Gründer Elon Musk wäre in Berlin oder Bayern längst pleite

Elon Musks vermeintliche Soloshow pusht der amerikanische Staat im Hintergrund mit Milliarden. Quelle: REUTERS

Zu oft scheitern Innovationen an mangelnder Finanzierung. Wo andere Staaten Start-ups den entscheidenden Schub geben, lässt Deutschland seine Hightech-Elite im Regen stehen – weil der Markt versagt, ist jetzt der Staat gefragt. Ein Gastbeitrag.

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Hätte Elon Musk in Berlin oder Bayern gegründet, wäre er längst pleite. Jede Wette: Dem bestaunten Pionier wäre im deutschen Innovationssystem schnell die Luft ausgegangen. Die USA hingegen stützen seine privatwirtschaftlichen Wagnisse, sei es mit Tesla oder SpaceX, so massiv mit Steuergeldern, dass der Kalifornier heute als Vorzeigeinnovator die Welt verändern kann. Elon Musks vermeintliche Soloshow pusht der amerikanische Staat im Hintergrund mit Milliarden.

In Deutschland klafft dagegen im Finanzierungskreislauf eine gefährliche Lücke – genau dort, wo es spannend wird. Das deutsche Venture-Capital-System versagt in der Spätphase, wenn Start-ups für ihren Durchbruch Kapitalspritzen in zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe benötigen. In nur noch drei Prozent aller Finanzierungsrunden geht es hierzulande um 50 Millionen Euro oder mehr. Bei neun von zehn dieser Wachstumsfinanzierungen stammen die federführenden Investoren („Lead Investors“) aus dem Ausland, wie EY-Zahlen belegen.

Volkswirtschaftlich ist diese Ignoranz töricht: Wenn Mehrheitsanteile der hier gewachsenen Zukunftsideen in Richtung USA, China oder Saudi-Arabien abwandern, kann Deutschland nicht nur seinen Tüftlern hinterherwinken, sondern auch dem versenkten Kapital. Schließlich wurden diese Unternehmen in der Frühphase noch vorbildlich vom Staat gepäppelt, etwa über den hochfunktionalen Hightechgründerfonds der KfW. Je robuster das Start-up, desto größer wird sein Geldbedarf, um das Schwungrad bis zur Reife zu drehen. Doch in diesem Prozess zeigt sich Deutschlands Venture-Capital(VC)-Markt äußerst kurzatmig: Großbritannien erreichte – gemessen an der Wirtschaftskraft – um den Faktor 2,7 größere VC-Deals, China ist mehr als vierfach so aktiv, die USA sogar über fünfmal so stark, was Wagnisfinanzierung angeht.

von Dominik Reintjes, Thomas Stölzel

In der Wachstumsphase klemmt der Finanzierungskreislauf, spätestens für ihren Exit blicken die meisten deutschen Gründer an die Wall Street. Noch immer sitzt den Deutschen der Zusammenbruch des Neuen Marktes in den Knochen – das Scheitern des überhitzten Technologiesegments hemmt auch 20 Jahre danach die Entwicklung. Faktisch ist die Börse als Exitkanal in Deutschland verbaut. Ein neuer „Neuer Markt“ ist überfällig, am besten gegründet mit den umtriebigen Skandinaviern und Franzosen.

Zunächst aber müssen wir die Spätphasenfinanzierung deutscher Start-ups regeln. Wir können das Gute mit dem Nützlichen verbinden, indem wir eine völlig neue Anlageklasse schaffen, die den Finanzierungskreislauf für Innovatoren anschiebt. Das heute existierende Marktversagen in der Wagnisfinanzierung ist doppelt ärgerlich, weil es ja an verfügbarem Kapital nicht mangelt. Mehrere Billionen Euro bunkern die Anlagegesellschaften der Versicherer und Banken maximal mündelsicher, aber auch maximal tot.

Anstatt das Geld versauern zu lassen, sollten die Regeln so geändert werden, dass das Vermögen zu einem geringen Prozentsatz in die neue Anlageklasse fließen kann. Kapital, das mitunter sogar Negativzinsen einspielt, betriebe plötzlich Wertschöpfung. Immense Summen kämen so zusammen: Rund acht Billionen Euro werden über alle Anlageformen jedes Jahr angelegt. Nur 1,25 Prozent würden also genügen, um 100 Milliarden Euro zusammenzubekommen, die in die Finanzierung neuer Unternehmen und Industrien fließen könnten.

Das geeignete Vehikel wäre ein staatlicher Spätphasenfond. Da die Wachstumsfinanzierung von Unternehmen, die gezeigt haben, dass sie erfolgreich im Markt agieren können, in der Regel profitabel ist, wäre das Risiko gering. Alle, die eine private Rentenversicherung oder Direktversicherung abschließen, sollten die Wahlmöglichkeit bekommen, mit ihren Renteneinlagen Zukunftsthemen zu fördern. Das investierte Kapital ließe sich über Garantien des Bundes absichern, damit sich Sparer im Zweifel nicht verschlechtern. Über ordentliche Renditen kann der Staatsfonds auch die Alterssicherung stabilisieren. Dem Risiko der Abwanderung von Talent und Know-how wird dadurch wirksam begegnet, was industriepolitisch und arbeitsmarkttechnisch Sinn ergibt.

Die Bundesregierung legt noch in dieser Legislaturperiode einen „Zukunftsfonds“ auf, der zehn Milliarden Euro schwer sein soll. Ein guter Auftakt, der vor allem Firmen in der mittleren Finanzierungsphase helfen wird. Wenn der Staat als Leuchtturminvestor seine Mittel an VC-Fonds gibt, werben diese mit dem Staat als guter Referenz weitere private Gelder ein.

Noch bleibt Zeit, wichtige Spielregeln an die Mittelvergabe der Zukunftsfonds zu knüpfen. Wenn der deutsche Staat als Investor in Erscheinung tritt, sollte der spätere Verkauf von Mehrheitsanteilen der Firma an Investoren außerhalb Europas ausgeschlossen werden. Weiter liegt es nahe, die starre Renditeorientierung zu überdenken. Viel besser wäre es, man würde die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zum Maßstab für verantwortungsvolles Anlegen machen – auch im VC-Sektor.

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Mit der Bundesagentur für Sprunginnovationen identifizieren wir Projekte mit marktveränderndem Potenzial. Unsere steuerfinanzierte Arbeit ergibt nur dann Sinn, wenn sich weitere Finanzierungen anschließen, die dafür sorgen, dass die Früchte dieser Innovationen auch in Deutschland oder Europa bleiben – damit der nächste Elon Musk auch hier eine echte Chance hat.

Mehr zum Thema: Die Lebensumstände beeinflussen die Entscheidung für oder gegen ein eigenes Start-up – und erklären, warum es so wenige Gründerinnen gibt.

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