Gründungsstandort Labore sollen Biotechfirmen nach Sachsen locken

Nett hier: Die Stadt Leipzig lockt mit hoher Lebensqualität, passablen Mietpreisen. An finanzstarken Investoren aber mangelt es noch. Quelle: dpa

Wie konkurriert man mit dem Gründungshotspot Berlin? Leipzig will nun gezielt Bio- und Medizintechnologie-Start-ups anziehen. Doch die Wettbewerber sind stark.

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Büros, Labore, 3D-Drucker und Behandlungszimmer für erste Patienten: Für junge Medizintechnologie-Unternehmen soll das Gelände der Alten Messe in Leipzig ein Anziehungspunkt werden. Bis Jahresende soll auf 500 Quadratmetern das Start-up-Förderprogramm „Medical Forge“ starten, so der Plan des Verbands Biosaxony, der sich als Cluster für Biotechnologie und Medizintechnik in Sachsen positioniert. „Derzeit sehen wir mehr Gründungen gerade bei digitalen Gesundheitslösungen, aber auch Künstliche Intelligenz und Robotik für den Einsatz in der Medizin stehen im Fokus“, sagt Biosaxony-Geschäftsführer André Hofmann, der schon jetzt auch junge Unternehmen auf dem sogenannten Biocity-Campus der Alten Messe betreut.

Künftig sollen dort zusätzlich acht Teams pro Jahr das Förderprogramm „Medical Forge“ durchlaufen. Ob sie selbstlernende Algorithmen entwickeln, die Ärzte bei der Diagnose unterstützen, oder an digitalen Therapiebegleitern tüfteln etwa für die Zeit nach Operationen – oder gar aufwendige Medizinprodukte entwickeln wie neue Implantate oder Katheter: Im sogenannten Accelerator erhalten sie ein Jahr lang Zugang zu teurer Laborausstattung, Tipps von Experten für die notwendigen Zertifizierungen und klinischen Tests. Denn viele der Jungfirmen sind vor dem Markteintritt auch aufgrund der strengen EU-Vorschriften auf Unterstützung mit Know-how und Kapital angewiesen.

Die Ziele des Programms sind groß, Leipzig hegt Ambitionen, sich als Start-up-Hotspot im Osten Deutschlands zu etablieren.  „Die Idee ist, Start-ups aus der Branche anzusiedeln – und damit auch die Unternehmenslandschaft hier vor Ort weiter aufzubauen“, sagt Hofmann. „Der Anspruch kommt auch aus dem Strukturwandel weg von der Braunkohle: So sollen neue Arbeitsplätze in der Region entstehen.“ 

Medtechs als Motoren

Doch es ist auch eine mühsame Arbeit an der Basis: Denn mit Medtech- und Biotech-Start-ups wirbt die Leipziger Wirtschaftsförderung um Gründer mit besonders hohen Anforderungen. Materialtests im Labor und Studien mit Klinikpatienten – die Lösungen brauchen meist Jahre bis zur Marktreife und damit auch geduldige und finanzstarke Kapitalgeber. 

von Daniel Goffart, Max Haerder, Andreas Macho, Silke Wettach

Was Gründungsteams aus dem Life-Sciences-Bereich anlocken soll: Die Nähe zu 230 etablierten Unternehmen der Branche mit gut 10.500 Beschäftigten in ganz Sachsen. „Der Freistaat hat sich in den vergangenen Jahren zu einem innovativen Medizintechnik-Standort mit hervorragenden Firmen und exzellenter Forschung entwickelt“, wirbt der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Und auch Verbandschef Hofmann glaubt, die Bedürfnisse von Gründungsteams aus der Branche genau zu treffen: „Schon jetzt gibt es in der Region viel Unterstützung für Start-ups in frühen Phasen, vor allem durch die Hochschulen“, sagt er. „Aber gerade auf den letzten Metern vor dem Markteintritt gibt es noch großen Bedarf.“ 

