Fachkräfte für die Energiewende Im Kastenwagen zum Millionen-Exit

Florian Meyer-Delpho und Till Pirnay (v.l.) haben einen Montageservice aufgebaut, der im Auftrag von Solaranbietern deutschlandweit Fotovoltaikanlagen auf die Dächer bringt.

Der Handwerker-Engpass behindert zwar den Ausbau erneuerbarer Energien, beschleunigt dafür aber den Aufstieg von Start-ups: So wie bei Installion, das jetzt einen Deal mit Lichtblick gemacht hat.

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Florian Meyer-Delpho und Till Pirnay handeln mit einem Gut, das gefragt ist wie nie zuvor – und an dem das Gelingen der Energiewende hängt: freie Termine von Handwerkern. Mit Installion haben die Gründer einen Montageservice aufgebaut, der im Auftrag von Solaranbietern deutschlandweit Fotovoltaikanlagen auf die Dächer bringt. Gut 100 Monteure, Dachdecker und Elektriker an bundesweit zwölf Standorten beschäftigt das Kölner Start-up. Zudem arbeitet es eng mit vielen unabhängigen Handwerksbetrieben zusammen.

Um die 600 Energieunternehmen, die Solaranlagen vertreiben, haben die Dienstleistung laut Installion in den vergangenen Jahren genutzt. Darunter sind viele Stadtwerke, aber auch Energiekonzerne wie Vattenfall oder Eon. Nun müssen sie sich nach neuen Montagehelfern umsehen. Denn künftig wird Installion exklusiv für Lichtblick tätig sein: Um sich die raren Handwerkskapazitäten zu sichern, hat der Ökostromanbieter das Start-up komplett übernommen.

Zum Kaufpreis machen die Firmen keine Angaben – in Branchenkreisen wird ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag vermutet. Das Start-up hatte in einer Gesellschafterversammlung im Herbst für eine mögliche neue Finanzierungsrunde eine Bewertung von mindestens 30 Millionen Euro angestrebt.

Pirnay betont im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass es sich um keinen Notverkauf gehandelt habe. „Wir sind extrem zufrieden mit der Bewertung, die wir erzielt haben.“ Die beiden Gründer hielten zuletzt noch 16 Prozent der Firmenanteile. Größte Gesellschafter mit je knapp einem Drittel der Anteile waren bislang die Lichtblick-Mutter Eneco und der kommunale Energieversorger Enercity. Rund vier Millionen Euro Wagniskapital sind seit der Gründung 2019 in das Start-up geflossen.

Digital-Start-ups gründen reihenweise Montagegesellschaften

In dem Deal spiegelt sich wider, wie wertvoll freie Termine von Handwerkern derzeit sind. Anbieter von Fotovoltaikanlagen und Energiespeichern können sich vor Aufträgen kaum noch retten, seit Energiepreise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine explodiert sind. Im vergangenen Jahr mussten viele Solaranbieter Interessenten wegen Material- und Personalengpässen oft um Monate vertrösten. Inzwischen hat sich die Situation zwar etwas entspannt. Doch noch immer fehlen für den Ausbau der Solar- und Windenergie laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln aktuell mehr als 200.000 Fachkräfte.

Den Handwerkerengpass haben viele Start-ups, die sich auf den Online-Vertrieb von Solaranlagen spezialisiert haben, früher gespürt als manche etablierte Energieunternehmen, für die der Verkauf von Fotovoltaikanlagen lange nur ein Nebengeschäft war. In einem ersten Schritt haben junge Anbieter wie Enpal, DK4 oder Sunvigo deshalb Netzwerke mit Handwerksbetrieben aufgebaut. Sie locken damit, den Betrieben gut vorbereite Aufträge auf dem Silbertablett zu servieren und Auftragslücken zu stopfen. Mit denselben Argumenten umwirbt auch Installion Handwerker – das Start-up gibt an, mit 500 unabhängigen Betrieben regelmäßig zusammenzuarbeiten.

Doch das Vermittlungsgeschäft ist betreuungsintensiv – und kommt an Grenzen: „In Hochphasen wie im vergangenen Jahr ist es für die Betriebe attraktiver, selbst Solaranlagen zu verkaufen statt sich als Subunternehmer einspannen zu lassen“, sagt Installion-Mitgründer Meyer-Delpho. Wie Installion sind viele Start-ups deswegen dazu übergegangen, zusätzlich einen Stamm eigener Handwerker aufzubauen.

Handwerker treiben den Firmenwert

Enpal zum Beispiel beschäftigt inzwischen mehr als 1000 Handwerker – rund 80 Prozent der monatlich 3000 Solarlösungen würden über sie installiert, teilte das Berliner Start-up auf Nachfrage mit. Beim Leipziger Konkurrenten Energiekonzepte Deutschland (EKD) sind es etwa 200 eigene Handwerker. Auch im boomenden Geschäft mit Wärmepumpen setzen technologiegetriebene Anbieter wie Wegatech oder Thermondo auf eigene Installateure und Elektriker.

