Inkubatoren als PR-Show Warum Konzerne als Gründungshelfer oft scheitern

Viele Konzerne betreiben mittlerweile eigene Firmenbrutkästen. Doch was theoretisch gut klingt, leidet in der Praxis oft unter unlösbaren Interessenkonflikten.

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Viele Konzerne betreiben mittlerweile eigene Firmenbrutkästen. Quelle: Getty Images

Rappelvoll war es auf dem Campus des Düsseldorfer Handelsriesen Metro (Kaufhof, Real), als Vorstandschef Olaf Koch die Geschäftszahlen für das zurückliegende Quartal präsentierte. Aber der Rummel galt auch einer abwesenden Person: David Cohen, Gründer und Managing Partner von Techstars.

Das Unternehmen mit Sitz in Bolden im US-Staat Colorado gilt als eine der erfolgreichsten Aufzuchtanstalten für Gründer. Seit 2006 hat es mehr als 400 Start-ups großgezogen, von denen 80 Prozent noch aktiv sind.

Diese Expertise soll der 46-jährige Cohen nun in ein neues Gemeinschaftsunternehmen namens Techstars Metro Accelerator einbringen. „Es ist eine logische Konsequenz“, so Metro-Chef Koch, „dass wir erstmals eine Plattform bieten, die High-Tech-Start-ups aus aller Welt mit der Gastronomie zusammenbringt.“

Woher Startups ihr Kapital erhalten

Schade nur, dass Koch mit der Ankündigung Mitte Februar reichlich spät kam, womöglich sogar zu spät. Denn mit dem Boom der Start-up-Szene sind in Deutschland längst zahlreiche solche Inkubatoren oder Akzeleratoren entstanden, die Gründern – meist aus der Digitalwirtschaft – beim Start des Geschäfts helfen. Viele Konzerne schmücken sich inzwischen mit eigenen Inkubatoren. Ob Allianz, Commerzbank, Deutsche Telekom, Lufthansa, Ergo, Bayer oder Deutsche Bahn – praktisch jedes hiesige Großunternehmen präsentiert stolz seinen eigenen Gründerbrutkasten.

Doch die Hoffnung, die sie damit verbinden, erweist sich mittlerweile häufig als überzogen. Erste Rückzüge, Notverkäufe und Pleiten sorgen für Ernüchterung. Viele Unternehmen haben ihre Brutkästen zu schnell hochgezogen, bei der Auswahl der zu fördernden Start-ups nicht ganz so genau hingeschaut – und müssen Konsequenzen ziehen, weil die Verluste zu hoch werden. Prominentestes Beispiel ist Epic Companies, der Inkubator von ProSiebenSat.1. Im Herbst 2014, nur eineinhalb Jahre nach dem Start, machte die TV-Sendergruppe den Brutkasten dicht.

Auf der Jagd nach dem Einhorn

„Dem werden weitere Schließungen folgen“, prognostiziert Fred Destin vom Risikokapitalgeber Accel Partners mit Sitz in London. „Es kann schlicht nicht funktionieren“, sagt der Brite, „wenn sich jeder Großkonzern seinen eigenen Accelerator anflanscht.“

Zwar sei das Start-up-Engagement der Konzerne grundsätzlich zu begrüßen. „Für viele ist der Accelerator aber eine reine PR-Show“, klagt der Tech-Banker Andreas Thümmler, Managing Partner bei Acxit Capital Partners in Frankfurt

Die harsche Kritik nährt grundsätzliche Zweifel, ob Inkubatoren unter dem Dach von Konzernen überhaupt funktionieren können. Denn klassischerweise haben die Brutkästen nur einen Sinn: die Jagd nach dem Einhorn. So heißen Start-ups, aus denen sich im Laufe der Jahre Unternehmen entwickeln lassen, die eine Milliarde Dollar und mehr wert sind.

