Einhorn Kondome Vegane Kondome sollen den Markt erobern

Zwei Berliner lärmen gerade durch die sozialen Netzwerke. Ihr Produkt: ein Ökokondom mit Namen Einhorn. Ihre Mission: Das Kondom als nachhaltiges Lifestyle-Produkt. Außerdem suchen sie eine Chefin. Spinnen die?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Vegane Ökokondome Quelle: Pressebild, Montage

Um den Spagat zwischen Porno, Peinlichkeit und Präservativ hinzubekommen, schlüpft Philip Siefer auch mal in einen Anzug. Zweimal war das in letzter Zeit der Fall. Beim ersten Auftritt spricht er am späten Nachmittag vor 500 Leuten auf der Düsseldorfer NeoCom, einer Messe für den digitalen Handel. Draußen weht kühle Herbstluft, drinnen doziert Siefer über heiße Lust. Es geht um das Geschäftsmodell „Einhorn“, das nachhaltig produzierte und fair gehandelte Kondome verspricht. „Jeder braucht Kondome, keiner liebt sie, fast jeder findet den Kauf peinlich“, erklärt Siefer, 32, die Geschäftsidee, die er zusammen mit Waldemar Zeiler, 33, entwickelt hat. „Wir wollen, dass das Kondom ein Kumpel wird.“

Nächster Auftritt auf der hannoverschen Erotikmesse EroFame. Siefer läuft mit knallrotem Kopf zwischen Puppen und Sexspielzeug herum. Mit der Branche wollen die beiden Gründer so wenig wie möglich zu tun haben. Siefer ist trotzdem hier, um Klaus Richter zu treffen, seinen Kondomproduzenten aus Malaysia. Der fertigt eine halbe Milliarde Naturkautschuklatexhüllen pro Jahr. Der Klaus, findet Siefer, hat eine Nachhaltigkeitsmeise.

Philip Siefer Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche

Mehr Spaß, mehr Sex. So sehen Siefer und Zeiler das, was sie da machen. Ach ja, möglichst groß soll das alles auch noch werden. Das Einhorn heißt schließlich nicht umsonst Einhorn. Dass Name und Produkt eine lustige Assoziation ergeben, hach. Aber in Amerika bezeichnen sie mit Unicorn doch jene Start-ups, die es in die Milliarden schaffen. Kann Siefer sich alles, und das wundert einen nach zwei Minuten Gespräch mit ihm dann auch nicht mehr, gut vorstellen. „Ich finde einen Börsengang super spannend.“ Dann sagt er noch, dass man ohne Größenwahn gewisse Sachen nicht mache. Ach.

Wie sich Startups an der Börse entwickelt haben

Um auf dem Weg aufs Parkett nicht auszurutschen, betätigen sich Siefer und Zeiler derzeit als Personaler. Sie fahnden nach einem „Condom-CEO“ für ihr Unternehmen. Am liebsten weiblich. Mehr Gefühl und weniger Testosteron, das ist der Plan. „Wenn wir jemanden finden, der passt, ist das gut. Wenn nicht, dann ist das auch gut.“ Alles kann. Nichts muss. Auf den Prozess halten sie die Kamera und verpacken das Ergebnis in grellen Videoclips, die in ihrer Homepage-Rubrik „Einhorny TV“ laufen – und auf YouTube.

Das geben die Erotikhändler für TV-Werbung aus

Wie pubertierenden Halbstarken ist Siefer und Zeiler wenig bis nichts peinlich im Kampf gegen die Peinlichkeit. „Wenn der Kunde mit dir Spaß hat, haben alle mehr Spaß“, sagt Siefer. Nur ausziehen würde er sich nicht. Wobei, murmelt er, steckt sich eine weitere Zigarette an und bläst den Rauch in den dunklen Berliner Abendhimmel. Wenn es dem Geschäft diene, würde er sich sogar das überlegen.

Kondom ist kein Lifestyle-Produkt

Kaus-Dieter Koch, Gründer der Markenberatung Brand Trust, glaubt nicht, dass die Sache mit dem veganen Latex besonders gut durchdacht ist. Jugendliche und Fremdgänger seien am meisten auf das Produkt angewiesen, sagt Koch. „Denen geht es vor allem um konservative Faktoren wie Funktionalität und Sicherheit.“ Ein Kondom hält Koch für das falsche Produkt, um einen nachhaltigen Lebensstil auszudrücken. Der deutsche Markt mit einem branchengeschätzten Umsatzvolumen von 100 Millionen Euro ist zu 90 Prozent unter Billy Boy, Durex und Ritex aufgeteilt. „Da sehe ich keinen Nährboden“, sagt Koch.

Bis jetzt allerdings läuft das Einhorn. Den Antritt im März dieses Jahres haben namhafte Köpfe aus der Start-up-Branche, etwa der Trivago-Gründer Rolf Schrömgens, Curt Simon Harlinghausen von Akom360 sowie die Helpling-Macher Benedikt Franke und Philip Huffmann bezuschusst. Eine Crowdfunding-Kampagne brachte mehr als 100.000 Euro. Die häufigste Frage der Unterstützer war nicht, ob das Kondom sicher, sondern ob es vegan sei.

In diesen Ländern leben die meisten Vegetarier und Veganer

„Die Generation Y ist eigentlich ziemlich nervig“, sagt Siefer. „Sie hinterfragt alles und will alles wissen.“ Nachhaltige Kondome in sechsstelliger Stückzahl hat das Unternehmen nach eigenen Angaben bislang über den eigenen Onlineshop und in den 44 Filialen der Bio Company verkauft. Alleine im September hat Einhorn über 1000 Pakete verschickt. Im nächsten Jahr soll die Umsatzmillion geknackt werden.

Vor dem Geldverdienen kommt das Geldsammeln. Gerade halten die beiden Gründer wieder den Klingelbeutel auf. Sie wollen die internationale Expansion ihrer Verhüterlis im Gewand einer poppig designten Chipstüte vorantreiben. Die Verpackung soll auch Frauen ansprechen, die über die Hälfte der Käufer stellen. Etwa 50 bis 100 Millionen Euro Kapital will Einhorn zusammentragen, um das Produkt zum Kult zu machen. Zumindest versprechen Zeiler und Siefer das vollmundig in ihrer YouTube-Serie. Ist wie immer nicht ganz ernst gemeint. „Aber Geld aufnehmen werden wir“, sagt Siefer.

So groß die Einhorn-Ziele sind, so klein ist derzeit noch ihr Betätigungsumfeld. Wie sich das für ein ordentliches Berliner Start-up gehört residiert die Keimzelle der Bewegung, die der Welt das Präservativ-Paradies bringen will, im dritten Stock eines Kreuzberger Hinterhauses. Zwischen Dealern und Dönerbuden tüfteln Siefer und Zeiler an ihren Ideen. Nicht allen gefallen sie.

Der Kölner Wettbewerber Fair Squared etwa piesackt die Berliner derzeit mit Klagen wegen falscher Werbeversprechen. „Das ist das lästigste Marketing Coaching, das man sich vorstellen kann, aber auch das beste“, sagt Siefer. So hat er etwa mit Zeiler als Reaktion auf die Piekserei im plüschigen Einhornkostüm vor dem Brandenburger Tor „gegen Orgasmuslimitierung“ demonstriert. Das hat wie immer viele Lacher, mächtig Rummel in den sozialen Netzwerken und ordentlich Bestellungen gebracht. Derzeit ist Einhorn fast ausverkauft.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%