Energiewende Wie Start-ups Solarstrom in Mehrfamilienhäuser bringen wollen

Quelle: imago images

Das Potenzial für sogenannte Mieterstromanlagen ist riesig – doch hohe technische und rechtliche Anforderungen bremsen den Markt. Spezialisierte Tech-Unternehmen greifen Immobilienbesitzern nun unter die Arme. Die Nachfrage wächst.

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Die Dacharbeiten sollen die Energiebilanz der Gebäude verbessern – und für niedrigere Stromkosten sorgen: Im Februar hat das Düsseldorfer Immobilienunternehmen Rheinwohnungsbau angekündigt, 150 seiner Gebäude im Stadtgebiet mit Fotovoltaikanlagen auszurüsten. Die insgesamt 1300 Mietparteien können ihren Strom dann wahlweise vom eigenen Dach beziehen. Das soll nicht nur nachhaltiger, sondern auch um mindestens zehn Prozent günstiger als im Tarif des Grundversorgers sein.

Hinter dem Angebot steht Einhundert Energie. Das Start-up hat sich darauf spezialisiert, Fotovoltaik-Anlagen auf Mietshäuser zu bringen. Deutschlandweit haben die Kölner eigenen Angaben zufolge bisher Anlagen für mehr als 360 Mehrfamilienhäuser umgesetzt. Das Düsseldorfer Projekt ist besonders umfangreich: Einhundert Energie pachtet die Dachfläche, finanziert und installiert die Solarmodule und kümmert sich um die Abrechnung mit den Mietern. „Wir halten den Aufwand für Immobilienunternehmen so gering wie möglich“, sagt Gründer Ernesto Garnier.

Mit dem Komplettservice trifft das Start-up einen Nerv. Strompreise auf Rekordniveau haben in Deutschland das Interesse an Solaranlagen neu entfacht. Vor allem die Eigenversorgung, die Unabhängigkeit von Marktkapriolen verspricht, steht hoch im Kurs. Doch bisher beschränkt sich der Ausbau auf Einfamilienhäuser. Wohnen mehrere Parteien unter einem Dach, scheuen die Besitzer die Investitionen zumeist – weniger aus finanziellen Gründen, sondern weil Technik und Abrechnung als komplex gelten.

Der größte Knackpunkt bei sogenannten Mieterstromanlagen ist laut Branchenexperten der rechtliche Rahmen. Denn: Beliefert man einen fremden Haushalt mit Strom, wird man dadurch in der Regel zum Energieversorger – mit allen damit verbundenen Pflichten. So muss zum Beispiel Strom zugekauft werden, damit die Mieter an wolkigen Tagen oder nachts nicht im Dunkeln sitzen. Die energierechtlichen Anforderungen „stellen für viele Fotovoltaikanlagen-Betreiber kaum zu überwindende Hürden dar“, urteilt der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW).

Wachsender Wunsch nach Unabhängigkeit

Nicht nur Garnier wittert eine Geschäftschance darin, Prozesse für Vermieter zu vereinfachen. Rund um den Mieterstrom sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Tech-Unternehmen entstanden. So dienen sich auch die Engie-Tochter Solarimo und Polarstern aus München größeren Immobilienunternehmen als Komplettanbieter an. Auf kleinere Mehrfamilienhäuser und Wohneigentümergemeinschaften zielen Pionierkraft und Metergrid ab. Die Angebote der Start-ups reichen von intelligenten Zählern für die Stromabrechnung über die Installation der Anlagen bis zum dauerhaften Betrieb. Auch Wärmepumpen und Wallboxes für E-Autos werden auf Wunsch mitgeplant.



Die Nachfrage steigt rasant, berichten die Start-ups. Angesichts des Ukraine-Kriegs würden Eigentümergemeinschaften sich zunehmend damit befassen, wie sie sich unabhängiger vom Energiemarkt machen können, sagt Metergrid-Gründer Julian Schulz: „Aktuell erhalten wir 40 bis 50 Anfragen pro Monat.“ 180 Projekte seien seit der Gründung vor zwei Jahren bereits umgesetzt worden. Einhundert Energie gibt an, seinen Auftragseingang im vergangenen Jahr gegenüber 2020 verdreifacht zu haben. Für Schub sorge auch die neue Solarpflicht in Bundesländern wie Baden-Württemberg.

Investoren wittern einen Wachstumsmarkt. Pionierkraft etwa hat sich im Herbst eine Millionenfinanzierung gesichert. Neben Business Angels gehört auch der aus EU-Geldern gespeiste Fonds EIT InnoEnergy zu den Gesellschaftern. Einhundert Energie hat im Februar 6,5 Millionen Euro in einer Finanzierungsrunde eingesammelt. Beteiligt waren daran neben anderen der Energieversorger EWE und die NRW-Bank.

Wie groß das Potenzial ist, hat das Bundeswirtschaftsministerium 2017 in einer Studie untersuchen lassen. Demnach könnten Fotovoltaikanlagen auf deutschlandweit 360.000 Mehrfamilienhäusern Strom für insgesamt 3,8 Millionen Wohnungen produzieren. Mit einem Mieterstromzuschuss fördert der Staat das Modell zwar seit Jahren. Dennoch sind bis heute im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur nur gut 4600 entsprechende Anlagen verzeichnet. Ein krasses Missverhältnis, das die Start-ups nun beseitigen wollen.

