Gründerpreis Zwei Tüftler mit einer Vision

Mit einem elektronischen Handschuh will ProGlove die Arbeit revolutionieren. Die smarten Handschuhe sollen Informationen aus Maschinen auslesen oder Strom messen. Das Start-up hat damit den Neumacher-Wettbewerb gewonnen.

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Benennen Prototypen nach Expartnern: Die beiden ProGlove-Gründer Thomas Kirchner und Paul Günther. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Patrick Schuch für WirtschaftsWoche

Seine Arbeit erinnert Thomas Kirchner jeden Tag an seine Exfreundin. Schuld daran ist ein orange-grauer Handschuh, denn der heißt Katharina – genau wie Kirchners verflossene Liebe. „Wir benennen unsere Prototypen immer nach früheren Partnern“, sagt Kirchner. In seinem Start-up ProGlove gibt es daher auch zwei Handschuhe, die Mark und Ramona heißen.

Die Methode ist nicht nur ein schräger Spleen, sondern hat System. Mit dieser eigenwilligen Praxis wollen sich die Gründer immer wieder selbst daran erinnern, sich nicht zu lange auf eine Idee und einen Prototyp zu versteifen – sondern irgendwann auch loszulassen, nach vorne zu schauen und weiterzumachen. So wie vor einem Jahr bei der allerersten Version ihrer Vision eines intelligenten Handschuhs. Da klebten die Gründer einfach einen iPod auf einen Baumarkthandschuh und drehten damit ein Video. „Das konnte technisch nichts, sah aber cool aus“, sagt Kirchner.

Dell-Wettbewerb finanzierte Prototyp

Außerdem reichte es, um Intel zu überzeugen. Die Gründer qualifizierten sich mit dem Video für die Teilnahme an einem Wettbewerb des US-Speicherchipherstellers im Silicon Valley. Dort gewannen sie ein Preisgeld in Höhe von 100.000 Dollar, einen ersten Investoren – und entwickelten daraufhin einen funktionsfähigen Prototyp.

Woher Startups ihr Kapital erhalten

Ihre Idee: Statt mit zusätzlichen Geräten sollen Arbeiter einfach per Hand Informationen aus Maschinen auslesen, Temperatur oder Strom messen. Dazu integriert das Start-up verschiedene Sensoren in einen Handschuh. Ein Display zeigt die Daten an und kann direkt Feedback geben – also zum Beispiel ansagen, ob Arbeitsschritte richtig ausgeführt oder Fehler gemacht werden.

Auf diesen Einfall kamen die Gründer durch den Erfolg der Wearables – Minicomputer wie Smartwatches oder Fitnessbänder, die der Nutzer am Körper trägt. Das Duo überlegte, welche Einsatzorte es in der Industrie geben könnte. Da erinnerte sich Mitgründer Paul Günther an seine Zeit bei BMW: Er hatte als Student Besucher durchs Werk geführt und war später Doktorand bei der Konzerntochter Mini. Da fast alle Arbeiter in Fabriken Handschuhe tragen, stand der Plan schnell fest: „Wir machen den Handschuh intelligent.“

Smarter Handschuh für die Automobilbranche

Ein Jahr später ist das ProGlove-Modell bereits bei etwa einem Dutzend großer Unternehmen im Einsatz. Da es sich um Pilotprojekte handelt, darf Kirchner noch keine Namen nennen. Nur so viel verrät er: Ein Schwerpunkt ist die Autobranche. Doch schon jetzt steht fest, dass das Duo die richtige Idee hatte. Denn das Start-up gewann den neunten WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb.

Die Finalisten 2015

„ProGlove macht Industrie 4.0 anfassbar“, sagt Torsten Oelke, Internetunternehmer und Mitglied im Beirat Junge digitale Wirtschaft des Bundeswirtschaftsministers.

Wie so oft gilt: Selbst die beste Idee braucht das richtige Umfeld. Insofern haben die Gründer von ProGlove alles richtig gemacht. Die Vernetzung von Fabriken und Produktionsanlagen ist ein Wachstumsmarkt. Bis 2020 will die deutsche Industrie laut einer PwC-Studie hier jährlich 40 Milliarden Euro investieren. Nachdem das Internetgeschäft für Privatkunden von US-Konzernen wie Apple, Google oder Facebook dominiert wird, sollen deutsche Unternehmen bei der Digitalisierung der Industrieproduktion wieder eine wichtige Rolle spielen.

