Familie und Beruf „Mein Mann kümmert sich um die Kinder, ich gebe Vollgas“

Spätestens seit der Pandemie verschwimmen im Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeit und Familie. Quelle: imago images

Immer mehr Frauen empfinden ihren Job als stressig. Auch weil es seit der Pandemie schwieriger geworden ist, ihn mit dem Familienalltag zu vereinbaren. Wie regeln das Unternehmerinnen, die noch mehr arbeiten als die meisten Angestellten?

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Die Frage, wie viele Stunden sie in der Woche arbeitet, kann Kati Ernst nicht wirklich beantworten. Irgendwie, sagt die Gründerin des Berliner Start-ups Ooia, sei sie immer „on“, denke ständig an ihr Unternehmen, das Periodenunterwäsche vertreibt. Mal schreibt sie abends von der Couch aus Mails, mal entwickelt sie im Urlaub neue Produktideen. Wenn ihre drei Kinder schlafen, sitzt sie noch an einer Präsentation. Selbst und ständig eben.

Ernst kennt auch die andere Seite: Bevor sie ihr Start-up Ooia mit zwei Mitstreiterinnen gründete, war sie Angestellte. Fast zwölf Jahre arbeitete Ernst bei der internationalen Beratung McKinsey. Und wendete dort schon mehr Stunden für den Beruf auf als das Gros der deutschen Beschäftigten. Und doch waren es weniger als heute. Immerhin stand in ihrem Arbeitsvertrag – den sie heute gar nicht hat – eine feste Zahl an Wochenstunden. „Abends klappte ich den Laptop zu und hatte wirklich Feierabend.“

Trotzdem sagt Ernst heute: „Als Unternehmerin kann ich Arbeit und Familie deutlich besser vereinen.“ Als Angestellte habe sie es immer gestört, dass andere ihr vorgeschrieben haben, wann sie wo sein müsste. In der Festanstellung konnte sie zwar in Mutterschutz gehen und für die Kindererziehung in Teilzeit wechseln. Heute könne sie dafür die Zeit mit ihren drei Kindern – zwei gehen in die Grundschule, das dritte in die Kita – um die Arbeitstermine herum planen. „Flexibler geht es eigentlich nicht“, sagt Ernst.

Ernst sitzt im erweiterten Vorstand des deutschen Start-up-Verbands, der vor wenigen Tagen ein Positionspapier herausgebracht hat. Das Ziel: „Frauen sollen eine größere Rolle in der Wirtschaft spielen und Selbstständigkeit gestärkt werden.“ Deshalb fordert der Verband „einen besseren Mutterschutz“ für selbstständige Frauen, „Elterngeld und Elternzeit für Gründer*innen, Unternehmer*innen und Selbstständige“ und eine bessere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.

Mit Kindern endet das Start-up-Abenteuer

Ernst weiß, dass sie in einer privilegierten Position ist. Auch ihr Mann hat Start-ups groß gezogen, die Familie konnte aus den vorigen Jobs Geld für die Gründungen zur Seite legen.  Das gab Ernst jene finanzielle Sicherheit, die vielen anderen Müttern fehlt. „Gerade die finanziellen Aspekte einer Gründung bedeuten für die meisten Frauen sehr viel Unsicherheit, hier brauchen sie Unterstützung vom Staat“, sagt Ernst. Auf dem Instagram-Kanal ihres Start-ups hätten ihr viele Frauen geschrieben, dass sie ihre Selbstständigkeit aufgegeben haben, als die Kinder auf die Welt kamen. „Nur weil wir die Systeme nicht an die Lebensrealität von selbstständigen Freuen anpassen, bleiben so viele tolle Geschäftsideen ungenutzt“, konstatiert Ernst.