Auch private Vermieter sollen profitieren

Die Ansätze unterscheiden sich dabei im Detail. Metergrid etwa hat keine Ambitionen, wie Einhundert Energie selbst zum Anlagenbetreiber zu werden. Stattdessen will das Stuttgarter Start-up eine Plattform schaffen, über die sich Vermieter alle nötigen Komponenten zusammenstellen können – von passenden PV-Modulen über die Messtechnik und Vertragsvorlagen bis hin zu einer cloudbasierten Software für die Abrechnung und Verwaltung der Anlage. „Wir versetzten Vermieter in die Lage, alle technischen und regulatorischen Herausforderungen zu stemmen“, verspricht Mitgründer Schulz.

Wieder einen anderen Weg geht Pionierkraft. Die Münchener haben ein Gerät entwickelt, um das Stromteilen untern Nachbarn zu vereinfachen. Die Besonderheit: Die hausinternen Stromlieferungen finden hinter dem öffentlichen Zähler statt. Die Leitungen müssen dafür neu verdrahtet werden. Die sonst üblichen Mieterstrom-Zuschüsse von bis zu 3,8 Cent pro Kilowattstunde fallen weg. Dafür gibt es einen großen Vorteil: Die Vermieter liefern rechtlich nur „Ergänzungsstrom“. Das bedeutet, dass die Mieter weiterhin Kunden eines klassischen Energieversorgers bleiben, von diesem aber weniger Strom brauchen.

Entwickelt hatte das Start-up sein „Pionierkraftwerk“ ursprünglich für Häuser mit einer einzelnen Mietwohnung, Hard- und Software sind nun aber auch für mehr Parteien geeignet. Im Vordergrund stehen für das Unternehmen – wie auch für Metergrid – aber weiterhin eher private Vermieter und Wohneigentümergemeinschaften als große Immobilienfirmen. „Unter unseren Kunden sind viele Idealisten, manche verschenken ihren Strom sogar“, sagt Mitgründer Nicolas Schwaab.

Bürokratie bremst Mieterstrom

Dass die Regulatorik rund um Mieterstrom komplex ist, ist für die spezialisierten Anbieter einerseits Teil der Geschäftsgrundlage. Andererseits macht aber auch ihnen die Bürokratie das Leben schwer. Das fängt bei der Anmeldung der Anlagen an: Zuständig ist jeweils der örtliche Verteilnetzbetreiber. Doch davon gibt es fast 900 in Deutschland. „Da hat jeder seine eigenen Prozesse und Vorgaben“, sagt Schwaab. Einhundert-Energie-Gründer Ernesto Garnier fordert eine zentrale Plattform, über die Fotovoltaikanlagen und Stromzähler „nach den gleichen technischen Standards und Zeitfristen“ angemeldet werden.

Ein weiteres Ärgernis aus Sicht der Anbieter: Bisher haben Mieter die freie Wahl, ob sie das Stromangebot eines Vermieters annehmen. Auch wenn die Tarife günstiger sein müssen als die eines Grundversorgers, entscheiden sich manche Mieter dagegen. Einhundert Energie gibt an, dass man bei Neubauprojekten rund zwei Drittel der Haushalte erreiche. Dennoch sei die Mieter-Teilnahme ein Risiko, räumt Garnier ein. „Wir würden es begrüßen, wenn der Solarstrom auf die Nebenkostenabrechnung umgelegt werden könnte.“

Zwar hat sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgenommen, Mieterstrom zu vereinfachen und attraktiver zu machen. Doch im ersten großen Reformpaket für den Energiemarkt, das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kurz vor Ostern vorgestellt hat, ist davon laut Branchenexperten noch nichts zu sehen. „Verbesserungen wurden vom Bundeswirtschaftsministerium fast ausschließlich für neue Solaranlagenbetreiber vorgesehen, die ihren Solarstrom vollständig ins öffentliche Netz einspeisen“, kritisiert BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig.

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Die Mieterstrom-Spezialisten drohen von dem Gesetzespaket sogar ausgebremst zu werden. Der Grund: Solarstrom, der komplett ins Netz eingespeist wird, soll künftig wieder deutlich besser entlohnt werden. Wird ein Teil des Stroms vor Ort verbraucht, gibt es für die Überschüsse dagegen nur eine geringere Vergütung. Die aufwendigen Mieterstrom-Projekte werden damit im Vergleich zur Volleinspeisung finanziell unattraktiver, so die Befürchtung. Die Branche hofft nun darauf, dass die Politik noch nachbessert.

Ein weiteres Risiko für die Start-ups ist paradoxerweise die steigende Nachfrage auf dem Gesamtmarkt. Bereits jetzt sind Solarmodule wesentlich teuer als noch vor einem Jahr. Und Fachbetriebe, die Fotovoltaikanlagen oder Wärmepumpen installieren, sind oft über Monate ausgebucht. Auf Einfamilienhäuser spezialisierte Solar-Start-ups wie Enpal, die mit reichlich Wagniskapital ausgestattet sind, bilden deswegen mit Hochdruck eigene Monteure aus. Auch Einhundert Energie will sich nicht mehr alleine auf Partnerbetriebe verlassen. „Wir bauen zunehmend eigene Kapazitäten auf, insbesondere Planer und Elektriker“, sagt Garnier.

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