Hongkong Was Start-ups nach Hongkong zieht

Seit gut einem Jahr macht Hongkong Werbung für sich als Start-up-Standort. Bisher sind gut 700 deutsche Unternehmen dem Ruf gefolgt. Hongkong hat Gründern viel zu bieten – wenn man es sich denn leisten kann.

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Die Schönheit der Monotonie
Yick Cheong Gebäude in Quarry Bay Quarry Bay – ein Industriegebiet und Gewerbestandort im Osten Hongkongs. Hier reiht sich ein Hochhaus an das andere. Trist und grau, könnte man meinen. Doch der australische Fotograf Peter Stewart hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schönheit der symmetrischen Wolkenkratzern festzuhalten.
Yick Cheong Gebäude in Quarry Bay 2012 und 2013 reiste Peter Stewart durch Asien, um faszinierende Architektur zu entdecken. Sein Tipp, um in alltäglichen Dingen Schönes zu entdecken: Touristenattraktionen vermeiden und nach versteckten Orten suchen.
Tak Lee Gebäude in Quarry Bay24 Etagen Beton und zahlreiche Wohnparzellen verbergen sich hinter dieser schönen Fassade. „Alles was es braucht, ist ein gutes Auge, um auch in der Monotonie etwas Schönes zu entdecken“, erklärt Peter Stewart sein Projekt. „Es sind die täglichen Dinge, die wir oft übersehen.“
Oi Man Estate in Ho Man Tin, KowloonZwölf Wohnblocks und 6289 Wohnungen – das klingt erst einmal nicht ästhetisch. Für Peter Stewart liegt die Schönheit des Gebäudes jedoch gerade in der Symmetrie der endlos langen Balkonreihen, die sich im Gebäudeinneren in die Höhe schrauben.
Oi Man Estate in Ho Man Tin, KowloonDas zwölf Quadratkilometer große Kowloon – „Neun Drachen“ – hat seinen Namen von den neun Hügeln, die sich im Norden der Stadt erheben. Die Stadt gilt als chinesischer als der Rest Hongkongs und hat ein bedeutendes Geschäfts- und Einkaufszentrum.
Montane MansionInspiration für seine Fotografien bekam der Künstler von Instagram und Flickr. Oft durchkreuzte er die Stadt per Google Street View, bevor er sich auf Fototour begab. „Selbst in großen Städten braucht es nicht viel Aufwand oder Zeit, um die Orte zu finden, die man wirklich gesehen haben muss“, erzählt er.
Choi Hung Estate in Wong Tai SinDieser Gebäudeblock ist das Zuhause von 19.000 Menschen. Wong Tai Sin ist eine der größten Wohnsiedlungen in ganz Hongkong.

"Hongkong und Berlin haben vieles gemeinsam", sagte Gregory So Kam-leung im vergangenen Jahr bei seinem ersten Berlin-Besuch. Greg So, so die Kurzform, ist Handelsminister der chinesischen Sonderwirtschaftszone Hongkong. Und die wird immer stärker zum Start-up-Magnet - auch für deutsche Gründer.

Noch kann Hongkong nicht mit Berlin konkurrieren. Schließlich wird etwa alle 20 Minuten in der deutschen Hauptstadt ein Start-up gegründet. Aber die Sieben-Millionen-Einwohnerstadt in Asien holt auf. "Die Zahl der Start-ups in Hongkong ist zwischen 2014 und 2015 um 40 Prozent gestiegen", sagt Margaret Fong. Sie ist Executive Director des Hong Kong Trade Development Council. Das HKTDC ist eine halbstaatliche Non-Profit-Organisation, die sich seit 1966 für die Förderung von Hongkonger Unternehmen einsetzt. Bei einer Erhebung für die Studie "InvestHK 2015" habe man 1558 junge Unternehmen registriert. Das seien 46 Prozent oder 493 Start-ups mehr als noch im Jahr vor Sos Deutschlandbesuch.

675 dieser Start-ups sind deutsche Unternehmen, wie die jüngsten Zahlen der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Hongkong zeigen.

Soundbrenner-Mitgründer und CEO Florian Simmendinger. Quelle: Presse

Eines davon ist Soundbrenner, ein Hersteller von Wearables inklusive passender App und Plattform für Musiker. Den Hauptsitz hat das 2014 gegründete Unternehmen in Hongkong. Im Büro in Berlin werden Software und Apps programmiert. Schon drei, vier Monate nach der Gründung war für die beiden Gründer Florian Simmendinger und Julian Vogels klar: Das Unternehmen muss nach Hongkong umziehen.

"Wir sind nicht aus Marktgründen nach Hongkong gegangen, sondern wegen der Herstellung unseres Produkts: Es ist unheimlich schwierig, in Deutschland ein Start-up im Hardware-Bereich zu gründen", erzählt Simmendinger.

