Hörgeräte Audibene wirbelt den Markt für Hörgeräte auf – weltweit

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Frischer Wind in einem verkrusteten Markt

Diese neue Art der Kundenansprache ist ein Erfolg. Die Berliner stehen schon mit einer Million Interessenten in Kontakt. Der Umsatz ist in den vier Jahren seit Gründung auf voraussichtlich knapp 80 Millionen Euro dieses Jahr geschossen, weltweit beschäftigen sie inzwischen 400 Mitarbeiter. Schon rücken sie mit ihrem expansiven Wachstum – bisher haben sich die Einnahmen noch jedes Jahr weit mehr als verdoppelt – in Deutschland den Marktführern Kind und Geers auf die Pelle. Audibene der Branchenschreck.

Die Juroren um den WHU-Produktionsexperten Arnd Huchzermeier hat das Konzept so begeistert, dass sie das Unternehmen zum Sieger in der erstmals vergebenen Kategorie Start-up des Wettbewerbs um den Industrial Excellence Award (IEA) kürten. Der Preis ist Europas wichtigster Industriepreis und wird seit 1995 mit von der WirtschaftsWoche vergeben. „Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie Digitalisierung frischen Wind in einen verkrusteten Markt bringt und alte Machtverhältnisse aufbricht“, lobt Huchzermeier.

Es ist die intelligente Verknüpfung von alter analoger und neuer digitaler Welt, die das Geschäftsmodell auszeichnet. Bisher suchen Hörgeschädigte einen der 5500 Hörakustiker an Rhein und Elbe auf, wenn sie glauben, schlecht zu hören oder der Arzt ihnen ein Gerät verordnet hat. Sie wählen eines aus und die Akustiker passen es an. Obwohl sie im Durchschnitt gerade einmal 100 Kunden im Jahr haben, konnten die Handwerksspezialisten gut davon leben. Statistisch macht jedes Geschäft rund 300.000 Euro Umsatz im Jahr und bis zu 60.000 Euro Gewinn. Warum also innovieren?

Erst Audibene setzt über seine Online-Kanäle auf aktive Kundengewinnung. Das Unternehmen beschäftigt Spezialisten, die Kunden telefonisch oder per Videoschaltung beraten und ihnen geeignete Geräte unterschiedlicher Markenhersteller verkaufen. Dann vereinbaren sie für den Käufer einen Termin bei einem der 750 Hörakustiker, mit denen Audibene inzwischen zusammenarbeitet. Möglichst nah am Wohnort des Kunden natürlich. Der Hörakustiker passt das Gerät an, die Berliner zahlen ihm dafür eine Pauschale. Sie bringt ihm zusätzliche Einnahmen, ohne dass er selbst Aufwand dafür betreiben müsste. So wird das Modell für beide Seiten attraktiv.     

Und es funktioniert weltweit. Inzwischen hat das Start-up seinen Online-Verkauf auf zwölf Länder ausgeweitet, darunter Kanada, die USA, Südkorea, Japan, Indien, Thailand und Frankreich. China ist im Visier. Vietor denkt gerne groß. „Unser Ziel ist ganz klar der Weltmarkt.“

Seit im vergangenen Jahr der schwedische Finanzinvestor EQT und die Unternehmerfamilie Strüngmann Mehrheitsgesellschafter bei Audibene wurden, fehlt es nicht an Geld für den globalen Feldzug. Es verschafft den Gründern zudem den finanziellen Spielraum, auch technologisch Neuland zu betreten. Sie arbeiten an einer Lösung, mit der Hörakustiker auch aus der Ferne auf die Hörgeräte zugreifen können. „Das ermöglicht eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen den Hörakustikern und ihren Kunden und erhöht die Hörqualität“, sagt Vietor.

Bald soll es sogar möglich sein, die Geräte nach zu justieren, zum Beispiel, wenn sein Träger im Konzertsaal oder im vollen Restaurant sitzt und störende Nebengeräusche ihm den Genuss vergällen. Per Smartphone übermittelt er die akustische Situation, online wird sein Gerät besser eingestellt. „Auch für diese Innovationen“, findet WHU-Juror Huchzermeier, „verdient das Start-up den Preis“.

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