Food-Tech Fleisch aus Pilzen – geht das auch als Massenprodukt?

Bei der Pilzzucht im Substratblock ist das sonst unterirdische Pilzgeflecht, das Myzel, gut sichtbar. Lassen sich auch daraus Lebensmittel herstellen? Quelle: imago images

Pilzfasern aus Biotechtanks sollen der nächste Trend für nachhaltige Fleischalternativen werden. Kann das auch in Massenproduktion gelingen? Ein neuer deutscher Anbieter will es beweisen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Champignons oder Trüffel sind aus der europäischen Küche nicht wegzudenken. Ein wichtiger Teil der Pilze aber blieb bisher nahezu ungenutzt: Das verästelte Pilzgeflecht, das sich durch den Boden zieht, Myzel genannt. 

Daniel MacGowan-von Holstein und Franziskus Schnabel wollen das Pilzmyzel jetzt als Rohstoff für die Nahrungsmittelproduktion erschließen. Die beiden Gründer des Start-ups Keen 4 Greens haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie das Myzel in großen Massen züchten können – und eine Methode gefunden, um daraus Fleischalternativen herzustellen.

Damit wollen die Gründer sich ihre eigene nachhaltige Rohstoffproduktion aufbauen und sich unabhängig machen vom Wetter und dem Weltmarkt für Agrarprodukte. "Wir brauchen keine Ackerflächen“, sagt Co-Gründer Schnabel, „wir können die Pilze im Keller züchten oder mitten in der Großstadt.“

In einer Finanzierungsrunde haben die Gründer nun 1,8 Millionen Euro eingesammelt. Beteiligt sind im Rahmen des Angel Clubs better ventures neben Christoph Behn, Anne und Stefan Lemcke (Ankerkraut) auch Stephen Weich, ehemaliger Chef des Lieferdienstes Flaschenpost. Zudem sind unter anderem die Gorillas-Gründer Ugur Samut und Kagan Sumer sowie der Berliner Wagniskapitalgeber Food Labs investiert.

Noch in diesem Jahr erste Produkte 

Mit Hilfe des frischen Investments will Keen 4 Greens nun mit der Produktion erster pilzbasierter Lebensmittel loslegen. „Wir haben das Produkt, wird sind startklar – und wir kommen dieses Jahr auf den Markt“, sagt Co-Gründer MacGowan-von Holstein. 


Allein sind sie mit ihrer Idee nicht. Auch Start-ups wie Mushlabs in Berlin, MyForest Foods aus New York oder Meati Foods aus Boulder (Colorado) entwickeln Lebensmittel aus Myzel; andere Start-ups nutzen die Pilze auch für die Produktion von Baustoffen. Der Zeitpunkt ist günstig, fleischlose Food-Innovationen erleben gerade einen Boom. Burgerketten wie McDonald's nehmen immer mehr fleischlose Buletten ins Programm auf, veganes Hack oder Hähnchen-Nuggets finden in Supermärkten zunehmend Absatz

Viele der Fleischalternativen setzen auf pflanzliche Rohstoffe als Proteinquelle – vor allem Erbsenproteine. Die Nachfrage danach ist so groß, dass die Preise für die Erbsenmasse zwischenzeitlich massiv gestiegen sind. Pilzfasern erscheinen nun als interessante Alternative.

„Aus Pilzfasern lassen sich sehr schmackhafte Lebensmittel herstellen“, sagt  Josephine Wee, Assistenzprofessorin für Nahrungsmittelwissenschaften an der Pennsylvania State University, die auch mit Myzel-Zellen forscht. "Sie wachsen auf jeder Art von Substrat, sie sind wirklich nicht wählerisch.“ Die Herausforderung sei nun, den Sprung in die Massenfertigung zu schaffen.

Nach nur fünf Tagen wird geerntet 

Keen 4 Greens hat dazu einen eigenen Produktionsprozess entwickelt, mit dem Pilzmyzel in großen Massen und preiswert produzieren werden soll. Dazu setzen die Gründer auf Fermentation im Biotech-Tank – ein Prozess, der in der Lebensmittel- und Biotechnologie bewährt ist, etwa um Bier herzustellen. 

Während bei Bier Hefezellen als Werkzeug genutzt werden, um Glucose in andere Stoffe umzuwandeln, ist bei Keen 4 Greens das Pilzmyzel selbst das Endprodukt: Es wächst in einer Nährlösung unter kontrollierter Luft- und Wärmezufuhr heran. Biomasse-Fermentation nennen Experten den Vorgang.

Um die Kosten dabei zu senken, haben die Gründer eigene Biotech-Tanks entwickelt. "Wir setzen auf kleinere Behälter, die wir selbst bauen“, sagt Co-Gründer Schnabel. Aufwändige Prozesse, wie etwa die Reinigung der Tanks, sollen sich so beschleunigen lassen. "Um im Vergleich zu herkömmlichen Biorektoren zeichnen sich unsere Anlagen durch einen günstigeren Preis aus.Für das Verfahren haben die Gründer bereits ein Patent angemeldet.

