Enmacc sichert sich Wagniskapital Wie ein Start-up den Energiehandel erleichtern will

Das Start-up hat sich in wenigen Jahren als ein zentraler digitaler Vermittler in einem Markt positioniert, der in der Öffentlichkeit bislang kaum eine Rolle spielte. Quelle: imago images

Stadtwerke blicken besorgt auf den Winter – und tun sich immer schwerer, die benötigten Strom- und Gasmengen zu beschaffen. Kann eine digitale Plattform für den außerbörslichen Handel helfen?

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Strommenge X bitte zum Oktober 2024, Gasmenge Y bitte zum Frühjahr 2025: Mit reichlich Vorlauf handeln größere Energieversorger und -abnehmer auf der Plattform Enmacc. Und mit gewaltigen Mengen. Mehr als 3000-mal im Monat wird dort ein Terminmarktgeschäft abgeschlossen, in jeder Woche werden Energiekontrakte im Gegenwert von einer Milliarde Euro abgewickelt. 

Das 2016 gegründete Start-up hat sich in wenigen Jahren als ein zentraler digitaler Vermittler in einem Markt positioniert, der in der Öffentlichkeit bislang kaum eine Rolle spielte. Es geht um das sogenannte Over-the-Counter-Geschäft mit Energie – also den außerbörslichen Handel von Gas und Strom, der viele Monate oder gar einige Jahren vor dem eigentlichen Lieferdatum passiert. Und der nun angesichts explodierender Energiepreise ins Zentrum des öffentlichen Interesses drängt.

Dieses Geschäft war lange ein analoges: Einkäufer bei Stadtwerken oder Unternehmen nahmen den Hörer zur Hand, telefonierten die wenigen vertrauten Energielieferanten ab. So kamen Geschäfte zügig zustande. Die Übersicht über den Gesamtmarkt fehlte jedoch. „Wir haben das stark aufgebrochen und mehr Diversifizierung sowie Transparenz und Schnelligkeit im Handel ermöglicht“, sagt Jens Hartmann, Mitgründer und Vorstandschef von Enmacc. 240 große Energieversorger, Stadtwerke, Strom- und Gashändler sowie Industrieunternehmen mit besonders hohem Energiebedarf allein aus Deutschland sind heute auf der Plattform aktiv, die ihren Firmensitz in München hat.

Transparenz, die nicht jedem gefällt

Auf digitalem Weg lassen sich schneller mehrere verschiedene Angebote einholen – und Kunden erhalten eine besseren Überblick, welche Mengen ihnen zu welchen Preisen angeboten werden. Gut für Stadtwerke und Großabnehmer, erst einmal ungewohnt für die wichtigsten Energieerzeuger. „Die Reaktion der ganz großen Energieversorger war am Anfang zögerlich“, räumt Hartmann ein, der das junge Techunternehmen gemeinsam mit Volker Puck, Marc Trieschmann und Kai Schlegel aufgebaut hat.

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Doch dann hätten auch die großen Unternehmen die Vorteile erkannt, so der Gründer. Ein wichtiges Argument, das sie überzeugt, sich Enmacc zu registrieren: „Das bietet Möglichkeiten für die Erzeuger, die Marktanteile gewinnen wollen“, sagt Hartmann. Ein weiteres: Die Plattform wächst über die Grenzen Deutschlands hinaus, europaweit gehören 450 Unternehmen aus 21 Ländern zu den Kunden. „So bieten sich Absatzchancen außerhalb des heimischen Marktes“, betont Hartmann. Mit diesem Ansatz tritt Enmacc in Konkurrenz zu Energiemaklern und zum Teil auch zu den Energiebörsen, die als Clearinghäuser auch außerbörsliche Transaktionen verrechnen. Die Vernetzung lässt sich Enmacc durch eine Mitgliedsgebühr und eine Provision pro abgeschlossene Transaktion bezahlen.

Energiekrise bremst das Geschäft

Die explodierenden Strom- und Gaspreise am kurzfristigeren Spotmarkt sorgten jedoch nicht für Umsatzsprünge. „Das Handelsvolumen liegt bei uns aktuell auf dem Niveau vom Jahresanfang – für ein schnell wachsendes Start-up ist das natürlich eigentlich nicht so toll“, sagt Hartmann. Die vergangenen Monate haben die lange Zeit sorgfältig sortierte Energiewelt aus dem Takt gebracht. Verunsicherte Marktteilnehmer sind schlecht fürs Geschäft. Und je unklarer die Zukunft, desto geringer das Angebot.

Hartmann sieht digitale Angebote als einen wichtigen Schritt, um einen besseren Überblick über die tatsächliche Verfügbarkeit von Strom und Gas zu erhalten. Die aktuelle Krise sei ein Moment, in dem sich die Beteiligten nach neuen Lösungen umschauen: „Solch eine neue Lösung ist unsere Plattform“, sagt Hartmann. 

Doch aktuell tun sich sowohl Erzeuger als auch Abnehmer schwer. Zu undurchschaubar die Preisentwicklung, zu unabwägbar sind mögliche politische und regulatorische Eingriffe, zu viele abrupte Veränderungen gibt es im Mix der Energieträger. „Mit langfristigen Verträgen sind gegenwärtig alle sehr vorsichtig geworden, unser Handelssegment hat stark an Liquidität eingebüßt“, sagt Hartmann.

Insbesondere Stadtwerke blicken besorgt auf den Winter, wenn es darum geht, kurz- und mittelfristig die benötigten Strom- und Gasmengen zu beschaffen. „Wenn unsere Kunden leiden, leiden wir auch“, sagt Hartmann. Bleibt aber angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre optimistisch: „Die stetig steigende Zahl an Nutzern und der große Kreis an Investoren zeigen aber auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

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Wette auf die Zukunft der Energiewelt

Denn trotz aktueller Stagnation konnte das Start-up jetzt eine Finanzierungsrunde abschließen. Eine nicht näher definierte zweistellige Millionensumme fließt an Enmacc. Angeführt wird die Runde von einem speziellen Energiewendefonds der Investmentbank Alantra. Das Münchener Start-up sei ein „Wegbereiter für eine schnellere Transformation im Energiesektor“, lässt sich der Investmentdirektor Iñigo Echaniz in einer Pressemitteilung zitieren. Zudem steigt Chevron Technology Ventures, die Beteiligungsgesellschaft des US-amerikanischen US-Energiekonzerns, bei Enmacc ein. Einige der Bestandsinvestoren stellen ebenfalls in dieser Runde Kapital bereit – Risikokapitalgeber wie Cherry Ventures oder Piton Capital hatten bereits 2019 in das Start-up investiert.

Die Geldgeber glauben vor allem an das langfristige Potenzial des digitalen Energievermittlers. „Dass wir die Finanzierungsrunde abschließen konnten, liegt nicht an den Zahlen der vergangenen Monate“, sagt Enmacc-Chef Hartmann. „Sondern daran, dass sich die Branche insgesamt digitaler aufstellen muss und wird.“ Neben Strom und Gas will das Start-up zukünftig auch weitere Produkte digital handelbar machen. Noch in diesem Jahr sollen etwa CO2-Zertifikate auf die Plattform kommen. Langfristig will das aktuell 70-köpfige Team auch an Energieträger wie Biogas oder Wasserstoff ran: „Die Energiewende gelingt nur, wenn auch dafür Marktplätze entstehen“, sagt Hartmann. „Und wir sehen unsere Aufgabe und unsere Chance darin, die Plattform für künftige Märkte aufzubauen.“

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