Ziel: Vom Hardware- zum Softwareanbieter

Politik und Wirtschaft beschreiben diese Entwicklung gern mit dem Schlagwort Industrie 4.0. Dabei geht es um mehr als vernetzte und intelligente Fabriken. So wird international auch eher vom „Internet der Dinge“ gesprochen, bei dem künftig von der Nachttischlampe über das Auto bis zu Kleidungsstücken viele Alltagsgegenstände durch Sensoren vernetzt sind. Schon im Jahr 2020 werden 50 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein, schätzt der Netzausrüster Cisco. Neben Großkonzernen wie Siemens, SAP, der Deutschen Telekom und Mittelständlern können dabei auch Start-ups eine wichtige Rolle spielen.

Das zeigen die Beispiele deutscher Gründer, die bereits international bekannt sind. So wie das Start-up Relayr, das eine Onlineplattform für Anwendungen im Internet der Dinge entwickelt hat. Zu den Nutzern gehören Coca-Cola oder die Stadt Paris. Die Berliner haben gerade eine Finanzierung von elf Millionen Dollar erhalten, Hauptinvestor ist mit Kleiner Perkins Caufield & Byers einer der bekanntesten Wagniskapitalgeber. Das Kölner Start-up Parstream hat eine Technologie zur schnellen Datenanalyse entwickelt, die beispielsweise bei Windrädern oder anderen Anlagen lokal integriert werden kann. Cisco will das Unternehmen bereits übernehmen.

Hardware und Hightechideen dominierten Wettbewerb

Auch Kirchner und Günther haben das Potenzial für großen Erfolg. „ProGlove zeigt, dass man als Start-up mit großen Unternehmen erfolgreich zusammenarbeiten kann“, sagt Michael Wieser, Investment-Manager beim High-Tech Gründerfonds (HTGF), „und das ist nicht sehr häufig.“

Baumarkthandschuh mit iPod: Der erste Prototyp von ProGlove. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Der Weg ins Finale des Neumacher-Wettbewerbs war nicht einfach. Mit mehr als 280 Start-ups gab es so viele Teilnehmer wie nie zuvor. „Die Qualität aller Unternehmen war in diesem Jahr wirklich bemerkenswert“, sagt Karen Heumann, Vorstandssprecherin der Werbeagentur thjink, die zum neunten Mal als Jurymitglied dabei war. Auch Vorjahressiegerin Anna Rojahn zeigte sich beeindruckt: „Ich bin wahnsinnig froh, dass wir im letzten und nicht in diesem Jahr dabei waren, es wäre sehr viel härter geworden.“ Viele der Start-ups hatten sich mit Hardware und Hightechideen beworben.

Vom Arbeiterkind zum Gründer

Dabei schien Thomas Kirchner nicht zum Gründer geboren. „Ich komme aus einer Stahlarbeiterfamilie im Osten und wusste früher gar nicht, dass man Unternehmen gründen kann“, sagt der 29-Jährige.

Die größten Hemmnisse für Unternehmensgründungen

Doch während seines Maschinenbau- und BWL-Studiums an der TU München lernte er auf einer Veranstaltung Paul Günther kennen. Seitdem brüteten sie ständig über Geschäftsideen und starteten einen Onlineshop für grüne Technologien. Doch jetzt konzentrieren sie sich voll auf ProGlove. Derzeit gibt es Gespräche mit potenziellen Investoren, Anfang kommenden Jahres soll die erste Version des Handschuhs regulär auf den Markt kommen.

Als Hauptanwendung haben die Münchner dabei einen Scanner integriert, mit dem Werkstücke automatisch erfasst werden können. Bevor beispielsweise ein Autositz am Band eingebaut wird, erfasst der Arbeiter den Strichcode bislang mit einem separaten Scanner. Mit dem ProGlove-Handschuh braucht er bei jedem Arbeitsschritt ein paar Sekunden weniger – und eine Fabrik spart jedes Jahr Millionen Euro.

Getestet wird der Handschuh derzeit auch an einem großen Flughafen. Dort müssen Arbeiter jeden Koffer scannen, wenn er vom Band auf die Wagen verladen wird, die ihn zum Flugzeug transportieren. Das Flughafenpersonal hat daher einen Scanner in der einen Hand und wuchtet die Gepäckstücke mit der anderen auf den Wagen. Das geht auf Arm und Rücken. Mit dem ProGlove-Handschuh können die Arbeiter scannen und beide Hände benutzen. Der intelligente Handschuh kann einerseits die Arbeit erleichtern, andererseits können seine Träger damit stärker kontrolliert werden. „Wenn wir mit Gewerkschaftern sprechen, sehen die unser Produkt immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Kirchner. Allerdings sollen Datenschutzregeln und andere Bestimmungen Missbrauch vorbeugen.

Solche Fragen dürften sich umso häufiger stellen, je erfolgreicher die Handschuhe werden. Denn perspektivisch soll die Analyse der generierten Daten das Hauptgeschäftsfeld werden. „Wir starten als Hardwareunternehmen und wollen zum Softwareanbieter werden“, sagt Kirchner.

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