Hurra verboten! Deutsche Start-ups wollen vom Einwegplastik-Verbot profitieren

Bald verboten: Einwegbesteck aus Kunststoff. Quelle: dpa

Anfang Juli tritt das europaweite Verbot von Einwegplastik in Kraft – und eröffnet Start-ups enorme Chance. Aber kann es ihnen gelingen, skeptische Gastronomen von den Vorzügen ihres To-Go-Geschirrs zu überzeugen?

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Die Geschichte von Wisefood begann mit einem Super-GAU. Im Herbst 2018 durfte Gründer Philipp Silbernagel sein Produkt in der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ vorstellen. Eine einmalige Chance für das junge Start-up – schließlich saßen ihm nicht nur fünf investitionsfreudige Löwen gegenüber, sondern auch Millionen Zuschauer vor den Fernsehbildschirmen.

Doch der Abend endete im Desaster. Die essbaren Trinkhalme, die Silbernagel im Gepäck hatte, kamen bei den Löwen gar nicht gut an. Nicht nur, dass sie das angebotene Trinkwasser verfärbten, auch der Geschmack erntete Kritik. Als „gruselig“, empfand ihn Carsten Maschmeyer und Frank Thelen bemängelte zudem den „komischen Geruch“.

Zweieinhalb Jahre später ist aus Wisefood ein erfolgreiches Unternehmen geworden. Die so heftig kritisierten Trinkhalme lagen als Aktionsartikel in den rund 4200 Filialen der Discounterketten Aldi. Hotelketten wie Mercure und IBIS sind Abnehmer des Start-ups, das mittlerweile auch essbare Löffel, Becher und Rührstäbchen herstellt.

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von Kristin Rau

„Wir haben unsere Niederlage als Ansporn genommen, uns weiterzuentwickeln und am Geschmack und der Haltbarkeit des Produkts zu arbeiten“, erzählt Philipp Silbernagel. Dass er und seine Mitgründer Patricia Titz und Maximilian Lemke nicht aufgegeben haben, lag auch daran, dass sich bald nach der Niederlage im Fernsehen bereits Hoffnung abzeichnete. Und zwar in Form eines neuen Gesetzes, das einen Umbruch des Marktes versprach - und somit eine riesige Chance für Start-ups, die sich dem Endes Plastikmülls widmeten.

Klimaschädliche Abgase und Plastikmüll

Wenn nun am 3. Juli in ganz Europa das Verbot von Einwegplastik in Kraft tritt, dürfen Produkte wie To-Go-Becher, Trinkhalme, Rührstäbchen oder Einweg-Geschirr nicht mehr produziert und in den Handel gebracht werden. Eine Maßnahme, auf die Umweltschützer schon lange gewartet haben, denn der Verbrauch von Plastikprodukten war in den vergangenen Jahren besorgniserregend gestiegen: Laut Deutscher Umwelthilfe werden stündlich rund 320.000 Einwegbecher für heiße Getränke in Deutschland verbraucht. Pro Jahr sind das rund 2,8 Milliarden Becher.

Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm: Alleine für die Herstellung der jährlich in Deutschland verbrauchten Coffee-to-go–Becher werden rund 48.000 Tonnen des schädlichen Kohlendioxids in die Luft gepustet. Rund 85 Prozent des Meeresmülls besteht aus Kunststoffen, die für den Tod vieler Meereslebewesen verantwortlich seien, schreibt die Bundesregierung in einem Bericht  – und geht angesichts dieser Zahlen noch einen Schritt weiter: Ab 2023 werden Caterer, Lieferdienste und Restaurants verpflichtet, Mehrwegbehälter für Essen und Getränke zum Mitnehmen anzubieten.

Strafzins bei Verlust

Damit eröffnet sich für Start-ups ein ganz neuer Markt. Und Matthias Potthast will nicht mehr lange warten, um ihn zu erobern. Ginge es nach dem Münchner, würden bereits jetzt alle Gastronomen ihr Angebot umstellen. Anfang des vergangenen Jahres hat er gemeinsam mit seinen Co-Gründern Gregor Kolb und Aaron Sperl eine Mehrweglösung für To-Go-Essen und Trinken entwickelt. Sein Start-up Relevo bietet die Möglichkeit, das Geschirr kostenlos mitzunehmen und innerhalb von 14 Tagen in einem der Partnerrestaurants wieder zurückzugeben. „Dazu müssen sie nur vorab den QR-Code auf dem Geschirr scannen und den Mitarbeitern ihre Bestätigung vorzeigen, damit wir wissen, wo das Geschirr aktuell steckt“, erzählt Potthast. Versäumt man die Rückgabe oder verliert das Geschirr, fallen fünf bis zehn Euro an. Die regulären Kosten für das Geschirr tragen die Restaurants, die an Relevo 20 Cent pro Nutzung zahlen. Einen ähnlichen Service bietet das Start-up Vytal.

Während viele Start-ups unter dem Ausbruch der Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown gelitten haben, verlieh die Schließung der Gastronomie diesen jungen Unternehmen einen regelrechten Schub. Bei Relevo etwa stieg die Anzahl der Partnerrestaurants von 100 auf 400 an. Das Team ist von drei auf 35 Mitarbeiter gewachsen. Mittlerweile ist das Unternehmen in mehr als 50 Städten aktiv, vor allem in Metropolen wie Hamburg und Berlin, weil dort die Dichte an Restaurants und Cafés den Einsatz des Mehrwegsystems einfacher macht.

Doch längst nicht alle Restaurants sind bereit, die Idee mitzutragen. „Man merkt, dass die Umsetzung des Gesetzes erst in zwei Jahren verpflichtend ist. Da brauchen die Gastronomen natürlich erst einmal ihren Bestand auf – der  Schutz der Umwelt tritt da hinter wirtschaftlichen Erwägungen zurück.“ Dabei sei der Einsatz des Mehrwegggeschirrs für die Gastronomen sogar günstiger, sagt Potthast. „Außerdem wirkt Relevo wie ein Kundenbindungsprogramm, denn viele geben das Geschirr dort zurück, wo sie es auch geholt haben – und schauen gleichzeitig in die Karte, was es an diesem Tag Neues gibt.“

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Deshalb ist Matthias Potthast zuversichtlich. Auf lange Sicht, sagt er, sei das Potential riesig. Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland fast 72.000 Restaurants, rund 3.400 Imbissstuben und etwa 11.700 Cafés. Sie alle werden in den kommenden Monaten auf die umweltfreundliche Variante umstellen müssen. Ein absoluter Wachstumsmarkt, findet auch der frühere Telegate-Vorstandsvorsitzende Andreas Albath. Zusammen mit anderen Privat-Investoren und Delivery Hero ist er im März 2020 bei Wisefood eingestiegen: „Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt bei den Konsumenten immer mehr an Bedeutung.“

Philipp Silbernagel und seine Mitgründer hatten die richtige Idee zur richtigen Zeit, findet der Investor. Daran änderte letztlich auch ein misslungener Fernsehauftritt nichts.

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