So sieht der deutsche Start-up-Markt aus

Denn wer nicht nur eine App anbietet, sondern tatsächlich auch etwas zum Anfassen - in diesem Fall ein tragbares Metronom - muss das Produkt auch irgendwo herstellen lassen. Und das ist für Start-ups gerade in der Anfangsphase schwierig.

"In Deutschland gibt es einfach keine Industrie, die auf Start-ups aus dem Bereich consumer electronics eingestellt ist. Die Fabriken benötigen ganz andere Mindestbestellmengen, als für ein Start-up möglich sind. Das geht schon bei der Verpackung los", sagt Simmendinger.

Florian Simmendinger hat das Start-up Soundbrenner gegründet, um Musikern den Arbeitsalltag zu erleichtern – und von einem nervigen Klickgeräusch zu befreien. Nun hat er die erste Finanzierung abgeschlossen.

Das ist in Asien einfacher, wie HKTDC-Frau Fong erzählt. "Unternehmen in Hongkong haben einen einfachen Zugang zu Produktionsstätten in Shenzhen, wo sie schnell und günstig Prototypen fertigen lassen können." Dort lässt auch Soundbrenner produzieren, zweieinhalb Stunden von Hongkong entfernt. Wenn etwas nicht stimmt, ist man schnell vor Ort.

Hinzu kommt, dass Hongkong eines der größten Logistikzentren der Welt ist. Simmendinger: "Wir können schnell und günstig in alle Welt versenden. Wir haben jetzt einen Online-Shop und liefern in 170 Länder. Wenn wir jetzt ein Paket verschicken, kostet uns das 13 Euro und das Paket ist in zwei Tagen da. Egal wo. Das ist schon klasse."

Zum Vergleich: Wer ein bis zu fünf Kilogramm schweres Paket von Deutschland nach Hongkong schicken möchte, zahlt bei DHL 43,99 Euro - und das Paket ist gut zehn Tage unterwegs.

Was für Hongkong als Standort spricht

Soundbrenner gehört zu den typischen ausländischen Unternehmen, die sich in Hongkong niederlassen, wie Fong vom HKTDC sagt. „Die meisten ausländischen Unternehmen kommen aus den Branchen Computer und Technologie, Hardware, E-Commerce und Supply-Chain-Management. Das sind die Top vier.“

Simmendinger weiß, dass sein Unternehmen kein Sonderfall ist: „Hardware-Start-ups gehen eigentlich alle nach Asien - wegen der Produktion. Und das hat nicht nur etwas mit den Kosten zu tun, obwohl die tatsächlich geringer sind.“

Die Nähe zählt

Es sei tatsächlich die Nähe zur Fabrik, die entscheide. Er kenne viele Beispiele junger Gründer, die nur via Skype, Telefon oder E-Mail mit dem Partner in Asien Kontakt hatten - und nachher über das fertige Produkt entsetzt waren. Verständigungsprobleme oder fiese Absichten des produzierenden Betriebes sorgten letztlich dafür, dass das fertige Produkt nach drei Tagen auseinanderfiel.

Die wichtigsten Fakten zu Crowdfunding

Die Alternative sei, selbst einen Prototypen zusammenzubauen und dann per Crowdfunding die Massenproduktion zu finanzieren. Doch auch das gehe oft schief, wie Simmendinger sagt. „Wir haben uns all diese schlechten Beispiele angeschaut und überlegt, wie wir es besser machen können.“

Da lag ein Unternehmenssitz in Asien nahe, die Entscheidung fiel auf Hongkong. Was im Übrigen kein rein deutsches Start-up-Phänomen ist. So hat beispielsweise das auf globalen Geldtransfer spezialisierte Fintech DollarSmart Global seinen Hauptsitz mittlerweile in Hongkong, weil dort das entsprechende Finanz-Netzwerk existiert und sich der asiatische Markt von dort aus besser erschließen lässt, als aus dem heimischen Australien.

Der Wirtschaftsstandort Hongkong in Zahlen

Gleiches gilt für Soundbrenner: Größter Absatzmarkt seien die USA, aber schon auf Platz zwei und drei folgen Japan und China, wie Simmendinger erzählt. Da bietet es sich an, sich zumindest auf dem gleichen Kontinent anzusiedeln.

Gründerfreundliche Umgebung und staatliche Förderung

„Start-ups profitieren hier von der Infrastruktur und dem Ökosystem: Die Regierung ist sehr gründerfreundlich, es ist sehr viel Venture-Capital in Hongkong verfügbar. Es gibt viele Business Angels und Investoren, die Steuern sind niedrig und jeden Tag findet ein anderes Netzwerk-Event für Gründer statt“, sagt Fong. Hinzu kommt eine umfangreiche staatliche Förderung, um die sich Gründer bewerben können. „Zusätzlich legt die Regierung einen neuen Innovation-&-Technologie-Venture-Fonds auf, der in passende Start-ups investieren soll“, so Fong. Der Fonds soll ab Anfang des Jahres 2017 in Start-ups investieren, vorgesehen ist ein Volumen von zwei Milliarden Hongkong-Dollar (rund 2,3 Milliarden Euro).

