Essenslieferdienste und Mehrwegverpackungen Der mühsame Weg zur Teller-to-go-Gesellschaft

Recircle-Essensbox Quelle: Recircle

Essenslieferdienste boomen, verursachen aber jede Menge Verpackungsmüll. Die deutschen Start-ups Recup und Vytal wollen das Problem mit Mehrwegverpackungen lösen – und kämpfen dabei gegen die Bequemlichkeit der Nutzer.

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Zu den Dingen, die durch die Coronapandemie an Aufmerksamkeit eingebüßt haben, gehört der Plastikmüll. Doch mit derselben Berechtigung und Logik der geflügelten Formulierung, dem Virus sei es egal, ob Weihnachten ist, kann man mit Blick auf Plastikmüll konstatieren: Der Umwelt ist es egal, ob gerade Pandemie ist. Gerade besonders schädliche, weil kaum recyclebare Einweggeschirre und Plastikgabeln haben durch die Corona-Begleiterscheinungen und Hygiene-Vorschriften eine neue Popularität erfahren. Und die zurzeit wieder zwangsgeschlossenen Restaurants, Bars und Kantinen schaffen eine deutlich erhöhte Nachfrage nach geliefertem Essen – was wiederum zu deutlich mehr Verpackungsmüll führt.

Wie eine Erinnerung an Vor-Corona-Zeiten wirkten da zwei Meldungen der vergangenen Tage: Am Freitag hat der Bundestag ein Verbot von Plastiktüten beschlossen, das ab 2022 gelten wird. Es betrifft vor allem die Standardtüten, die für Centbeträge an Supermarktkassen verkauft werden – laut Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) „der Inbegriff der Ressourcenverschwendung“. Und ein paar Tage zuvor hat Schulze eine Novelle des Verpackungsgesetzes angekündigt, wonach Gastronomen, die Essen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, ab 2022 auch Behältnisse anbieten müssen, die man wiederverwenden kann. „Diese ganze Mentalität – einmal nutzen, weg und hopp – das muss jetzt mal aufhören“, begründete Schulze.

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Wenn die Bundesregierung die Plastikbekämpfung offensichtlich nicht vergessen hat, gleichzeitig aber dafür sorgt, dass Restaurant- und Gastronomiebetreiber gezwungen sind, ihr Essen außer Haus zu liefern, wirft das die Frage auf: Lieferessen und Mehrwegverpackungen – wie passt das zusammen? 

Zwei deutsche Startups haben sich bereits auf vorzeigbare Weise der Beantwortung dieser Frage gewidmet: Recup aus München und Vytal aus Köln. Beide bieten seit einigen Monaten Mehrwegverpackungen für die Gastronomie an. „Grundsätzlich spricht natürlich nichts dagegen, Lieferdienste und Mehrwegverpackungen zu kombinieren – es funktioniert“, sagt Recup-Mitgründer Fabian Eckert: „Es scheitert bislang nicht an der Akzeptanz der Nutzer, sondern es liegt schlicht am fehlenden Angebot.“ Und Vytal-Mitgründer Tim Breker formuliert den Anspruch seines Unternehmens wie folgt: „Mehrweg so einfach und bequem machen wie Einweg.“

Zwischen 2000 und 2017: Verdreifachung der Essensverpackung

Um zu verstehen, wie dringlich das Problem ist, hilft ein Blick in den Abschlussbericht des Umweltbundesamts (Uba) zu „Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland“. Im Bericht für das Jahr 2017 sind die Uba-Autoren zuletzt detaillierter auf den Außer-Haus-Verbrauch eingegangen: Der Verbrauch von „Verpackungen des Außer-Haus-Verzehrs“, schreiben die Experten dort, nehme „auf lange Sicht kontinuierlich zu“. Zwischen 2000 und 2017 stieg der Verbrauch von Verpackungen in der Gastronomie fast um das Dreifache. Und das war, um es nochmals deutlich zu machen, vor der Coronapandemie. 2020 dürfte die Steigung noch deutlicher ausfallen. Angefangen hat die Verpackungsorgie bei Einwegbechern für den sogenannten Coffee-to-go: bei diesen zumeist nicht recyclebaren Pappbechern stellt das Uba von 2000 bis 2017 nahezu eine Verdoppelung fest auf mehr als 65.000 Tonnen.

Mit der Vermeidung von solchen Einmalbechern fing Fabian Eckert (31) vor rund vier Jahren an: Zusammen mit seinem Kollegen Fabian Pachaly (25) gründete er in München das Unternehmen Recup. Sie setzen auf ein Pfand-System: Kunden können sich ihren Kaffee zum Mitnehmen gegen eine Pfandgebühr von einem Euro in einen Recup-Becher füllen lassen. Wenn sie den Becher bei einem der Partner-Cafés zurückgeben, erhalten sie auch den Euro zurück. Laut Hersteller sollen die Becher rund 1000 Spülmaschinengänge überstehen. Je mehr Bars und Cafés mitmachen, also die Mehrweg-Becher ausgeben und auch annehmen, desto besser für Recup: Derzeit zählt das Jungunternehmen deutschlandweit 5.200 Ausgabestellen, darunter auch Ketten wie etwa die Tankstelle Shell.

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Ende 2019 hatten die Gründer die Idee, ihr System auch auf sogenannte Bowls auszuweiten: wiederverwendbare Essensboxen. Die Pandemie habe den Start verzögert, erzählt Eckert, aber seit August sind die Rebowls nun im Einsatz: In mittlerweile 300 Ausgabestellen können Nutzer gegen fünf Euro Pfand ihr Essen in solch eine Schüssel füllen lassen und mitnehmen. Neben vielen kleineren Restaurants, sagt Eckert, zählen auch die Bio-Bäckerkette Hofpfisterei sowie der Berliner Supermarktfilialist Bio-Company zu den Rebowl-Kunden – dort kommen die Rebowl-Schüsseln etwa am Salatbüfett zum Einsatz.

Inwiefern wirkt sich die aktuelle, zweite Schließung aller Restaurants auf das Rebowl-Geschäft aus? „Eigentlich könnte man meinen, Corona sei gut für uns“, sagt Eckert, „denn die Nachfrage nach geliefertem Essen steigt ja, wenn die Restaurants nicht öffnen dürfen.“ Dann aber schränkt er ein: Mit den Lieferungen steige auch der Müllberg, was er und seine Mitstreiter verhindern möchten. „Und wir bekommen natürlich an vorderster Front mit, wie Gastronomen zu kämpfen haben und teilweise auch aufgeben müssen. Uns geht es auch nur gut, wenn es der Gastronomie gut geht.“

Corona, sagt Eckert, fördere das Bewusstsein für Nachhaltigkeit noch einmal. „Ähnlich, wie vor ein paar Jahren der Kaffeebecher sinnbildlich im Zentrum der Müllvermeidung stand, verbildlicht Corona jetzt nochmal, wie extrem wir in dieser Wegwerfkultur leben.“ Um möglichst erfolgreich etwas dagegen zu unternehmen, sagt er, komme es auf die einzelnen Anbieter an – und dass möglichst viele von ihnen mit demselben System arbeiteten: „Die Krux ist: Um den größtmöglichen Effekt bei der Müllvermeidung zu erreichen, ist ein Mehrwegsystem eigentlich nur als Monopol sinnvoll.“


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