Gründungsstandort Deutschland Mehr Deep-Tech-Gründer braucht das Land!

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Technologie-Start-ups sind für die wirtschaftliche Zukunft essenziell – doch es gibt in Deutschland viel zu wenige. Damit sich das ändert, müssten sich vor allem Universitäten, Konzerne und Familienunternehmen stärker engagieren. Ein Gastkommentar.

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Harald Zapp ist CEO und Gründer der Next Big Thing AG. Martin Schilling ist Angel Investor und Autor des Buchs „The Builder’s Guide to The Tech Galaxy“.

Zunächst zur Bestandsaufnahme: Potenzielle Firmengründer bleiben in Deutschland noch oft im goldenen Käfig von Unis und Großunternehmen gefangen. Offenbar ziehen viele Talente die Sicherheit eines festen Jobs der Freiheit einer eigenen Firmengründung vor.

Im Deep-Tech-Umfeld ist diese Gründungsscheu besonders evident – und folgenschwer: Im Bereich Deep Tech stammen von global rund 280 Unicorns, also Start-ups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar, gerade einmal zehn Prozent aus Europa. Innovationen rund um Quanten-Computing, Internet der Dinge, Blockchain, KI und Cyber-Security entstehen heute anderswo – hauptsächlich in Amerika und Asien. Damit überlassen wir die Entwicklung disruptiver Technologien und den Aufbau einer neuen Industrie de facto den ohnehin schon dominierenden Machtblöcken der Weltwirtschaft – das darf nicht so bleiben.

Harald Zapp ist CEO und Gründer der Next Big Thing AG. Quelle: Presse

Wir sollten uns stattdessen ein ambitioniertes Ziel setzen: Wenn wir in der nächsten Dekade mindestens 200 europäische Deep-Tech-Einhörner auf die Beine stellen, würde das zugleich hunderttausende Jobs schaffen und unsere technologische Souveränität sichern. Das aber wird nur funktionieren, wenn Wirtschaft und Politik in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam den goldenen Käfig öffnen. Den Schlüssel dazu halten Hochschulen, Konzernen und Familienbetriebe in der Hand.

Akademische Sphäre muss Gründer-Eldorado werden

Schon heute gibt es ermutigende Beispiele für universitäre Deep-Tech-Ausgründungen: So schlossen sich 2018 fünf Physiker von der TU München zum Start-up Kiutra zusammen. Seither produzieren sie magnetische Kühlsysteme für Quantencomputer. Ein Jahr später nutzte Daniel Kondermann seine Erfahrungen aus einer Denkfabrik für Bildbearbeitung an der Heidelberger Uni für die Gründung von Quality Match. Sein Ziel: Die Optimierung von KI-Anwendungen durch höhere Datensatzqualität. Das bislang wohl bedeutendste Deep-Tech-Einhorn Celonis startete vor zehn Jahren als Spinn-off der Münchner TU.

Martin Schilling ist Angel Investor und Autor des Buchs „The Builder’s Guide to The Tech Galaxy“. Quelle: Presse

Heute gilt die Firma als Weltmarktführer für Process Mining – wobei durch digitale Analyse von Geschäftsabläufen verborgenes Prozesswissen zutage tritt. Doch vereinzelte Schwalben machen noch keinen Sommer. Wir brauchen mehr Unternehmergeist in Wissenschaft und Forschung. Wie wäre es beispielsweise mit verpflichtenden Entrepreneurship-Kursen in allen MINT-Fächern? Auch ein gezieltes Anreizsystem für Lehrkräfte könnte zusätzliche Ausgründungsimpulse geben – etwa durch Anrechnung der Arbeitszeit in Aufsichtsräten oder als Start-up-Berater auf das Lehrdeputat. Dafür aber gilt es, Hochschulgesetze der Länder so schnell wie möglich zu flexibilisieren und die Start-up-bezogene Kooperation mit Bundesbehörden zu entbürokratisieren. Dass sich föderale Schranken überwinden lassen, zeigt beispielhaft das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das als Technische Universität des Landes Baden-Württemberg zugleich auch nationales Forschungszentrum unter dem Dach der Helmholtz-Gemeinschaft ist.

Europa wird zudem nur dann zu einem Deep-Tech-Gravitationszentrum, wenn es gelingt, die Reichweite hiesiger Konzerne mit dem Innovationstempo agiler Start-ups zu verbinden. Warum gilt das erfolgreiche Management einer Ausgründung nicht längst als Königsweg in den Vorstand?  Vor allem aber brauchen talentierte Köpfe in der Belegschaft ausreichend unternehmerischen Freiraum für das Engagement in solchen Corporate Ventures. Persönliche Risiken lassen sich dabei mit einer befristeten Rückkehroption in den alten Job abfedern. Wie gut gezieltes Gründungs-Coaching funktioniert, zeigt der Geschäftsinkubator von BASF: Das Programm ermöglicht rasante Innovationen ohne hierarchisches Korsett und bietet zugleich individuellen Zugriff auf relevante Konzernressourcen – etwa, wenn es um die Skalierung neu entwickelter Geschäftsmodelle geht.

Familiengeführte Mittelständler müssen ihr Potenzial ausschöpfen

Großes Potenzial in Sachen Deep-Tech-Innovationen birgt nicht zuletzt der familiengeführte Mittelstand als tragende Säule der deutschen Volkswirtschaft: Frei von Börsenzwängen laufen Familienunternehmen keinen Quartalszahlen hinterher, sondern konzentrieren sich auf langfristige Wertschöpfung. Genau dies macht sie zu idealen Gründungspartnern. Noch aber gibt es viel zu wenig Venture-Building-Projekte in diesem Segment. Eine rühmliche Ausnahme bildet hier der Traditionshersteller Vestner-Aufzüge, dessen Ausgründung Digital Spine derzeit die Fahrstuhlwartung durch intelligente Vernetzung revolutioniert. Solchen Pionieren wäre viel geholfen, wenn die künftige Bundesregierung Deep-Tech-Standards auf europäischer Ebene – etwa für das Internet der Dinge – entschlossen vorantreiben würde.

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Außerdem sollte die Politik alles dafür tun, junge motivierte Talente in Europa zu halten und die Visavergabe an hochkarätige Tech-Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland zu erleichtern. Ein wenig Hoffnung, dass wir den richtigen Weg noch finden könnten, gibt es schon jetzt: Laut einer aktuellen EY-Studie können sich heute doppelt so viele Hochschulabsolventen eine Firmengründung vorstellen als noch vor zwei Jahren.

Mehr zum Thema: Die Regierung wollte Deutschland zum führenden Forschungsstandort für künstliche Intelligenz ausbauen. Stattdessen hat sie sich im Klein-Klein verrannt – und fast fünf Milliarden Euro nicht ausgegeben.

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