Noch energischer geht 1komma5° aus Hamburg vor: Seit der Gründung vor nicht einmal zwei Jahren hat das Start-up Dutzende Handwerksunternehmen in Deutschland, Skandinavien und Australien übernommen – und beschäftigt an 50 Standorten nun 1000 Mitarbeiter. Der größte Teil davon sind Handwerker. Die Betriebe umwirbt 1komma5° mit dem Versprechen, sie am Gesamterfolg des Start-ups zu beteiligen und ihnen bei der Personalgewinnung unter die Arme zu greifen.

Auffällig ist: Vor allem die Start-ups, die auf eigene Handwerker setzen, konnten zuletzt stark wachsen – und werden mit hohen Bewertungen belohnt: Enpal beispielsweise kam bei seiner jüngsten Finanzierungsrunde im Januar bereits auf einen Unternehmenswert von 2,25 Milliarden Euro.

Lichtblick will nicht mehr nur Stromanbieter sein

Mit dem Fokus auf Unternehmenskunden und seinem deutlich kleineren Mitarbeiterstamm – insgesamt arbeiten dort 170 Vollzeitkräfte – ist Installion mit den großen Endverbrauchermarken nicht direkt vergleichbar. Doch auch bei den Kölnern sind es die eigenen Montagestandorte, die maßgeblich für den Firmenwert sind. „Mit unserer Ausrichtung auf Geschäftskunden hatten wir immer die Möglichkeit vor Augen, uns einem Energieversorger anzuschließen“, sagt Pirnay. Mit Lichtblick habe sich nun ein Käufer gefunden, dessen Unternehmenskultur gut zum Start-up passe.

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Bei dem Ökostromanbieter heißt es, Installion sei ein „wichtiges Puzzle-Stück“ für die Umsetzung der neuen Firmenstrategie. Lichtblick will erklärtermaßen nicht mehr nur Stromanbieter sein, sondern seinen 1,7 Millionen Kunden auch Fotovoltaikanlagen, Energiespeicher, Ladeboxen für E-Autos und Wärmepumpen verkaufen.

Es ist auch eine Reaktion auf die Solar-Start-ups, die ihrerseits zu den Fotovoltaikanlagen auch Stromtarife anbieten. Lichtblick wirbt damit, überschüssigen Strom in virtuellen Kraftwerken zu vermarkten – die Kunden müssten sich so nicht mit den niedrigen Einspeisevergütungen zufriedengeben.

Um allerdings dieses Geschäft hochfahren zu können, mussten Monteure her – und mit Installion gab es über die Muttergesellschaft Eneco bereits eine erprobte Zusammenarbeit. „Ein leistungsfähiges Fachkräftenetzwerk ist der wichtigste strategische Baustein, damit wir die steigende Nachfrage nach Solaranlagen, Heimspeichern und Wallboxen decken können“, betont Lichtblick-Chef Constantin Eis.

Quereinsteiger sollen Fachkräftemangel lindern

Installion rühmt sich – wie auch Enpal und 1komma5° – damit, als junges Unternehmen für viele Fachkräfte attraktiver als manch angestaubter Familienbetrieb zu sein. Rekrutiert wird vor allem über die sozialen Medien. Daneben nutzen viele Branchen-Start-ups digitale Stellenbörsen wie das auf Handwerksberufe spezialisierte Portal PowerUs aus Berlin. Leidtragende sind traditionelle Handwerksbetriebe, die Mühe haben, ihre Mitarbeiter zu halten. Doch auch unter den Start-ups selbst sind gegenseitige Abwerbeversuche keine Seltenheit. Den Fachkräftemangel insgesamt lindert das nicht.

Zunehmend investieren die jungen Unternehmen darum in eigene Ausbildungswege. Zu den Vorreitern zählt Enpal, das Quereinsteiger seit Anfang 2021 in einer eigenen Akademie in wenigen Wochen für Montagetätigkeiten fit macht. Erst im November ist das Schulungszentrum ausgebaut worden – monatlich bis zu 120 Solarmonteure und Elektriker können dort ausgebildet werden. Auch in Osteuropa wirbt Enpal mittlerweile gezielt um Fachkräfte für den deutschen Markt.

In der von Installion-Mitgründer Meyer-Delpho angestoßenen Initiative „Ohne Hände keine Wende“ wollen knapp 20 Branchenunternehmen nun auch gemeinsam um Quereinsteiger werben. Neben anderen gehören Enpal, 1komma5°, Thermondo und Installion sowie Lichtblick der Initiative an. Geplant seien eine Plattform mit Schulungsangeboten, gemeinsame Imagekampagnen und eine abgestimmte Lobbyarbeit, so Meyer-Delpho. In einem offenen Brief werben die Unternehmen dafür, „dass Bundesregierung, Arbeitsagentur und die Branche im Schulterschluss Schnellqualifizierungen für PV-Installateure auf den Weg bringen.“

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Bei Innungen und Handwerkskammern stoßen die Expressausbildungen auf ein geteiltes Echo. Meyer-Delpho hält sie für unerlässlich, um das nötige Tempo in die Energiewende zu bringen. Mit „pragmatischen Teil-Qualifikationen“ und optimierten Arbeitsabläufen lasse sich der Fachkräftemangel deutlich abfedern, sagt der Gründer. Für viele Tätigkeiten seien keine Spezialisten nötig. „Es darf nicht sein, dass der Elektromeister Solarmodule montiert oder sich mit Verkaufsgesprächen aufhält.“  

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