Langer Atem gefragt

Bei allem Optimismus ist klar: Bis zum Top-Gründungsstandort ist es noch ein sehr weiter Weg. So entstehen nur acht Prozent der Nachwuchsfirmen laut dem Deutschen Start-up-Monitor in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Einzelne erfolgreiche Gründer sind zwar in Leipzig groß geworden, so finden sich beispielsweise unter den Alumni der HHL Leipzig Graduate School of Management der Mitgründer des Hotel-Vergleichsportals Trivago, Rolf Schrömgens. Oder Hannes Wiese, Mitgründer und Finanzchef des inzwischen börsennotierten Online-Modehändlers About You. Der Stadt treu geblieben ist aber keiner von ihnen, Trivago entstand in Düsseldorf, About You in Hamburg, viele weitere gingen ins nahe Berlin. Immerhin: Mit dem Fahrradverleiher Nextbike und dem Modehändler Spreadshirt schmücken zwei verbrauchernahe Start-ups die Leipziger Gründerszene. 

Am meisten tut sich bislang rund um die Leipziger Gründungshochschule HHL. Ihr Accelerator Spinlab hat seit 2015 nach eigenen Angaben 65 Start-ups aufgezogen. Darunter auch das Drohnen-Start-up Flynex, das nach dem Programm sogar von Hamburg nach Leipzig umgezogen ist. Neben den Themen Smart City und Energie liegt ein Schwerpunkt des Spinlabs auf digitaler Gesundheit. 

So sitzt in den Räumen auch der 2018 gestartete digitale Physiotherapeut Ecovery mit knapp 20 Mitarbeitern, der aktuell um Krankenkassen als Partner für die App wirbt. Ins Team gefunden hat Mitgründer und Jurist Marcus Rehwald über die Gründerinitiative „Smile“ der Leipziger Hochschulen. Die verschiedenen Netzwerke und Programme gerade der städtischen Wirtschaftsförderung hat er als wichtigen Anstoß zur Gründung erlebt: „Man spürt, dass gerade die Stadt Leipzig große Lust auf das Thema Medizintechnik und digitale Gesundheitslösungen hat“, sagt Rehwald. Das Spinlab sei ein guter Ausgangspunkt, der wichtige Kontakte liefere etwa zu etablierten Unternehmen der Branche oder anderen Gründungsteams.

Der Standort Leipzig ist für das Ecovery-Team gesetzt. Nicht nur, weil es in der Stadt mit gut 600.000 Einwohnern verwurzelt sei, sagt Rehwald. Auch aufgrund der Anziehungskraft auf neue Teammitglieder: Zuletzt sei es sogar gelungen, Mitarbeiter von Berliner Start-ups abzuwerben. „Es gibt einige Talente aus der Region, die für den Job in die Hauptstadt gegangen sind und gerne zurückkommen wollen“, sagt der 31-Jährige. „Uns freut es, wenn wir da eine Möglichkeit bieten.“

Lokale Investoren schieben an

Was die Ecovery-Gründer allerdings umtreibt, ist die Finanzierung. „Das ist absolut machbar, aber in den ostdeutschen Bundesländern noch deutlich mühsamer als beispielsweise in Berlin“, sagt Rehwald. Dazu komme, dass Investoren selten seien, die Verständnis für die lange Entwicklungs- und Zulassungsdauer bei Medizinprodukten hätten. Um mit der Therapie-App weiter wachsen zu können und mehr Nutzer mit Knie-, Rücken- und Hüftproblemen bei der Reha zu unterstützen, bereitet die Firma derzeit eine neue Finanzierungsrunde vor.

Zuletzt konnte sich Ecovery eine sechsstellige Summe vom Inkubator Inqventures sichern, hinter dem der Softwareentwickler und IT-Berater Adesso steht. Im vergangenen Jahr investierte unter anderem der Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) in die junge Firma. Der TGFS setzt sich zum einen aus Mitteln des Freistaats Sachsen zusammen. Zum anderen stecken in dem Fonds auch Gelder der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Sachsen sowie von mehreren Sparkassen.

Wagniskapitalgeber sind ein entscheidender Faktor für aufstrebende Gründungsstandorte. Auf staatlicher Seite ist die Förderbank des Freistaates, die Sächsische Aufbaubank, ein wichtiger Anlaufpunkt. Aber auch einige wenige Investmentfonds und Venture-Capital-Gesellschaften (VCs) haben ihren Sitz in Leipzig: Darunter mit Smart Infrastructure Ventures der erste private Risikokapital-Fonds in den neuen Bundesländern. Der Wagniskapitalgeber nimmt unter anderem die Themen intelligente Städte, E-Mobilität und digitale Gesundheit in den Blick. Der Leipziger VC Monkfish Equity ist in ähnlichen Bereichen unterwegs und hat beispielsweise das Berliner Start-up Feral im Portfolio, das unter der Marke Inne ein Gerät zur Fruchtbarkeitsmessung entwickelt.

