Gründer Wer hat Angst vorm bösen Betriebsrat?

Valentin Stalf ist Gründer und Chef der Berliner Onlinebank N26. Quelle: dpa

Querelen bei N26 und Flaschenpost beleben einen alten Disput: Viele Gründer wehren sich gegen eine Mitarbeitervertretung. Nicht immer ohne Grund – aber meist ohne dauerhaften Erfolg.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Seit dem vergangenen Sonntag ist der Betriebsratsvorsitzende seinen Job los. Über viele Monate hatten Mitarbeiter des Getränke-Lieferdienstes Flaschenpost versucht, eine Arbeitnehmervertretung am Standort Düsseldorf ins Leben zu rufen. Doch das schnell wachsende Unternehmen wehrte sich, berichtet Zayde Torun, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätte (NGG) in der Region. Es argumentierte, die Einladung zur vorbereitenden Betriebsversammlung im Januar habe wegen einer zu kurzen Frist und aufgrund des Schichtsystems zu wenig Mitarbeiter erreicht. Einen Eilantrag wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf Ende März in zweiter Instanz zurück, im April konnte ein elfköpfiger Betriebsrat gewählt werden.

Doch Flaschenpost gibt nicht auf – der Rechtsstreit um die Wirksamkeit der Wahl geht in neuen Verfahren vor Gericht weiter. „Das Start-up möchte ganz klar keinen Betriebsrat haben und tut alles, um zu verhindern, dass sich ein solcher etabliert“, sagt Torun. Die Gewerkschafterin wirft dem Unternehmen vor, das bereits gewählte Gremium systematisch auszutrocknen: Von ursprünglich 22 Kandidaten, darunter Schicht- und Teamleiter, seien inzwischen nur noch acht bei der Firma angestellt. Vielen sei zwischenzeitlich wegen angeblichen Fehlverhaltens gekündigt worden. Zudem seien befristete Arbeitsverträge nicht verlängert worden – wie im Fall des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden, der das Unternehmen nun vier Monate nach seiner Wahl verlassen musste. „Die Personalentscheidungen am Düsseldorfer Standort stehen in keinem Zusammenhang mit der Betriebsratswahl“, entgegnet das Start-up auf Anfrage. Von Entlassungen seien ausschließlich Führungskräfte betroffen gewesen – die Kündigungen seien in der „mehr als mangelhaften Führung des Standortes begründet.“

Während die letzten Arbeitstage des gewählten Vertreters in Düsseldorf anbrachen, kämpfte in Berlin ein anderes gefeiertes Start-up ebenfalls gegen einen Betriebsrat. Die Smartphone-Bank N26, mit viel Investorengeldern, großen Ansprüchen und zahlreichen Baustellen, wehrte sich gegen die Versuche, eine erste Wahl zu organisieren. Im Netz brach ein Sturm der Entrüstung los, einige Nutzer kündigten an, ihr Konto bei der Digitalbank aufzugeben. Ende der vergangenen Woche ruderte Gründer Valentin Stalf dann kleinlaut zurück: „Wir wollen uns für die letzten Tage entschuldigen“, hieß es in einem LinkedIn-Beitrag – natürlich unterstütze man die Idee, eine formale Arbeitnehmervertretung aufzubauen.

Widerstand gegen die Mitbestimmung

Flaschenpost und N26 sind nicht die ersten Fälle, bei denen die glitzernde Start-up-Welt mit den grauen Paragrafen des Betriebsverfassungsgesetzes kollidiert. Für Negativschlagzeilen sorgten etwa 2018 bereits der Essenslieferant Delivery Hero und zwei Jahre zuvor der Spieleentwickler Goodgame Studios.

Auch abseits der Tech-Firmen ist betriebliche Mitbestimmung oft nicht erwünscht: Eine aktuelle Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass schätzungsweise jede sechste Neugründung von Betriebsräten behindert wird. Überproportional häufig, so die Erkenntnis der Forscher, kommt es zu Blockaden in inhabergeführten Unternehmen. Die Beteiligung von Beschäftigten stoße besonders da auf Widerstand, „wo Eigentümer ihr Geschäft persönlich führen und nur eine geringe Bereitschaft zeigen, die Macht im Betrieb mit einer weiteren Instanz zu teilen.“

Das gilt auch für frisch gegründete Unternehmen. In kleinen Teams ist der Draht zum Management häufig noch direkt: Der Gründer sitzt einen Schreibtisch weiter, die Hierarchien sind flach, die Mitarbeiter wissen, wie knapp das Geld ist. Viele Start-ups setzen mit ihrem Geschäftsmodell zudem auf Disruption. Sie mischen etablierte Technologien und Geschäftsmodelle auf. Die Regeln rund um die Betriebsverfassung, die 2020 ihr 100-jähriges Jubiläum feiern, werden als verstaubt angesehen: „Wir glauben, dass es eine modernere, digitalere und weltweit inklusivere Alternative zu einem traditionellen Betriebsrat geben könnte“, schreibt N26-Gründer Stalf in seiner LinkedIn-Stellungnahme.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%