Großes Vorbild ist Y Combinator im kalifornischen Mountain View. Der 2005 gegründete Inkubator versorgt Start-ups bis zu drei Jahre lang mit Geld und Wissen – und verschafft den Gründern Zugang zu ihresgleichen, Mentoren und Kapitalgebern. Y Combinator gibt Jungunternehmern eine anfängliche Kapitalspritze – in der Regel 120 000 Dollar, und erhält dafür einen Unternehmensanteil von sieben Prozent.

Früher Zugriff auf Ideen

Weit mehr als 700 Gründer hat Y Combinator in der vergangenen Dekade unterstützt und sie teilweise zu weltberühmten Unternehmen gemacht, darunter die Zimmervermittlung AirBnB und der Internet-Speicherdienst Dropbox. Laut Y-Combinator-Chef Sam Altman lag der Wert aller Beteiligungen im Juli 2014 bei mehr als 30 Milliarden Dollar, die Firmen im Inkubator haben insgesamt drei Milliarden Dollar Risikokapital eingesammelt. Eine vergleichbare Start-up-Schmiede in Deutschland haben nur die Samwer-Brüder mit Rocket Internet in Berlin hochgezogen.

Die Konzerne hierzulande dagegen gehen nur auf den ersten Blick ähnlich vor, wenn sie Start-ups unterstützen. Zwar stellen auch sie erfahrene Betreuungsteams, die Infrastruktur samt Büros und IT-Ausstattung sowie eine Anschubfinanzierung bereit und erhalten dafür eine Beteiligung an den Start-ups.

Deutsche Inkubatoren für Startups

Allerdings verbinden sie damit andere Ziele als unabhängige Inkubatoren wie Y Combinator oder die Samwers. Denn Konzerne wollen mithilfe der Brutkästen in erster Linie frühzeitig Zugriff auf neue Ideen erhalten und so an Innovationen gelangen, ohne diese mühsam intern entwickeln oder später teuer einkaufen zu müssen.

Dafür eignen sich Inkubatoren aber allenfalls begrenzt. Denn die großen Vorbilder wie Y Combinator arbeiteten nach dem Prinzip „Spray & Pray“, sagt Thümmler. Anders formuliert: Sie verteilen Geld per Gießkannen an eine Vielzahl von Gründern. Zwar kämen die meisten davon überhaupt nie hoch. Es reiche aber ein „einziges Einhorn“, um die „Performance des gesamten Portfolios herauszureißen“.

Geld verteilen und Beten helfen aber nichts, wenn nur einige wenige Start-ups die Jagdgründe bei der Suche nach dem Einhorn bilden. Daran scheiterte auch Epic Companies, der Inkubator von ProSiebenSat.1. Leiter Mato Peric und seine Truppe beschäftigten bis zu 250 Mitarbeiter, um ganze sieben Start-ups zum Fliegen zu bekommen, darunter die Sportplattform Gymondo, den Schmuckladen Valmano und das Hotelbuchungssystem Discavo.

„ProSiebenSat.1 hat da unglaublich viel Geld reingesteckt, sich aber total verzockt“, sagt ein Branchenkenner, der ungenannt bleiben will. Am Ende sei die Burn-Rate – also der Anteil des verbrannten Geldes – zu hoch gewesen.

Angeblich verlor Epic Companies in einem Jahr 10 bis 20 Millionen Euro, berichtet ein anderer Insider. ProSiebenSat.1 bestreitet die Summe und verweist darauf, dass ein „Großteil der Neugründungen“ fortgeführt werde.

Zielen auf reifere Start-Ups

Den einzigen Ausweg, die Geldvernichtung zu stoppen, sah der Konzern offenbar in der Integration der Start-ups in diverse andere Tochterfirmen. Discavo gehört jetzt zum Reiseableger ProSieben Travel, der andere Urlaubsportale wie Weg.de oder Mydays bündelt. Gymondo und Valmano werden heute von SevenVentures betreut, dem Beteiligungsarm von ProSiebenSat.1. Künftig will sich der Konzern auf reifere Start-ups konzentrieren, statt Firmen in ihrer Entstehungsphase zu unterstützen.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, stellte auch Mediengigant Bertelsmann seinen Inkubator Bevation ein. Mitte 2014 ging die Bevation-Web-Seite plötzlich vom Netz. Zuvor hatte Snoopet – eine Online-Community für Hundefreunde, an der Bevation beteiligt war – die Hütte dichtgemacht. Deutschlands Medienprimus hatte vergeblich versucht, per Accelerator sieben Unternehmen ins Erwachsenenalter zu hieven, neben Snoopet etwa die Meinungsplattform Glinch, den Städteguide Citties sowie Mamibox, einen Versender von Boxen mit Knabbereien, Kosmetik und Babyklamotten.