„Das Myzel wächst wahnsinnig schnell“, sagt Schnabel, „nach fünf bis zehn Tagen können wir die Biomasse ernten.“ Eine erste Fabrikation soll nun an einem Standort in der Lüneburger Heide entstehen. "Wir gehen davon aus, dass wir schnell industriell skalieren können“, sagt Schnabel.

Für PennState-Wissenschaftlerin Wee ist die Industrialisierung der entscheidende Schritt. „Die Infrastruktur für die Biomasse-Fermentation muss massiv ausgebaut werden, damit die Kosten sinken“, sagt sie. „Außerdem gibt es vielerorts nicht genug qualifiziertes Personal, das die Anlagen bedienen kann.“

Myzel wächst auch im Dunkeln

Wenn sie diesen schwierigen Schritt schaffen, könnten die Gründer ein Lebensmittel gefunden haben, das deutlich nachhaltiger als Fleisch oder Weizen ist. „Pilze brauchen kaum Wasser zum Wachsen, das macht sie für die Lebensmittelproduktion sehr attraktiv“, sagt Myzel-Forscherin Wee. „Sie wachsen auch auf Nährstoffen, die bisher auf dem Abfall landen“, sagt Wee. „Sie könnten damit eine wichtige Rolle in einer Kreislaufwirtschaft spielen.“

Als Nährstoffe für seine Pilze wird Keen 4 Greens etwa Kartoffelschalen und andere Nebenprodukte aus der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie verwenden. „Wir wollen möglichst keine Abfälle produzieren“, sagt MacGowan-von Holstein. Energie sollen ein Biogas-Kraftwerk und eine Fotovoltaik-Anlage liefern.


Wenn das Myzel einmal geerntet ist, will das Team daraus Lebensmittel fertigen. Heute schon verkauft Keen 4 Greens weizenbasierte Burger-Patties und Chicken Nuggets bei Edeka Nord und in Filialen der Burger-Kette „Otto's Burger“. Statt Weizen oder Erbsen sollen bald Pilzfasern die Grundlage der Fleischalternativen bilden. 

Dank ihrer Umami-Geschmacksnote sollen die Pilze eine gute Zutat bilden, um den Fleischgeschmack zu imitieren – ohne die Bitternoten, die bei zu hohem Erbsenanteil herausstechen. Auch ganz neue Lebensmittel wollen die Gründer entwickeln. "Wir glauben fest daran, dass wir texturierte, sich im Mund gut anfühlende Produkte entwickeln können“, sagt Schnabel.

Sind Pilze nächste Superfood?

Die sollen auch gesund sein. "Das Pilzmyzel ist eine Art Superfood“, sagt Schnabel. „Wir züchten Myzel eines Basidiomyceten, das ist in unserem Fall ein Speisepilz mit besonders guten ernährungsphysiologischen Eigenschaften.“ Er soll viele Ballaststoffe enthalten, alle acht für den Menschen essentiellen Aminosäuren und Spurenelemente. Dank eines speziellen Extrusions-Verfahrens sollen die Produkte auch ohne Bindemittel auskommen.

Argumente, die auch herkömmliche Fleischesser überzeugen sollen, die veganen Alternativen zu probieren. Hier sieht Forscherin Wee noch eine der größeren Hürden für die neuen Lebensmittel. „Ein gut schmeckendes Lebensmittel zu entwickeln, ist nicht alles“, sagt Wee. „Essen ist auch Kultur, Tradition, Identität." 

Es dürfte noch Überzeugungsarbeit brauchen, damit Konsumenten zu den Food-Innovationen greifen. Darüber hinaus mangele es an politischem Rückenwind: „Es gibt keine Anreize für Verbraucher, pflanzenbasierte Lebensmittel zu kaufen“, sagt Wee. „Regierungen haben etwa Bio-Treibstoffe jahrelang mit viel Geld unterstützt – bei Lebensmitteln fehlt dieser Rückhalt.“

Bioreaktoren mitten in der Stadt

Immerhin gibt es einige Vorreiterstaaten. "Die Golf-Staaten investieren massiv in Indoor-Farming“, sagt Gründer MacGowan-von Holstein, „und Singapur will bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent seiner Lebensmittel lokal produzieren.“ Märkte, in die Keen 4 Greens mit seiner Pilzfabrikation möglicherweise expandieren könnte.

Dass eine solche dezentrale Lebensmittelproduktion Zukunft hat, etwa mit Bioreaktoren mitten in der Stadt, glaubt auch Forscherin Wee. „Statt langer Lieferketten wird es künftig mehr regionale Hubs geben, in denen Lebensmittel vor Ort produziert werden. Biomasse-Fermentation etwa mit Pilzen kann so auch die Lebensmittelversorgung krisenfester machen.“

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier


„Eigentlich haben wir auch keine andere Wahl – limitierte Ackerflächen, Dürren, die Klimaproblematik zwingen uns dazu, unsere Lebensmittelproduktion zu verändern“, sagt MacGowan-von Holstein. Co-Gründer Schnabel ergänzt: „Mikroorganismen als Fabrikationsanlagen werden eine große Bedeutung gewinnen – wir kratzen gerade erst an der Oberfläche.“ Eine Kostprobe davon sollen die ersten Verbraucher bald bekommen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%