Das zieht vor allem ausländische Gründer an. Nur rund die Hälfte der in Hongkong ansässigen Start-ups wurden von Einheimischen gegründet. Zum Vergleich: In Deutschland sind 90 Prozent der Start-up-Gründer Deutsche. „43 Prozent der Unternehmen kommen aus dem Ausland und die restlichen sieben Prozent sind Gründer aus Hongkong, die im Ausland gelebt haben und nach Hongkong zurückkommen“, so Fong. Die meisten Start-ups stammen aus Großbritannien, Frankreich und Israel, aber auch der Anteil an deutschen Unternehmen wachse.

Zukunftsmarkt für Fin- und Greentech

Das werde auch in Zukunft so bleiben, ist Fong überzeugt. Der Ausbau von Infrastruktur, Technik, Management-Expertise, Netzwerken und finanzieller Unterstützung mache Hongkong ihrer Ansicht nach in Zukunft noch attraktiver.

Sie ist sich sicher, dass besonders Gründer aus dem Fintech-Bereich wie DollarSmart Global sich in Hongkong niederlassen werden. „Der Bedarf an Finanzdienstleistungen in Hongkong und Asien ist groß: Wir sind ein Finanzzentrum und der Bedarf der Vermögenden aus der Region nach innovativen Vermögensverwaltungslösungen ist groß“, sagt sie.

Immer mehr reiche Asiaten

Das bestätigt auch der Allianz Global Wealth-Report aus dem Jahr 2015. Auf dem asiatischen Kontinent ist das Netto-Geldvermögen zwischen 2014 und 2015 um 18,2 Prozent gestiegen. Auf Asien entfielen im vergangenen Jahr also gut 16 Prozent des globalen Geldvermögens - und zwar sowohl in der Brutto- als auch der Nettobetrachtung. Das heißt: Immer mehr Millionäre und Milliardäre sind Asiaten. Und die wollen ihr Geld anlegen. "Wegen des steigenden Vermögens der vorwiegend jungen Bevölkerung in Asian, ist Hongkong gerade für Fintechs ein sehr attraktiver Standort", sagt Fong.

Länder mit dem größten Privatvermögen 2015

Außerdem ist Fong überzeugt, dass Hongkong in Zukunft ein guter Standort für junge Unternehmen aus dem Bereich Greentech sein wird. "In Zukunft dürften sich deutlich mehr Start-ups aus dem Greentech-Markt hier ansiedeln: Gerade in Asien ist der Bedarf nach nachhaltigen Städten enorm, weswegen hier ein entsprechender Markt ganz natürlich entstehen wird."

Fachkräftesuche gestaltet sich schwierig

Allerdings müssen sich Start-ups klar sein, dass auch Hongkong Nachteile hat. Soundbrenner beispielsweise hat sein Berliner Büro nicht aus nostalgischen oder patriotischen Gründen behalten. "In Hongkong findet man kaum Entwickler und in Berlin gibt's die wie Sand am Meer", sagt Simmendinger. Also sitzen die Software- und App-Entwickler unter der Leitung von Mitgründer Vogels in Berlin. Insgesamt sei das Thema Recruiting und Fachkräfte in Hongkong allgemein eher schwierig, wie Simmendinger sagt. Das HKTDC lobt zwar die vielen gutausgebildeten jungen Fachkräfte, doch der Talentpool sei eher überschaubar, wie Simmendinger erzählt.

Außerdem ist Hongkong kostspielig. Laut dem Live-Work-Index des internationalen Immobiliendienstleisters Savills gehört Hongkong bei den Quadratmeterpreisen zu den zehn teuersten Standorten für Unternehmen. Im Dezember 2014 zahlten die befragten Unternehmen in Hongkong im Schnitt 113.019 Dollar an Miete für Bürofläche und Wohnung. 2008 waren es nur 2,8 Prozent weniger.

So kommen Start-ups in Hongkong an Investoren

"Es ist eine extrem teure Stadt: Meine Wohnung, ein Studio-Appartement, ist nur eine Kategorie oberhalb einer totalen Katastrophe, kostet aber trotzdem 1500 Euro im Monat. Und so ist es auch bei Lebensmitteln und allem anderen", erzählt Simmendinger.

Selbst Margaret Fong räumt ein: "Ich muss zugeben, dass die Lebenshaltungskosten in Hongkong nicht gering sind." Doch das sähen viele Gründer als Opportunitätskosten zu den ansonsten guten Bedingungen: "Sie können hier binnen einer Woche ein Unternehmen gründen. In Europa warten sie mitunter Monate auf eine Erlaubnis oder irgendwelche Dokumente."

Simmendinger gibt ihr da prinzipiell Recht. Auch der Steuersatz sei ein dickes Plus. Aber: "Die Steuern sind sehr niedrig, aber als wir in Hongkong angefangen und noch nichts verdient haben, hat uns das natürlich nicht geholfen. Da sind die hohen Kosten eine große Belastung."

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