Doch nicht nur die ortsansässigen Investoren stehen auf der Habenseite: Für Leipziger Gründer wie Michael Aleithe vom Pflege-Start-up Sciendis spielen auch die noch vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten eine Rolle. So seien beispielsweise die Mieten noch nicht ganz so stark gestiegen wie in Berlin, und auch bezahlbare Büroflächen seien zu finden, sagt der 34-Jährige. „Wir finden hier auch viele junge, talentierte Menschen, die etwas bewegen wollen.“ Die Offenheit für unternehmerische Experimente sei ein großes Plus in Leipzig, so der Geschäftsführer der 2019 gegründeten Firma. Das Start-up mit 15 Mitarbeitern arbeitet an einer Smartphone-App namens Wundera, mit der Pflegekräfte den Heilungsverlauf von Wunden digital dokumentieren können. Die Idee kam Aleithe und seinem Mitgründer Philipp Skowron während der Promotion an der Universität Leipzig. Heute spüre das Team den enormen Bedarf an digitalen Lösungen für die Pflege, so Aleithe.

Hoffen auf den Gründergeist

Vorerst dürften neidische Blicke dennoch in andere Bundesländer gehen. Die bayerische Landeshauptstadt München beispielsweise sieht Biosaxony-Geschäftsführer Hofmann als Vorbild. Dort entsteht vor allem um die Technische Universität München (TUM) ein starkes Netzwerk aus jungen Medizintechnik-Herstellern wie Inveox , digitalen Therapiebegleitern wie Kaia Health oder Spezialisten für Gesundheitsdaten und klinische Studien wie Climedo Health. Doch auch Niedersachsen hat Life Sciences und die Gesundheitswirtschaft als Schlüsselmärkte für sich ausgemacht und sieht regionale Stärken zum Beispiel in der Implantat-Forschung. 

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In die Universitätsstadt Göttingen lockt ein neuer Inkubator ab 2022 speziell Start-ups aus der Biotech- und Medtech-Branche. Hinter dem Vorstoß steht der Gründer des Berliner Arzneimittel-Entwicklers Eternygen, Marco Janezic. Er will junge Biotech-Firmen über die gemeinnützige Life Science Factory fördern – insbesondere in der Zeit nach der Corona-Pandemie, wenn die Aufmerksamkeit für das Thema wieder abflachen dürfte. Denn: Auch wenn die Fördersummen im Bereich Medtech und Biotech derzeit hoch erschienen, bleibe die Frage, wie es nach dem aktuellen Hype weitergehe, so Janezic. „Wer innovative, mitunter lebensrettende Ideen hat, braucht Starthilfe in vielen Bereichen.“ Ein Mentoren-Programm gibt es in Göttingen bereits. Künftig sollen junge Firmen zudem Büros und Labore auf mehr als 3000 Quadratmetern nutzen können, ausgestattet etwa mit Zentrifugen und Kühlschränken zur Zelllagerung. Damit sich die Gründungsteams nicht langwierig mit sicherheitstechnischen und baurechtlichen Aspekten von Laboren befassen müssten, so der Geschäftsführer des Inkubators.

Angesichts der Konkurrenz wird es keine leichte Aufgabe für das sächsische Cluster Biosaxony, Medtech-Gründer von sich zu überzeugen. Bis sich das Angebot herumgesprochen hat, geht Geschäftsführer Hofmann pragmatisch vor: Der Aufruf zu Bewerbungen geht gezielt auch an Nachwuchsfirmen aus dem Ausland. Denn der Biosaxony-Chef will realistisch bleiben: „Es wird anfangs noch schwierig sein, in der Region pro Jahr acht Medtech-Start-ups mit der richtigen Reife zu finden.“

Mehr zum Thema: Start-ups schaffen nicht nur Arbeitsplätze, sie bilden auch die Gründer von morgen aus – und stärken damit die Wirtschaft gleich doppelt. Doch nicht immer läuft das ganz reibungslos.

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