E-Bikes Corona gibt Fahrrad-Start-ups Rückenwind

Flott unterwegs: Der Umsatz mit E-Bikes wächst seit Jahren. Quelle: dpa

Die Fahrradbranche boomt nach dem Lockdown. Besonders gut läuft das Geschäft mit schlanken E-Bikes, bei dem Start-ups manch etablierten Hersteller vor sich hertreiben. Auch renommierte Risikokapitalfirmen satteln auf.

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Seine E-Bikes sind schnell und wendig – auf die Achterbahnfahrt der Gefühle in den vergangenen Wochen hätte David Horsch gern verzichtet. Ausgerechnet zum Auftakt der Fahrradsaison Ende März brach dem Coboc-Gründer von einem Tag auf den anderen das Geschäft weg: Mit dem Corona-Lockdown musste die Mehrzahl der Händler schließen, Bestellungen blieben aus. Schon vorher bangte das Start-up wegen der Pandemie um den Teilenachschub aus Asien. „Wir hatten wirklich Angst um unsere Existenz“, erinnert sich Horsch. „Es wusste ja niemand, wann und wie es weitergeht.“

Mittlerweile hat sich die Situation ins Gegenteil verkehrt: Statt Kurzarbeit stehen für viele der 25 Mitarbeiter nun Überstunden an. Wie bei anderen Herstellern auch sind viele Modelle ausverkauft. Eingesetzt hat das Nachfragehoch in der Branche unmittelbar nach Ende des Lockdowns, wie eine Umfrage des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) aus dem Mai zeigt. Darin gab mehr als jeder zweite Händler an, das Geschäft habe sich wieder normalisiert. Viele rechneten sogar mit einem Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr. Die Treiber: Seit der Pandemie entdecken Pendler das Rad als Alternative zu Bus und Bahn. Und Urlauber meiden lange Auslandsreisen – viele erkunden stattdessen nun vom Sattel aus die Umgebung. „Wir könnten ein Vielfaches verkaufen, wenn wir nur mehr Ware hätten“, sagt Horsch.

E-Bikes im Tarnmodus

Schlecht lief das Geschäft für Coboc schon vorher nicht. Mehrere tausend E-Bikes verkauft das Heidelberger Start-up im Jahr. Der Markt wächst stark. In Europa wurden nach ZIV-Schätzungen im vergangenen Jahr 3,6 Millionen E-Bikes verkauft – davon 1,36 Millionen in Deutschland. Im Vorjahr waren es hierzulande 980.000. Inzwischen sei jedes dritte verkaufte Fahrzeug mit Elektromotor ausgestattet, so der Verband. Und zunehmend sind die Käufer nicht nur ältere Menschen, die mit der Unterstützung mobil bleiben wollen, sondern auch jüngere, die das dynamische Fahrgefühl schätzen.

An dieser Entwicklung hat Coboc einen Anteil. Als eine der ersten haben Horsch und sein Mitgründer Pius Warken ein E-Bike entwickelt, das auf den ersten Blick nicht als solches zu erkennen ist – und so dem Rentner-Image entgegentritt: Der Akku ist im Unterrohr versteckt, der Motor steckt unauffällig in der Hinterradnabe und ein Bedien-Display sucht man vergeblich. Stattdessen bestimmt eine Elektronik automatisch den richtigen Grad an Unterstützung. „Slim E-Bike“ nennt Horsch die Kategorie.

Der Antrieb der Gründer: Nach ihrem Physik-Studium wollten die beiden Fahrrad-Enthusiasten lieber ihr eigenes Ding machen, statt bei einem Konzern anzuheuern. Zwei Jahre tüftelten sie in einem Hinterhof an einem eigenen Antriebsstrang und einem passenden Rahmen. Mit ihrem Prototyp räumten sie auf der Branchenmesse Eurobike 2013 den „Gold Award” in der Kategorie E-Bike ab. „Da war klar, dass wir entweder ein professionelles Business aufbauen oder die ganze Bastelei sein lassen”, sagt Horsch. Sie entschieden sich für ersteres.

Inzwischen gibt es auf dem Markt Dutzende Konkurrenten – allen voran Vanmoof aus Amsterdam und Cowboy aus Brüssel. Mit Kampfpreisen und Fernsehwerbung lenken sie die Aufmerksamkeit auf sich. Auffällig ist: Etablierte Fahrradmarken haben noch immer vergleichsweise wenig vorzuweisen, wenn es um schlanke und sportliche E-Bikes geht. Stattdessen geben das Entwicklungs-Tempo Start-ups vor, die meist von Branchenfremden gegründet wurden. „Traditionelle Hersteller kaufen alle Teile bei denselben Zulieferern ein“, sagt Horsch. „Es ist kein Wunder, dass da alles gleich aussieht.“

Das Smartphone wird zum Bordcomputer

Außer auf innovative Designs setzen die Newcomer auf eine digitale Vernetzung: Eine Smartphone-App dient zugleich als Tacho, Navigationsgerät und Schlüssel. Zudem ist etwa bei Vanmoof und Cowboy ein GPS-Modul im Rahmen versteckt, um ein gestohlenes E-Bike orten zu können. „Es war ein Vorteil, vorurteilsfrei und ein bisschen naiv an die Sache heranzugehen“, sagt Cowboy-Chef Adrien Roose.

Vor drei Jahren haben er und zwei Mitstreiter das E-Bike-Start-up in der belgischen Hauptstadt gegründet. Technisches Know-how hatten sie nicht – dafür aber Erfahrung als Unternehmer. Alle drei waren vorher Teil des von Roose mitgegründeten Lieferdienstes Take Eat Easy, der im Juni 2016 aufgeben musste. Eine wichtige Erkenntnis aus der Zeit: „Wir haben bei unserer eigenen Logistik gesehen, dass Fahrräder im urbanen Raum deutlich schneller vorankommen als Autos.“ Im wachsenden E-Bike-Segment sahen die Gründer ihre Chance auf ein neues Business.

Die mangelnden Kontakte in die Fahrradbranche hat das Trio kompensiert: Ein Jahr lang seien sie in Asien unterwegs gewesen, berichtet sich Roose. „Wir haben uns so viel Input von Herstellern und Experten geholt, wie es irgendwie ging.” Erst dann begannen die Arbeiten am Prototyp. Geld und Know-how für die Produktion steuerte Hardware Club bei. Der in San Francisco, Tokyo und Paris ansässige Wagniskapitalgeber unterstützt Start-ups mit Summen zwischen 250.000 und 1,5 Millionen Euro.

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