Zwar gibt es für Angestellte Mutterschutz und Elternzeit. Aber neue Studien zeigen, dass Frauen im Beruf vor allem in den vergangenen Jahren unter immer höherer Belastung litten. Aus der Umfrage „Women @ Work“ der Unternehmensberatung Deloitte geht etwa hervor, dass das Stresslevel im vergangenen Jahr für 49 Prozent der befragten Frauen in Deutschland gestiegen ist. „Bei 42 Prozent war die Belastung sogar so hoch, dass sie sich ausgebrannt fühlten“, heißt es in dem Papier. Die Beratung befragte dafür weltweit 5000 Arbeitnehmerinnen, 500 davon in Deutschland.

Gründerinnen und Gründer arbeiten meist mehr. Und auch wenn Ernst sich etwa eine Babysitterin leistet, die 20 Stunden in der Woche für die Familie arbeitet, das Stresslevel ist hoch. Als ihr Mann vor ein paar Jahren sein eigenes Start-up in der Eventbranche groß machte, trat Ernst kürzer und übernahm federführend die Kindererziehung. Jetzt ist sie an der Reihe. „Mein Mann kümmert sich um die Kinder, ich gebe Vollgas“, sagt sie. Ihr Mann arbeitet zwar weiterhin, aber ist der Hauptansprechpartner für Schule und Kita, organisiert die Verabredungen mit Freunden, hilft bei Hausaufgaben.

Es braucht klare Regeln. Ernst muss jeden Abend um 18 Uhr zu Hause sein, dann kocht und isst die Familie gemeinsam. Das führt dazu, dass sie die liegen gebliebene Arbeit zu anderen Zeitpunkten als üblich erledigen muss. „Wenn die Kinder am Wochenende in der Badewanne sind oder mit Freunden zur Eisdiele gehen, weiß ich: Das ist jetzt mein Zeitfenster von einer halben Stunde für Mails oder Projekte.“ Wenn ihr Mann am Wochenende mit den Kindern zelten geht, hat Ernst auch gleich mal einen ganzen Tag nur für Ooia.

Alles besser dank Homeoffice?

Die Untersuchung von Deloitte geht auch der Frage nach, ob die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt – samt Homeoffice und anderen Arbeitszeiten – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert. Die Berater kommen zu dem Ergebnis: „Die von vielen gehegte Hoffnung auf Besserung durch flexible Arbeitsmodelle wird enttäuscht.“ Vor allem Frauen, die nun flexible Arbeitszeitmodelle nutzen, leiden unter einer höheren mentalen Belastung, zeigt die Befragung. So gaben etwa 48 Prozent der Frauen, die ihre Arbeitszeit seit der Pandemie anders strukturieren, an, mehr Zeit mit der Kinderbetreuung zu verbringen, 50 Prozent erledigen mehr Aufgaben im Haushalt als vorher.

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Auch Ernst beschreibt die Zeit mitten in der Pandemie als „Ausnahmezustand“, die für etliche Familien „unerträglich“ war. Wenn aber Kita und Schule geöffnet hätten, erleichtere das Homeoffice die Kinderbetreuung ungemein. Dass Berufliches und Privates verschwimmen, lasse sich als Gründerin ohnehin nicht verhindern. Ernst forciert das sogar: Ihre Kinder seien „Fans“ der Firma, kennen die Mitarbeiterinnen, kommen mit zu Fotoshootings der neuen Produkte. 

Die Kinder sollten schließlich wissen, womit sie die ganze Zeit verbringe, wenn sie schon nicht mit ihnen beim Spielen sei, sagt Ernst. Und so unterscheidet sie in der Ferienzeit zwischen Urlaub und Urlaub-Urlaub. Wenn die Kinder Schulferien haben, hat Ernst Urlaub, reduziert die Anzahl der Meetings, bleibt aber im Kontakt mit den Teams, schreibt Mails und telefoniert. In zwei der zwölf Ferienwochen mache sie dann aber Urlaub-Urlaub, wie Ernst das nennt. Da sei sie dann wirklich nicht zu erreichen. Und ihre Kinder scheint dieses Modell zu überzeugen: „Mein ältestes spricht heute schon davon, das Unternehmen eines Tages zu übernehmen“, sagt Ernst.

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