsdebatte ist grotesk, weil wir humanitäre und arbeitsmarktbezogene Einwanderung vermischen. Wir stellen uns nicht dem globalen Wettbewerb um Talente, innereuropäische Migration wird nicht reichen.“ Talenten solle laut Vogel stattdessen der rote Teppich ausgerollt werden.

Das Wahlprogramm der Linken setzt – freundlich formuliert – keinen Schwerpunkt auf die Förderung des Start-up-Ökosystems. Das Thema Digitalisierung rangiert noch hinter dem Agendapunkt: „Selbstbewusster Osten - ostdeutsche Interessen stärken“. Dafür hat die Linke aber eine der prominentesten Köpfe für digitale Themen in ihren Reihen. Anke Domscheit-Berg ist digitalpolitische Sprecherin der Partei und seit vier Jahren im Bundestag: „Als ich in den Bundestag einzog, gab es dort noch nicht einmal W-Lan. Heute hat die Corona-Pandemie die Missstände unter ein Brennglas gestellt – ich muss plötzlich nicht mehr erklären, warum meine Themen wichtig sind“. Die Linke setzt auf einen grundlegenden Politikwechsel für Start-ups, basierend auf einer neu ausgerichteten Wirtschaft. „Meine favorisierte Wirtschaftsform ist der Commonismus, vom Englischen commons. Wir müssen den Kapitalismus schleichend entmachten und alles open-source machen: open data, open education, open access und mehr. Mit Offenheit öffnen wir die Tür für noch viel mehr Innovationen, als die proprietäre, patentgeschützte Welt von heute“, so Domscheit-Berg. Start-ups denken Lösungen meist vom User her: Uber, Google und Amazon sind letztlich deshalb so erfolgreich, weil sie die Bedürfnisse der User verstehen und in den Mittelpunkt stellen. Für Domscheit-Berg greift diese Denkweise aber zu kurz: „Die User sind letztendlich auch ein Problem, da sie das Einfache bevorzugen und wahnsinnig bequem sind – viele Menschen blenden Risiken wie Datenschutz und Überwachung schlicht aus. Deshalb wollen wir zum Beispiel Messenger-Programme interoperabel machen, Datenschutz muss schlicht einfacher werden.“

Die Alternative für Deutschland befasst sich auf ihrem 210-seitigen Wahlprogramm nicht dediziert mit der Förderung des Start-up-Ökosystems, und war auch nicht für eine Stellungnahme für diese Kolumne erreichbar. Ihre Forderungen bleiben daher eher allgemein: Für den für Start-ups wichtigen Nachschub an Talenten fordert die AfD einen „migrationspolitischen Ansatz nach japanischen Vorbild mit dem Primärziel der Interessenwahrung der Deutschen und bereits zugewanderter Bürger, die sich zur kulturellen Identität Deutschlands bekennen“. Für die Digitalisierung von Schulen soll eine moderne, zeitgemäße IT-Ausstattung eingeführt werden, wobei „Digitalisierung (aber) kein Selbstzweck“ sei. Das eGovernment möchte die AfD fördern, und so soll „jeder Behördengang von Bürgern in Zukunft nach seiner Wahl digital oder persönlich abgewickelt werden können“.

Bleibt noch die Frage nach der Art und Weise, wie diese Forderungen umgesetzt werden sollen. Ob ein neu einzurichtendes Digitalministerium die optimale Organisationsform ist, spaltet die Parteien. Dafür sind Union und FDP. Für Unionspolitiker Schipanski ist klar: „Wir wollen ein Digitalministerium mit agilen digitalen Projekt-Teams aufbauen. Einzelne Themen und Projekte – wie beispielsweise die Corona-Warn-App – werden dort zielgerichtet bearbeitet.“ Johannes Vogel von der FDP geht noch einen Schritt weiter: Die Politik müsse aus den Versäumnissen der Corona-Zeit lernen, um „insbesondere um die Themen Breitbandausbau, Gründerförderung und eGovernment voranzutreiben. Gerne kann es so erfolgreich sein, dass es sich mit der Zeit selber wieder abschafft.“ Die Gegenposition nehmen SPD, Grüne und Linke ein. Alle drei Parteien möchten die Digitalisierungskompetenz im Kanzleramt stärken. „Aber“, laut Jens Zimmermann von der SPD, „nicht so wie aktuell mit Doro Bär, sie hatte Willen und Energie, aber konnte auf keinerlei Ressourcen zurückgreifen.“ Deshalb sollen agile Projektteams mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers mehr Dynamik erzeugen. Für Dieter Janecek von den Grünen packt „ein singuläres Digitalministerium die Probleme nicht bei der Wurzel. Entscheidend sind die klare und effektive Koordinierung in der Bundesregierung, Priorisierung und eine gemeinsame ressortübergreifende Modernisierungsvision. Das mangelhaft bearbeitete Feld der Digitalisierung muss mit Kabinettsrang und eigenem Budgetrecht versehen werden.“ Anke Domscheit-Berg von der Linkspartei fragt sich, wie digitale Themen aus anderen Ministerien herausgehoben und in ein Digitalministerium transferiert werden sollen: „Wie wollen wir eHealth aus dem Gesundheitsministerium rausnehmen?“ Sie fordert auch eine zentrale Koordinierung im Kanzleramt, allerdings „viel schlagkräftiger und besser ausgestattet als heute“.

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Was bleibt festzuhalten? Start-ups und junge Unternehmen sind noch nicht von allen Parteien als wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands erkannt worden. Dabei sollte der kometenhafte Aufstieg von Zalando und Hellofresh in den Dax doch Beweis genug sein, dass in kurzer Zeit viel Börsenwert und – für Politiker noch wichtiger – gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen können. Egal wer eine neue Regierung anführen wird, wir brauchen mehr Mut und Freude an Unternehmensgründungen, denn vielleicht entstehen heute die Boschs, Siemens und Daimlers von morgen.

Mehr zum Thema: Für deutsche Politiker sind Start-ups junge Unternehmen mit Mitarbeitenden in Turnschuhen, meint Hanno Renner, CEO des Softwareunternehmens Personio. Die Rolle, die Tech-Unternehmen mittelfristig für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze spielen müssten, werde völlig außer Acht gelassen. Ein Interview.

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