E-Scooter Spätstarter hofft auf Regulierung

Rote Ampel für die Konkurrenz? Neueinsteiger Spin hofft auf mehr Regulierung im E-Scooter-Markt. Foto: dpa Quelle: dpa

Corona bremst die E-Scooter-Industrie aus. Doch wenn das öffentliche Leben wieder einsetzt, wird sich der Konkurrenzkampf der beschleunigen. Das liegt auch an einem mächtigen Neueinsteiger.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Coronakrise legt das städtische Leben lahm, das spüren auch die Verleiher von E-Scootern: Einige wollen den Betrieb zum Schutz der Mitarbeiter vorerst pausieren, andere klagen über Lieferprobleme aus China – und die Nachfrage kommt in vielen europäischen Städten ohnehin zum Erliegen. Doch sobald das öffentliche Leben wieder an Fahrt aufnimmt, wird sich der Konkurrenzkampf der Mobilitätsanbieter beschleunigen und dürfte noch einmal größere Ausmaße annehmen als im vergangenen Jahr.

Vorboten der neuen Materialschlacht sind seit einigen Tagen bereits in Köln sichtbar. Auch in der Winterpause waren dort die grünen Fahrzeuge von US-Anbieter Lime und dem deutschen Konkurrenten Tier Mobility auf den Gehwegen geparkt. Mit den ersten Frühlings-Sonnenstrahlen kehrten dann die schwarz-weißen E-Scooter von Bird aus der Winterpause zurück. Ein paar Tage später wurde es noch bunter: Mit Dott ist Anfang März im Rheinland ein Start-up gestartet, dessen elektrische Tretroller es in gleich mehreren Farben gibt. Die Niederländer sind damit einem Konkurrenten zuvorgekommen, der eigentlich als großer Newcomer in diesem Jahr für Furore sorgen wollte – und den Branchenexperten besonders genau unter die Lupe nehmen: Spin, einem E-Scooter-Verleiher aus San Francisco. Das Start-up gehört seit Ende 2018 zu Ford. Marktbeobachtern zufolge hat sich der weltweit fünftgrößte Autobauer den Deal hundert Millionen Dollar kosten lassen – und investierte seither kräftig in die Expansion.

Man werde in wenigen Wochen in Köln starten, kündigte das Unternehmen kürzlich an, ohne sich auf einen genauen Termin festzulegen. „Mit ihrer Größe sowie den vielen Pendlern und Touristen ist die Stadt ein attraktiver Standort für uns“, sagt Spin-Chef Derrick Ko. In Köln sitzt die Europa- und Deutschlandzentrale des Autobauers – der Start dort hat deswegen auch Symbolcharakter. Mit Blick auf die Corona-Pandemie teilt Spin nun mit, man beobachte die Situation sehr genau und werde bei allen Entscheidungen „der Sicherheit von Mitarbeitern und Fahrern höchste Priorität einräumen“. Dennoch arbeite man aktuell noch auf einen Start im Frühling hin. Die Pläne reichen dabei weit über das Rheinland hinaus. „Wir werden einer der größten Player in Europa“, kündigt Ko selbstbewusst an. Neben Deutschland stünden besonders Frankreich und Großbritannien im Fokus.

Schweres Pflaster für US-Anbieter
Ein Selbstläufer sind die Expansionspläne auch ohne die Coronakrise nicht. Wie in Köln haben E-Scooter-Nutzer in vielen Metropolen bereits die Wahl zwischen drei oder mehr Anbietern. Und während sich diese im vergangenen Sommer einen treuen Kundenstamm aufbauen konnten, fängt Spin in Europa bei null an. Bestenfalls Amerika-Urlauber könnten die App schon auf dem Smartphone haben: In den USA stehen die Tretroller mit den orangenen Lenkerstangen in aktuell 66 Städten sowie zwölf Campus-Geländen von Universitäten. Damit gehört Spin dort zu den Marktführern.

von Benedikt Becker, Dominik Reintjes

Wie schwer Spätstarter es haben, zeigt das Beispiel Bird. Anders als Konkurrent Lime war das Start-up hierzulande erst deutlich nach der Marktöffnung  gestartet, das Geschäft kam nicht mehr wirklich in Gang. Ende des vergangenen Jahres guckte sich das Management dann nach Übernahmekandidaten in Europa rum – und verkündete im Januar schließlich die Übernahme von Circ. Dem Berliner Start-up von Seriengründer Lukas Gadowski war es nicht gelungen, eine neue Finanzierungsrunde auf die Beine zu stellen, um eigenständig zu wachsen. Andere europäische Anbieter geben sich nicht so leicht geschlagen, wie das Beispiel Dott zeigt. Das niederländische Start-up war im November in München gestartet und hat in den letzten Wochen 2.200 E-Scooter in Köln, 1.300 in Düsseldorf und 1.000 in Bonn verteilt. „Zeitnah werden weitere Großstädte in Nordrhein-Westfalen folgen“, kündigte das Unternehmen an.

Mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede

Das Problem der vielen E-Scooter-Dienste ist ihre Austauschbarkeit: Bis auf die Farbgebung und den Zuschnitt der Geschäftsgebiete gleichen sich die Angebote – von den eigentlichen Rollern über die Preise bis zum App-Design. Solange ein Fahrzeug des angestammten Anbieters in Laufweite ist, gibt es für Kunden kaum einen Grund, auf einen Newcomer umzuschwenken. Hinzu kommt, dass die bereits etablierten Player damit begonnen haben, über Abo-Modelle Nutzer stärker an sich zu binden.

Spin gibt sich vor dem Europastart dennoch optimistisch. „Wir scheuen den Wettbewerb nicht“, sagt Ko. „Die Nachfrage wächst immer noch.“ Gefragt nach Alleinstellungsmerkmalen, spult der Gründer indes Argumente ab, die auch die Konkurrenten vortragen: Man habe besonders langlebige Fahrzeuge, biete ein tolles Nutzererlebnis – und arbeite eng mit Städten zusammen. Erstaunlich wortkarg ist Ko, wenn es um mögliche Synergien mit dem Mutterkonzern geht. Der hatte bei der Übernahme noch mitgeteilt, man ziele auf „nahtlose Transport-Erfahrungen für den modernen Kunden.“ Anknüpfungspunkte zu Angeboten des Mutterkonzerns gäbe es durchaus – denn auch abseits des zugekauften Start-ups probiert sich Ford als Mobilitätsdienstleister: Über eine Kooperation mit der Bahn-Tochter Flinkster bietet der Autobauer etwa in seiner „Fordpass“-App bereits Carsharing an. In Düsseldorf und Köln sponsert Ford zudem – ebenfalls von der Deutschen Bahn betriebene – Leihfahrrad-Flotten. Doch eine Integration mit Spin ist laut Ko nicht geplant.

Weiter sind da schon unabhängige Start-ups, die in den vergangenen Monaten oft die Nähe zu Stadtwerken gesucht haben: So lassen sich die E-Scooter von Circ und Voi – einem Konkurrenten aus Schweden – schon jetzt aus manchen ÖPNV-Apps heraus buchen. Und Tier Mobility versucht sich gerade als erster Anbieter in Deutschland auch an anderen Fahrzeugklassen: 5000 vom eingestellten Bosch-Angebot Coup übernommene E-Mopeds fahren künftig mit grüner Lackierung durch Berlin.

Ladestationen sollen für Ordnung sorgen

Um seinen Startnachteil wettzumachen, setzt Spin darauf, dass mehr und mehr europäische Kommunen die E-Scooter-Flut eindämmen. Die Überlegung: Wenn Stadtverwaltungen die Zahl der Anbieter begrenzen, müssen sich diese um eine Zulassung bewerben. Kommt Spin bei den Ausschreibungen zum Zuge, sieht sich das Unternehmen in der jeweiligen Stadt nur noch wenigen Konkurrenten gegenüber – und hat gute Chancen, von den Kunden wahrgenommen zu werden.

Während in Deutschland die Bürgersteige noch weitgehend allen Anbietern offenstehen, ist die Regulierung europaweit schon weit fortgeschritten. So will Paris nur noch zwei bis drei Anbieter erlauben. Unter den Bewerbern ist Spin. Erfahrungen mit solchen Ausschreibungen hat das Unternehmen im Heimatmarkt gesammelt. So konnte die Ford-Tochter sich beispielsweise in San Francisco eine von vier Lizenzen sichern. „Nachdem in Europa sich die regulatorischen Rahmenbedingungen abzeichnen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt für unsere Expansion“, sagt Ko.

Eine ähnliche Strategie fährt auch Hive. Das Joint-Venture der deutschen Autobauer Daimler und BMW ist in Deutschland bisher zwar nicht aktiv, wohl aber im europäischen Ausland. Vergangenen Monat kündigte das Unternehmen seinen Rückzug aus Wien an. Man wolle sich konzentrieren auf „Städte, in denen die örtliche Regulierung eine Begrenzung der Anzahl an Anbietern und Scootern vorsieht“, gab das Unternehmen gegenüber dem ORF an.

Im Wettbewerb um die Gunst der Städte will Spin auch mit neuen Abstell- und Ladestationen punkten. Auch E-Bikes könnten dort einmal Platz finden. Tatsächlich ist das chaotische Abstellen der Fahrzeuge für viele Städte gerade das größte Ärgernis. Berlin brachte deswegen im Februar bereits einen Antrag in den Bundestag ein, der das sogenannte Free-Floating drastisch eingeschränkt hatte. Zwar ist der Vorstoß im Februar zunächst gescheitert. Kommen in diesem Sommer aber Tausende neue Tretroller hinzu, dürfte die Diskussion neu entflammen. Spin wäre mit seinen „Hubs“, die Ko explizit auch für Europa vorsieht, gut gerüstet. In den USA hat die Ford-Tochter schon vorgelegt: Aktuell gibt es dort 40 der Stationen auf privaten Grundstücken in vier Städten – sowie eine auf öffentlichem Grund. Bis zum Jahresende soll die Gesamtzahl auf tausend steigen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%