Unterschiedliche Interessenlage

Doch letztlich fehlten die wirtschaftliche Perspektive und die kritische Masse, um Verlustbringer durchschleppen zu können, sodass Bertelsmann die Start-ups nach und nach schloss.

Der Kern solchen Scheiterns scheint in einem nur schwer auflösbaren Widerspruch zu liegen. „Es existiert oftmals eine unterschiedliche Interessenlage zwischen dem Konzern und dem Start-up“, sagt Szene-Kenner Thümmler. „Dadurch arbeiten beide Partner nicht immer miteinander.“

So wolle ein Konzern mithilfe seines Accelerators vor allem günstig an Innovationen kommen und sei daher interessiert an einem möglichst niedrigen Preis für die Beteiligung am Start-up. Wenn dabei doch ein Star entstehe, der Milliarden wert ist, sei dies nur ein schöner Nebeneffekt.

Unabhängige Inkubatoren hingegen wollten, dass ihre Start-ups schnell wachsen und ihren Wert steigerten, um möglichst teuer verkauft werden zu können. „Diese gegenläufigen Interessen können im Laufe der Partnerschaft zwischen Konzern-Inkubator und Start-up zu Ärger und Ausseinandersetzungen führen“, sagt Thümmler. „Unabhängige Inkubatoren wie etwa Y Combinator sind eher ein funktionierender Ansatz.“

Für schädlichen Zoff steht zum Beispiel das Online-Portal Immobilienscout24 – dessen Muttergesellschaft Scout24 mehrheitlich dem US-Finanzinvester Hellman & Friedman gehört – mit seinem eigenen Inkubator You is Now. So bezichtigt das heute insolvente Start-up Deskwanted den Inkubator You is Now indirekt der Erpressung. Laut Deskwanted-Chef Carsten Foetsch habe You is Now einen zugesagten sechsstelligen Betrag nicht überwiesen und so das Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Auf Anfrage weist Immobilienscout24 die Vorwürfe in allen Punkten als haltlos zurück.

Leere Büros

Um solche Streitigkeiten mit ihren Start-ups zu vermeiden, baut die Deutsche Telekom ihre Aktivitäten mit Gründern gerade um. So scheint der Konzern-Inkubator namens Hubraum, der im Februar mit dem Softwareanbieter Flexperto gerade sein neuntes Start-up aufgenommen hat, nur langsam zu wachsen und muss freie Büros an Fremdfirmen vermieten. Die Telekom erklärt dies damit, dass sie ihren Start-ups Flächen für Veranstaltungen zur Verfügung stelle und diese auch schon mal an andere Unternehmen vermiete.

Fest steht jedoch: Der Konzern schließt seinen 1998 gegründeten Risikokapitalfonds T-Venture für neue Investitionen und lässt ihn nur noch das vorhandene Portfolio von rund 100 Start-ups verwalten. Im Gegenzug legt eine neue Konzerntochter namens Deutsche Telekom Capital Partners (DTCP) einen neuen Fonds auf – für Start-up-Investitionen mit einem Volumen von 500 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren. Damit ist er der größte dieser Art in Europa.

Designierter DTCP-Chef wird Vicente Vento, bisher Leiter der Sparte Firmenübernahmen und -verschmelzungen. DTCP sei viel näher an der klassischen Risikokapitalbranche angelehnt – was Interessenkonflikte vermeiden solle.

Die Telekom will also wegkommen von der Förderung ganz junger Start-ups. Aus Imagegründen halten die Bonner dennoch an ihrem Inkubator Hubraum fest – zumindest bis auf Weiteres.

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